Anklam, Wolgast, Deutschland (Weltexpress). Kapitän Jan Rautawaara (51) ist ganz aus dem Häuschen. Vor kurzem hat er noch die „Crystal Endeavor“, vorläufig letztes Schiff der ehemaligen Stralsunder Volkswerft, nach Island überführt. Sie ist mit 20.000 Tonnen das größte und mit sechs Sternen das edelste Luxusexpeditions-Kreuzfahrtschiff der Welt. Sein größter Wunsch war es, einmal mit dem Anklamer Oldtimer zwischen dem Festland und Usedom zu fahren, „denn den Greifswalder kenn ich schon von den Probefahrten und der Jungfernreise her“. Außerdem wohnt er mit seiner Frau Anna-Marija im Stralsunder Stadtteil Andershof: „Fast mit Wasserblick, wunderschön!“, schwärmt er.
Fan alter Schiffe
Was ihm aber da im Peene-Hafen zu Füßen liegt, „ist eine Rarität“, staunt der Finne und schüttelt nur ungläubig den Kopf. „Herzlich willkommen bei uns an Bord!“ steigt ihm Ulrich Krüger (67) über die Reling von MS „Dömitz“ entgegen. Dritter im Bunde ist Norbert Hagemann (66), der aus dem Maschinenraum-Luk ans Licht klettert. Die Seeleute schütteln sich kräftig die Hand. Rautawaara rennt danach gleich aufgedreht wie ein kleiner Steppke mit seinem Smartphone von vorn nach achtern, um jedes Detail des letzten Ex-DDR-Typschiffs der Region zu erfassen. „Wie mich das an früher erinnert, als ich noch Schiffsjunge war“, schwärmt er emotional aufgeladen, obwohl vor ihm ein nur ein alter Frachter liegt, der bald abgewrackt werden soll. „Nach über 60 Dienstjahren“, erklärt Krüger sachlich, „ist das Schiff fällig, das wird nur noch durch Rost und Muscheln zusammengehalten“. Hagemann weiß, dass man „mit einem Kärcher Löcher in die Laderaumwände schießen könnte“.
Jan Rautawaara ist Fan alter Schiffe, besonders von Küstenfrachtern. Erst vor kurzem hat er sein vorletztes Schiff MS „Wilhelmine“, einen 1953 in Stade gebauten deutschen 400-Tonner, von Finnland zu einer dänischen Abwrackwerft gesteuert. „Das war für mich und meine beiden Miteigentümer bitter“, gibt er zu, „unser letzter Frachter ´Greta` fährt noch Holz von den Inseln zum finnischen Festland“. Die Männer sehen sich das Handy-Video an, vom melodiösen Bullern des alten Deutz-Diesels untermalt, das sie unisono „herrlich“ finden. Einer von Jans kleinen Frachtern, die „Unterelbe“, ist noch als Museumsschiff in Flensburg zu bewundern.
Vom Geräusch entzückt
„Oh, nu wird´s aber Zeit!“, meint Krüger beim Blick zur Uhr. Um 14 Uhr soll die Anklamer Eisenbahnbrücke für „Dömitz“ öffnen. „Der Wärter geht nicht ans Telefon“, kratzt sich Krüger seinen grauen Schopf und schwingt sich aufs Bord-Fahrrad noch aus DDR-Zeiten, um ihn persönlich zu fragen, ob´s klappt. „Alle Leitungen zusammengebrochen“, zitiert er den Brückenmann, der sein Diensthandy zur Hilfe genommen hat: „Ich mach Euch gleich auf!“ „Dann wirf mal die Vorleinen los, Norbert!“, ruft Ulli aus dem geöffneten Fenster des Steuerhauses. Grummelnd, zischend und fauchend setzt sich der alte, aber sehr zuverlässige SKL-Diesel aus Magdeburger Produktion in Gang. Jan nimmt das Geräusch gleich entzückt auf. Schwerfällig dreht der rostig rote Oldtimer nach Backbord in die Mitte des Peene-Flusses. 605 Tonnen hinterpommersches Getreide für das vorpommersche Vierow und zwei Meter Tiefgang sind kein Pappenstiel für 420 PS. Winken hin- und herüber zum Brückenchef, dann beginnt die „Seereise“.
Natürlich mit der vorschriftsmäßigen Abmeldung mit Uhrzeit, Start- und Zielhafen bei „Wolgast Traffic“, der Verkehrsleitstelle in Rostock. Man wünscht gute Fahrt und gute Wache, während sich an Back- und Steuerbord hinter der Zuckerfabrik die grüne Natur des Peenetals weitet. Ein Seeadler und ein Milan schweben wie zum Abschied elegant über das Steuerhaus, in dem Ulli, ein Mann mit breitem Schifffahrts- und Lokalwissen, seinem Gast die Umgebung erklärt. Als an der Flussmündung das stählerne Gerippe der Karniner Brücke in Sicht kommt, kann er auch berichten, dass sie wiederaufgebaut werden soll. „Um den PKW-Verkehr nach Usedom zu entlasten“, weiß er, nur nicht, bis wann das passieren soll, „sicher ein paar Jahre wie üblich bei Großvorhaben“.
Traumschiff-Kapitän am Ruder
Ulli fädelt sich im Slalom durch die roten und grünen Tonnenpaare, bis voraus die hellblaue Zecheriner Brücke in Sicht kommt. „Dömitz“ rutscht unter dem Bauwerk hindurch und dreht nach Steuerbord in den Peenestrom. „Heute ist genügend Wasser“, ist Ulli froh, „denn sonst würd´ in der Moderortrinne knapp werden“. Bei der vorigen Passage hat die Schraube den Grund schwarzwolkig aufgewirbelt. Jan übernimmt jetzt hocherfreut das Ruder, einen kleinen Yoystick. „Siehst ja, „meint Ulli, „steuert gutwillig“, und Norbert, mit dem er seit 40 Jahren auf dem Schiff arbeitet, ergänzt: „Achtern bisschen tiefer, vorn leicht raus – geht wunderbar so“. Es ist noch eine Weile hin bis zum Kurswechsel hinter dem Richtfeuer bei Rankwitz. Vom schneeweißen Flusskreuzfahrtschiff „Junker Jörg“ winken sie aus ihren Liegestühlen von oben herab auf das rostige Arbeitspferd.
Die Drei kommen bei Kaffee und Kuchen – Norbert hat das ohne Überschwappen aus der Kombüse über die steile Treppe nach oben balanciert – ins Fachsimpeln. Jan über seine Kümozeit und das Leben als Kapitän auf Milliardärs-Super-Luxusyachten, Ulli und Norbert über ihre DDR-Fahrtzeit. Für beide Teile absolut spannend. Auf Jan wartet in Südfrankreich ein 100-Meter-Traumschiff. „Da bestimmen allein die 18 Gäste, wo´s langgeht. Die zahlen ja für die Charter auch über eine Million – pro Woche!“ „Und wir kriegen gerade mal 5,75 pro Tonne“, verzieht Ulli das Gesicht. „Und wir müssen springen, wenn die mit dem Finger schnippsen“, schüttelt Jan den Kopf, „aber das Geld stimmt!“ Er gibt, weil er von der Peene-Werft noch Fotos machen will, das Ruder wieder an Ulli ab. Ein großes Motorboot kreuzt regelwidrig vor dem „Dömitz“-Bug das Fahrwasser. „Wir sind stärker“, grinst Ulli.
Norbert und Ulli, das alte „Bord-Ehepaar“, sind froh, wenn irgendwann die Tonnenschinderei vorbei ist und sie die „Dömitz“ endgültig anbinden können. Wenn das soweit ist, „möchte ich gern die letzte Reise mitfahren“, verabschiedet sich Jan in Wolgast, wo der Frachter über Nacht an den Pfählen hinter der Brücke, dem „Blauen Wunder“, liegenbleibt.
Bevor der UBB-Zug nach Stralsund geht, gönnt er sich noch das obligate Einlaufbier in der „Bar46“ am Hafen.