Kapellenweg statt Jakobsweg

Judas-Thaddäus-Kapelle bei Schonach im Schwarzwald

„Sind Sie die Glöcknerin?" fragt einer der rastenden Wanderer vor der Judas-Thaddäus-Kapelle bei Schonach im Schwarzwald. „Das bin ich", antwortet Anneliese Kienzler und schmunzelt. Jeden Tag um elf Uhr kommt sie hierher. Vom nahe gelegenen Gemeindehof. Dann betritt sie die kleine Kapelle und zieht rhythmisch am Seil der Glocke. Weit schallt ihr Klang über die Wilhelmshöhe.

„Früher galt das Läuten um elf Uhr den Frauen auf den Feldern als Signal, dass es Zeit ist nach Hause zu gehen, um das Mittagessen zuzubereiten", erzählt die Bäuerin: „Damals wurde auch noch um sechs Uhr zur Weckzeit geläutet. Das machen wir heute nicht mehr." Aber abends um 19 Uhr ist das Angelus-Läuten nach wie vor ein tägliches Ritual.

Seit 100 Jahren ist das „Owerdalkäppili", wie es von den Einheimischen auch genannt wird, im Besitz der Familie Kienzler. Erbaut wurde es bereits um 1885. Der geschnitzte Holzaltar ist eine Miniaturnachbildung des Barockaltars der Wallfahrtskirche „Maria in der Tanne" in Triberg.

Zirka 30 Kapellen gibt es rund um Triberg, Schonach, Schönwald, Furtwangen und St. Georgen. Seit 2008 sind sie zu einem Wanderweg zusammengefasst, der sich über fünf Tagesetappen erstreckt. Jedes Teilstück ist aber auch als Einzelwanderung möglich. Schwierigkeitsgrad und zu überwindende Höhenmeter variieren je nach Strecke.

Die kleinen Kapellen sind nicht verstreut in der Landschaft zu finden, sondern in der Nähe eines Bauernhauses oder direkt auf dem Hofplatz errichtet. „Jede Hofkapelle hat ihre eigene Geschichte, oder es rankt sich eine mythische Sage um sie", berichtet Wander- und Naturführerin Ingrid Schyle: „Bei manchen ist die Herkunft verschleiert, bei anderen war es ein besonderes Ereignis, das zum Bau einer Kapelle führte." Die jüngste der Kapellen ist die St. Paulus Kapelle. Mitte der 1990er Jahre hatten zwei St. Georgener Bürger ganz einfach den Wunsch eine Kapelle zu bauen, um jedem Menschen, die Möglichkeit zu geben, von der Hektik des Alltags auszuruhen und über sein Leben nachzudenken. „Die Kapellen sind auch Ruheinseln für vorbeikommende Wanderer. Hier gibt es keinen Massentourismus wie auf manchen Abschnitten des Jakobswegs", meint Ingrid Schyle.

In einigen Kapellen findet nur eine Hand voll Menschen Platz, andere haben Sitzbänke für 40 Personen. Alle sind in einem sehr gepflegten Zustand und mit frischen Blumen geschmückt. Hin und wieder finden Taufen, Hochzeiten oder Gottesdienste in ihnen statt. So auch in der frisch renovierten, über 320 Jahre alten Hohnen-Kapelle von Wilfried Dold nahe Triberg. Das schmucke weiße Gebäude thront auf einer Wiese gegenüber dem stattlichen Bauernhaus, das noch ein paar Jahre älter ist als das Kirchlein. Noch zwei weitere Kapellen befinden sich auf diesem Rundwanderweg: die Kreuzbauernhof- und die Hofbauer-Kapelle. Wer Näheres über die Entstehung der Gotteshäuser erfahren möchte, kann gerne bei den Besitzern klingeln. So auch bei Familie Klausmann. „Früher kamen direkt an unserem Hof Prozessionen vorbei", weiß Rudolf Klausmann, Eigentümer der Hofbauer-Kapelle: „Zu diesen Anlässen wurde im Freien ein Altar aufgebaut. Leider regnete es häufig. Das gefiel meiner Großmutter auf Dauer nicht. Sie hatte den Wunsch, eine eigene Kapelle zu besitzen." Und so ließ ihr Mann 1954 die kleine Kirche zwischen Hofplatz und Gemüsegarten errichten.

Wer von Schönwald nach Furtwangen oder entgegengesetzt wandert, hat die Möglichkeit, auf zwei verschiedenen Wegen zehn Kapellen zu besichtigen. Von weitem leuchtet die Piuskapelle auf dem Katzenbuckel. Sie ist die Erfüllung eines Gelübtes Furtwangener Bürger, zu Ehren der Mutter Gottes eine Kapelle zu errichten, wenn ihre Stadt den zweiten Weltkrieg gut übersteht. Nach einem beschwerlichen Aufstieg erreicht man nahe der Martinskapelle den Donauursprung. Einer der beiden Hauptquellflüsse der Donau, die Breg, entspringt in der Nähe des Kolmenhofes in 1.078 Metern Höhe. Von hier sind es genau 2.888 Kilometer, bis zur Mündung der Donau ins Schwarze Meer, wie auf der Gedenktafel zu lesen ist. Eine Besonderheit ist die Hubertus-Kapelle von 1600. Einsam liegt sie im Gutenwald, von hohen Tannen umgeben. „Der zugehörige Untergutenhof brannte Ende des 19. Jahrhunderts ab", erklärt Ingrid Schyle: „Irgendwann war die Kapelle vom Verfall bedroht, bis der Heimatverein Schönwald sie in vielen Arbeitsstunden restaurierte." Statt Marienfiguren und Kreuzwegstationen, die die Wände der meisten Kapellen schmücken, hängen links und rechts vom schlichten Altar zwei Ölgemälde. Sie zeigen den heiligen St. Wendelin als Beschützer von Hof und Haustieren und St. Hubertus, den Schutzpatron der Jäger. Und da die Kapelle versteckt am Waldrand liegt, kann ein vorbei kommender Wanderer auch selbst mal das Glockenläuten üben.

Informationen

Touristinformation Ferienland im Schwarzwald
Franz-Schubert-Str. 3
78141 Schönwald
Tel. 07722-860831
www.dasferienland.de

Angebot:
 „Ruheinseln für die Seele – Schwarzwälder Hofkapellen"
5 Übernachtungen mit Frühstück und zweimal Gepäcktransfer (Wandern ohne Gepäck) ab 189 Euro pro Person im DZ

Übernachtungsmöglichkeiten:
Parkhotel Wehrle
Gartenstr. 24
78098 Triberg
Tel. 07722-8602-0
www.parkhotel-wehrle.de
Zimmerpreise inkl. Frühstücksbuffet: EZ ab 95 Euro, DZ ab 149 Euro,
Suite 265 Euro. Diverse Wellness-Pauschalen.

Höhengasthaus Kolmenhof
Neuweg 11
78120 Furtwangen
Tel. 07723-9310-0
www.kolmenhof.de
Zimmerpreise inkl. Frühstücksbuffet: EZ ab 49 Euro, DZ ab 82 Euro. Verschiedene Arrangements.

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