Puttbus, Rügen, Deutschland (Weltexpress). Leichter Schneegriesel hat sich vor ein paar Tagen übers Land gelegt. Dazu strahlt die Sonne vom blauen Inselhimmel. Zeit also, um sich mal wieder an der frischen Luft durch die Landschaft zu bewegen. Es soll heute nach Putbus und Umgebung gehen, denn das Gute liegt doch oft so nahe.
Stopp am Ortsausgang in Poseritz. Da zweigt ein vielversprechender Weg ab, auf der Wanderkarte mit RAK gekennzeichnet. „Radweg Alte Kleinbahn“ ist da zu lesen. Klar, links war der Bahnhof, auf den leider nichts mehr hinweist, allenfalls die Bank. Vor ein paar Jahren klopften die inzwischen herausgerissenen Schienen über die L 29 noch gegen die Reifen und riefen einem in Erinnerung, dass hier ein Teil des früher 100 Kilometer langen Schmalspurnetzes von Rügen verlief.
Von Poseritz marschiert man am Vormittag den asphaltierten Radweg entlang direkt in die Sonne. Die gewundene Drei-Kilometer-Strecke – als Trasse auch hier wie an anderen stillgelegten Abschnitten noch gut erkennbar – bis nach Glutzow Hof Richtung Altefähr, dem ehemaligen Endpunkt, ist an Idylle kaum zu überbieten: Hügel, kleine Tälchen, Weiden, Äcker, Sumpfland. Bis in der Ferne hinter Venvitz der Strelasund aufblitzt. Ein kräftiger Westwind kämmt Gebüsch und Bäume, und wenn man genau hinhört, glaubt man noch eine Dampflok wehmütig pfeifen zu hören.
Technikgeschichte seit 127 Jahren
In Putbus kommt sie dann tatsächlich und wie neu aus dem Schuppen angeschnauft, die 1938 bei Henschel in Kassel gebaute blankgewienerte 99 4802-7 der Rügenschen Bäder Bahn, kurz RüBB genannt. Sie ist jetzt „restauriert“, weil frisch mit Wasser und Kohle versorgt. Das wird reichen für 24,2 Kilometer und eineinhalb Stunden auf der 750 Millimeter-Spur nach Göhren und zurück. Eine anspruchsvolle Strecke durch flaches und hügeliges Gelände mit elf Haltepunkten unterwegs. Die will auch eine Seniorengruppe kennenlernen. Ihren Bus hat sie verlassen, „um einmal mit dem ´Rasenden Roland` zu fahren“, wie eine Dame sagt, und ein älterer Herr mischt sich ein: „Das war schon immer ein Lebenstraum von mir!“ Der Lokführer vernimmt es mit Wohlwollen und sicher auch Stolz, hier Dienst tun zu können. Als er hört, dass einige Bilderstürmer alles, was heute noch nostalgisch dampft, abschaffen wollen, verfinstert sich sein Gesicht: „Seit 127 Jahren besteht diese Bahn, die auch ein Stück Geschichte und Kultur darstellt und zudem denkmalgeschützt ist“, erklärt der Meister, „die können nicht einfach alles abstellen, was ihnen wegen CO2 verdächtig erscheint!“ „Historische Schienenfahrzeuge“, weiß ein Senior, „werden zum Zweck der betriebsfähigen Erhaltung historischer Technik sowie als Anziehungspunkt für den Fremdenverkehr betrieben“. In Deutschland gibt es noch rund 100 betriebsfähige Dampfloks, die dann auch abgeschafft werden müssten. Er habe früher kein Baumsterben entlang einer Bahnstrecke gesehen, mischt sich ein Dritter ein, der sich als Fan outet und wie seine vielen Mitstreiter für den Erhalt historischer Loks kämpft, „dann müssten auch alle historischen Dampfschiffe verschrottet werden, die hin und wieder mal fahren“.
In der „Ostsee-Zeitung“ war kürzlich zu lesen, dass der „Molli“ nach dem Willen von Umweltschützern unter Draht kommen, also elektrisch betrieben werden müsse, um die Klimaziele zu erreichen.
Vom Bimmeln und Pfeifen genervt
„Dann verliert unser Roland komplett seine Attraktivität“, meint der Lokführer kopfschüttelnd, „das wäre der Untergang“. Es gebe doch ganz andere Projekte, „aber nicht unsere kleine Bahn. Wenn irgendwann auch die oberschlesische Steinkohle ausfällt, kann man umstellen auf synthetisches Öl. Das dampft dann auch noch“. Umso mehr genießen die 20 Fahrgäste den markanten Kohlegeruch, „denn hier sieht man noch ganz einfach, wie Technik funktioniert“, findet ein weiterer Gast. Man sei aus Süddeutschland auf der Insel, auch um einmal Dampfzug zu fahren, „denn so was gibt´s bei uns nicht fahrplanmäßig tagaus, tagein das ganze Jahr über!“
Nachdem die Maschine sich vor den Fünf-Wagen-Zug gesetzt hat, ruckt sie zischend und fauchend pünktlich auf das Abfahrtszeichen der Zugbegleiterin an. Für ihre 330 PS ist der Anhang ein Leichtgewicht. Per Pfeife warnt die 99 4802-7 vor Bahnübergängen, dass sie im Anmarsch und nicht so leicht zu bremsen ist wie ein Auto. In Binz heult ihr markanter, tiefer Sound mehrfach auf und bimmelt die Glocke vor den Schildern mit den zwei weißen Tafeln samt schwarzem P senkrecht übereinander sowie eins mit einem L, die den Lokführer auf seine Signalpflicht hinweisen. Meint die Zugbegleiterin dazu: „Darüber haben sich tatsächlich schon Anwohner beschwert, die neu hierher gezogen sind. Das Läuten und Pfeifen sei ruhestörender Lärm, aber wir erfüllen nur die Vorschrift!“ Das hätten die schon vorher wissen müssen und sich gar nicht neben der Bahn ansiedeln dürfen. Auf dem Bahnsteig von Binz stehen „die Anderen“: begeisterte junge und alte Fans mit ihren Kameras und Smartphones, um das Einfahrspektakel zu fotografieren oder zu filmen, auch das vom Gegenzug aus Göhren, der gerade mit rauhem Pfiff auf dem anderen Gleis einläuft. „Für mich ist das wie Musik aus unserer Kindheit und Jugend“, strahlt eine Seniorin, „Hier werden vergangene Zeiten wieder wach, ist das schön! Erinnerungen sind doch das Einzige, was bleibt.“