Es ist nämlich nicht nur die religiöse und mythen- sowie märchenreiche Thematik, die die Präraffaeliten zusammenhält, sondern ihre ästhetische Grundhaltung, die der Linie im Bild die entscheidende Funktion zuweist und so etwas wie Zentralperspektive vernachlässigt zugunsten einer flächig ornamentalen Hintergrundgestaltung, die fast immer aus Blumen und Ranken besteht. Hierin sind auch die Bestrebungen der Art and Craftsbewegung zu sehen, die mit William Morris ihren Meister fanden, der tatsächlich für England, aber auch für den Kontinent das Leben als Gesamtkunstwerk kreierte, indem er Häuser mit den analogen Einrichtungsgegenständen ausstattete, deren Design und Farbe sich dann überall wiederfand, an den Wänden, den Teppichen, den Lampen, dem Geschirr, dem Besteck, ja selbst in den Damenkleidern, deren Trägerinnen, meist rothaarig, elegant und elegisch die Sessel und Chaiselongues bevölkerten.
Wenn das ein bißchen spöttisch klingt, sollte das nicht auf Morris fallen, sondern doch eher auf die präraffaelitischen Maler, deren Spezifika, wie sie Frauen als Naturwesen in der Natur darstellen, im Belvedere eben nur in den Bildern zu sehen ist, die Senor Ferré kaufte, bzw. überhaupt erwerben konnte. Zeit von dem Hauptwerk der Ausstellung zu sprechen, der flammenden oder leuchtenden June, die Frederic Leighton 1894/95 schuf und die als bedeutsamstes Werk des Museums aus Puerto Rico gilt. Auf sie läuft die Ausstellung auch in gelungener Inszenierung zu, indem sie an der letzten Wand als orangerot leuchtender Blickfang hängt. Aber eigentlich fangen da schon die Schwierigkeiten an. Ist die „Flaming June“ wirklich ein präraffaelitisches Werk. Zwar ist auch diese junge Dame von hellerem roten Haar, aber Leighton hatte sich mit Bedacht die Bruderschaft vom Hals gehalten und sich dem Neoklassizismus verschrieben, der aber wiederum in der idealisierten Darstellung von jungen Frauen in biblischen und antiken Szenen just dieselbe Bildwelt hochhielt.
Das alles kann man vergessen, denn die Ausstellungsmacher, Alfred Weidinger und wohl auch die Direktorin des Belvedere, Agnes Husslein-Arco, haben einen Haken geschlagen und mitten in diese Ausstellung der viktorianischen Exponate aus Übersee eine Insel geschaffen, die sie mit den Begriffen von Schlaf und Traum und Tod erst einmal psychoanalytisch und symbolistisch angehen, mit den ausgestellten und der orangerot leuchtenden, flammenden June zugeordneten Werken jedoch ein neues Kapital aufschlagen, das seit der Renaissance verletzliche Thema des nahsichtigen und von daher meist kompakten weiblichen Schenkels. Verletzlich, weil es ein Bild gegeben hat, das von Michelangelo geschaffen, Leda in hingegebener Liebkosung mit dem Schwan (Zeus hatte sich in diesen verwandelt) zeigte, das Furore machte, aber wohl auch zur Abwehr der Anna von Österreich führte, die dieses Gemälde seines unmoralischen Gehalts wegen hat zerstören lassen, zumindest aus dem Verkehr zog. Es tauchte nie wieder auf, aber in der Londoner National Gallery hängt eine Kopie – der Kreis um Rosso Fiorentino soll sie gefertigt haben, also zeitnah -, die deutlich zeigt, daß der nahsichtige Schenkel der Leda Aufmerksamkeitswert besitzt.
Michelangelo übrigens hatte in seiner Skulptur der Allegorie der Nacht in der Neuen Sakristei von San Lorenzo in Florenz das Motiv der geöffneten Schenkel schon in Marmor ausgeführt, das Gemälde wird als eine Art Wettstreit mit Tizian angesehen, der dem gemeinsamen Auftraggeber, Herzog Alfonso I. von Ferrara eine sehr nackte, sinnlich erotische Frau als Eingang in sein Bild gemalt hatte. Dort sind die Schenkel noch geschlossen, die bei Michelangelo nun geöffnet und durch den Schwan gefüllt sind. Davon ist die June des Frederic Leighton frei. Was sie seitenverkehrt aufnimmt, ist die Gewaltigkeit des Oberschenkels, der quer im Bild liegt und der über ihm liegenden June mit Brüsten und Gesicht sowie Haaren gerade genauso viel Raum wie dem Schenkel gibt. Das alles dann in dem flammenden Orangerot und mit geschlossenen Augen legt nahe, daß hier eine junge Schöne sich ihrer aufreizenden Lage nicht bewusst ist, was sehr viel stärker erotisch wirkt, als wenn sie mit offenen Augen – also sich selbst inszenierend – dort läge. Insgesamt also eine rotorange Farbwolke mit Gesicht.
Hier ist die Ausstellung nun richtig spannend geworden. Denn aus dem eigenen Bestand hat das Belvedere eine schlafende Schöne zugesellt, die noch vor der Ausweitung des Sujets in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Courbet u.a. im Jahr 1849 von Johann Baptist Reiter geschaffen wurde und seine schlafende Frau direkt vor dem Aufwachen zeigt. Ein zweites, noch früheres Bild von Franz Schrotzberg ist wiederum der Leda gewidmet und gibt nun sowohl den leuchtenden weiblichen Schenkel wieder wie auch die rückwärtige Wendung der Frau hin zu dem Schwan in der oberen Ecke. Das Bild zeigt die offensichtliche Inszenierung durch die Lichtführung, die den gesamten fast nackten Leib schattenlos ins Licht setzt, dadurch auch eine gewisse Spannungslosigkeit erzeugt, damit aber – trotz der offenen Augen – eine gewisse Parallelität mit der angezogenen June im Licht erhält. Von Schrotzberg weiß man, daß er in Italien war und seither „Italienisch“ malte. Aber Johann Baptist Reiter? Dieser aus Oberösterreich stammende Biedermeiermaler, der eher dem Realismus zugehörig ist und in Wien blieb, war nie in Italien gewesen. Gerade aber seine Darstellung läßt an Michelangelo denken.
In dieser Gegenüberstellung mit Schrotzberg und dem so viel späteren Leighton fällt nun erst recht auf, mit welcher Raffinesse Johann Baptist Reiter seine „Schlummernde Frau“ darstellt. Das Gesicht mit den geschlossenen Augen auf die Kissen gebettet und wie auch die nackten Brüste im Schatten, fällt das Licht voll auf das leicht angezogene Bein der Schlafenden, korrekter, es fällt direkt auf den Oberschenkel und das abgewinkelte Unterbein und unser Blick fällt direkt in den vermuteten Schoß der Schlummernden, der aber im Schatten liegt, also überhaupt nicht zu sehen ist, nur das rechte Bein ist als hingestreckt sichtbar. Reiter ist also hier eine Fassung des Motivs des nahsichtigen Schenkels gelungen, die die Phantasie sehr viel mehr in Gang setzt, als die viel deutlicheren Versionen. Eine kleine feine Sonderveranstaltung in dieser interessanten Ausstellung.
P.S. Wir haben in dieser Besprechung Edward Burne-Jones völlig ausgespart, obwohl er mit seinem schlafenden König Artus ein Hauptwerk, das eine ganze Saalwand einnimmt, bestreitet und mit seinen Dornröschendarstellungen so richtig das Sujet der Rosen und Dornen bearbeitet und vor keinem Kitsch Angst kennt. Die Auslassung liegt daran, daß Ende letzten Jahres eine eigene Burne-Jones Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart stattfand, in der auch die im Belvedere gezeigten Werke aus dem Museum in Ponce vertreten waren, darüber hinaus aber noch sehr viel mehr Burne-Jones, von denen auch Stuttgart selbst einen gewaltigen Zyklus hat. Die Artikel zu diesen Ausstellungen sind deshalb als Link unten angeführt und gelten ausdrücklich als Teil dieser Besprechung der Ausstellung im Belvedere.
Bis 3. Oktober 2010
Die Ausstellung wird durch viele Führungen begleitet, aber auch durch für den Sommer und Touristen besonders anziehende Veranstaltungen. So gibt es jeweils samstags und sonntags „Frühstück im Grünen“, wo Wasserspiele, barocke Skulpturen und üppiges Grün den Rahmen für das gebotene Frühstück mitsamt Sekt bilden, dem sich die Führung durch die Ausstellung anschließt.
Der Mittwochabend mit bis 21 Uhr verlängerter Öffnungszeit wird genutzt, um auf der Unteren Gartenterrasse Tapas zu servieren.
Auch für Kinder und Jugendliche gibt es Programme und extra Führungen, was Sie alles der Webseite entnehmen können.
Katalog: Schlafende Schönheit. Meisterwerke viktorianischer Malerei aus dem Museo de Arte de Ponce, hrsg. Von Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger, Belvedere, Wien 2010
Der Katalog geht schon im Vorwort auf das ein, was kunstgeschichtlich die Lücke in Wien schließt, das traditionell die englischen Bildwelten des späten 19. Jahrhunderts nicht kannte, die der ersten Hälfte allerdings auch nicht. Es wird des weiteren ausführlich das Museum aus Puerto Rico vorgestellt, das nur existiert, weil ein Mann die Initiative übernommen hatte, in der Karibik europäische Kunst zu sammeln. Diese Sammlung, von der ja in Wien nur ein Teil ausgestellt ist, wird vorgestellt. Die ausgestellten Gemälde und Zeichnungen sind sowieso abgedruckt, darüber hinaus aber viele Bezugswerke, die nicht alle nach Wien kommen konnten, aber inhaltlich Korrespondenzen bilden. Dieser Bezugsrahmen ist ein weiter, denn er erstreckt sich von der Spätgotik über die Renaissance bis zu den Nazarenern, Präraffaeliten und dann noch den Historismus und Jugendstil. Also eine sehr interessante Lektüre. Wie auch bei dem Stuttgarter Katalog zu Burne-Jones entzückt hier die opulente Ausstattung Die Blumen-Märchen-Motive bilden in Lachsrosa die vorderen und hinteren Umschlagsseiten und trennen die jeweiligen Kapitel.
Reiseliteratur:
Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch
Tipp: Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.
Anreise: Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.
Aufenthalt: Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien. Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.
Essen und Trinken: Völlig zufällig gerieten wir im Februar 2010 nur kurz in die Eröffnung des NASCH im Hilton Plaza. NASCH heißt das neue Restaurant aus gutem Grund, denn es geht auch ums Naschen, man kann sich seine Vorlieben in kleinen Portionen, dafür vielfältig aussuchen, in der Art der spanischen Tapas. Das Entscheidende am neuen Restaurant im Hilton Plaza aber ist, daß die Grundlage die österreichische Küche ist. Man kann sich quasi durch Österreich durchessen. Wir werden das ein andermal tun und dann darüber berichten. Das haben wir immer noch vor!
Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, den Hilton-Hotels Wien und dem Wien Tourismus.