„Wir sind Frauen. Wir sind viele. Wir haben die Schnauze voll.“ Der markante Slogan, mit dem mutige Frauen in den Siebziger Jahren einen Wertewandel herbeiführten, der uns erlaubt in einer Gesellschaft zu leben in der (auch) Frauen ein selbstbestimmtes Leben jenseits patriarchalischer Bevormundung führen können, klingt fast wie aus einer längst vergangenen Epoche. Fast. Denn trotz Bundeskanzlerin ist ein neuer Konservativismus auf dem Vormarsch. Und noch immer scheint zu gelten, was Gisela Breitling 1988 formulierte: „Frauen befinden sich in einer fremden, von Männern geprägten Kultur, Männer in ihrer eigenen.“ Dagegen opponierten die 17 Künstlerinnen, von denen 200 Werke bis vorgestern in Rom zu sehen waren: Helena Almeida, Eleanor Antin, Renate Bertlmann, Valie Export, Birgit Jürgenssen, Ketty La Rocca, Suzanne Lacy und Leslie Labowitz, Suzy Lake, Ana Mendieta, Martha Rosler, Cindy Sherman, Annegret Soltau, Hannah Wilke, Martha Wilson, Francesca Woodman, sowie Nil Yalter.
Dennoch wollen wir über die Ausstellung noch berichten, da sie einerseits in einem reichbebilderten Katalog weiterleben wird, uns andererseits die Bedeutung der gezeigten Werke zu wichtig scheint. „Donna“ knüpft an eine Reihe vorhergegangener Ausstellungen an, die von einem wiedererwachten Interesse am Feminismus in der Kunst und an der Kunst von Frauen zeugen. Im Jahr 2007 zeigte das Museum of Contemporary Art in Los Angeles 500 Werke von 119 Künstlerinnen in der Ausstellung „Wack! Art and the Feminist Revolution“, 2008 die Pinakothek der Moderne in München „Female Trouble. Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen“ und noch bis zum 21. Februar 2011 präsentiert das Centre Pompidou in Paris in „elles@centrepompidou“ nur hauseigene Werke von Künstlerinnen.
Italien scheint diese Ausstellung dringend nötig gehabt zu haben. Als wir nach unserem Besuch abends im Hotel den Fernseher einschalteten, wurden wir in der Annahme bestätigt, dort herrsche noch ein bedrückend repressives Frauenbild: allenthalben junge Frauen mit Textilallergie, die einem stark geschminkt entgegengrinsen. Ist das Tragen eines Bikinis schon ein hinreichendes Merkmal für einen künftigen Filmstar?
Die Ausstellung zeigt Werke, die in Italien bislang wenig Beachtung fanden, viele der Künstlerinnen sind dort erstmals vertreten. Etwa Nil Yalters berühmtes Video „La femme sans Tête ou la Danse du Ventre“ (1974), in dem wir ihren tanzenden Bauch sehen können, auf dem Sätze gegen die sexuelle Erniedrigung der Frau geschrieben werden. Yalters richtete sich in ihrem Video gegen die damals in der Türkei noch vielfach anzutreffende Praxis, daß Männer ihre „unfruchtbaren und aufmüpfigen“ Frauen zum Imam brachten, der abergläubische Zeilen auf deren Bäuche schrieb und dabei Rechtschreibfehler mit der Zunge entfernte. Ana Mendieta thematisiert in ihren „Rape Scene“ (1973) die alltägliche häusliche Gewalt gegen Frauen, mit ihrer (politischen) Performance „In Mourning and in Rage“ (1977) protestieren Leslie Labowitz und Suzanne Lacy gegen die Vergewaltigung von Frauen.
VALIE EXPORT gibt sich in „Aktionshose: Genitalpanik“ (1969) als Terroristin: bekleidet mit einer Hose die ihren Schritt offenläßt, bewaffnet mit einer Maschinenpistole als phallischem Symbol männlicher Herrschaft, schritt sie durch ein Pornokino. Eine subversiv-ironische Inszenierung, die sich gegen eine bürgerliche Doppelmoral genauso richtet wie gegen die Reduzierung der Frau als Subjekt. Kunst als politischer Kampf.
Die Werke sind Teil der 2004 vom größten Elektrizitätsunternehmen Österreich Verbund ins Leben gerufenen eigenen Sammlung, mit dem für Firmen ungewöhnlichen Sammlungskonzept „Tiefe statt Breite“ und einer ausschließlich kunsthistorisch motivierten Ankaufspraxis. Neben dem Sammeln von Kunstwerken ist die Förderung der wissenschaftlichen Diskussion ein wichtiges Anliegen der Sammlung Verbund: 2009 erschien eine umfassende Monografie zum Werk der Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen, deren experimentierfreudigen, selbstironischen und gesellschaftskritischen Arbeiten genauso in der Ausstellung zu sehen sind, wie das noch relativ unbekannte Frühwerk von Cindy Sherman zu dem 2011 ein Catalogue Raisonné erscheinen soll. Es ist eine spröde Kunst, nicht gefällig-plakativ wie viele der hochgejubelten Werke, die noch bis Herbst 2008 vulgäre Preise in den Auktionshäusern erzielten. Sie zu kaufen und das Wissen über sie zu vermehren, ist Beispiel einer kulturellen Offenheit, die vorbildlich ist.
Die Kuratorinnen Angelandreina Rorro und Gabriele Schor, künstlerische Leiterin der Sammlung Verbund, streben den Versuch einer kunsthistorischen Neueinordnung der feministischen Kunst der Siebziger Jahre an. Dies zeigt sich schon im Titel der Ausstellung. Gabriele Schor bezeichnet die feministische Kunstbewegung der 1970er Jahre als Avantgarde, um ihre historische Vorreiterrolle hervorzuheben, „haben doch ihre Werke die postmoderne zeitgenössische Kunstproduktion entscheidend beeinflusst“. Das ist eine Kampfaussage, die nicht ganz unproblematisch ist, verknüpft man mit dem militärischen Begriff meist eine Künstlergruppe, die sich kannte und die stilistische Gemeinsamkeiten aufweist. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen arbeiteten die meisten Künstlerinnen isoliert, waren nicht in die Kunstszene eingebunden und kannten ihre Kolleginnen nicht. Erstaunlich, wie nah sich die künstlerische Sprache der verschiedenen Positionen doch ist. Es zeugt von einem kollektiven Bewusstsein.
Obwohl viele der Künstlerinnen ihre Kunst nicht als feministisch angesehen oder bezeichnet haben, gibt es feministische Themen. Der weibliche Körper, das wichtigste Thema der „großen Kunst“ wird thematisiert. Oft bedienen sich die Künstlerinnen ihrer eigenen Körper, um so vom Objekt der männlichen Begierden zur selbstbestimmten Entwerferin des eigenen Bildes zu werden. So etwa die früh verstorbene, aber einflussreiche Francesca Woodman mit ihren surrealistisch anmutenden Fotografien. Frauen bedienten sich der neuen Medien Fotografie, Film, Video und Performance, um das Bild der Frau selbst zu entwerfen. Die neuen künstlerischen Ausdrucksformen waren historisch unbelastet. Sie erlaubten den Künstlerinnen ihre Anliegen besser zu formulieren und den Neuanfang zu wagen, jenseits der männlich dominierten Domäne der Malerei. Der alte bis dahin gängige männliche Blick auf den weiblichen Körper wird dekonstruiert, hinterfragt und subversiv unterlaufen. Die Künstlerinnen bekunden ihren Überdruß an klassischer Frauenrolle und patriarchalischer Bevormundung. Es ging um ein neues Selbstverständnis, um ein neues Bild der Frauen von sich selbst, als auch im Blick von außen.
In Zusammenarbeit mit der römischen Nationalgalerie für moderne Kunst wurden die Werke großzügig und elegant auf weiß getünchten Wänden im erhabenen Palazzo delle Belle Arti gezeigt. Das 1911 für die internationale Ausstellung von Cesare Bazzani erbaute Haus ist seit 1915 Sitz des Museum. Es lohnt wegen seiner spannenden Sammlung moderner italienischer Kunst den Besuch. Danach kann die vom Kunstgenuß müde gewordene Besucherin auf einer der elegantesten Terrassen Roms ihren Aperitivo trinken und über die Kunst sinnieren. Wir Männern können das auch. Vive l’égalité!
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Ausstellung: „DONNA: AVANGUARDIA FEMMINISTA NEGLI ANNI ’70 dalla Sammlung Verbund di Vienna“, 19. Februar bis 16. Mai 2010 in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom
Katalog: DONNA: AVANGUARDIA FEMMINISTA NEGLI ANNI ’70 dalla Sammlung Verbund di Vienna. hrsg. von Gabriele Schor, Electa, Rom 2010, 256 S., ISBN 978-88-370-7414, Text in engl. & ital. Sprache, 40,00 €
Der aufwendig gemachte zweisprachige Katalog stellt jede Künstlerin in einem kurzen Artikel vor. Gabriele Schor erklärt die Notwendigkeit einer Neueinschätzung der gezeigten Künstlerinnen als Feministische Avantgarde und Abigail Solomon-Godeau schreibt über die Künste des Feminismus. Am Ende des Kataloges wird jede Künstlerin mit eine Biographie bedacht und es findet sich eine Liste mit allen bis dato in Italien stattgefundenen Ausstellungen, die sich der Kunst von Frauen gewidmet haben: 26 seit 1974!
Internet: www.gnam.arti.beniculturali.it