In Punkto Beliebtheit kann ihm unter den Altmeistern nur der ältere Botticelli das Wasser reichen. Bei beiden gibt es Stilwechsel, die gerne biographisch erklärt werden. Beide waren Zeit ihres Lebens äußerst erfolgreich. Botticelli war der meistkopierte Maler im Florenz des 15. Jahrhunderts, in Caravaggios Stil arbeiteten gleich vier Dutzend Künstler, die sogenannten Caravaggisten, darunter Artemisia Gentileschi, Annibale Caracci oder Bartolomeo Manfredi. Original und Schule fielen nach ihrem Tod in einen Dornröschenschlaf, aus dem Caravaggio erst vor 100 Jahren mit einem Artikel von Lionello Venturi sanft geweckt wurde. Damit begann die wissenschaftliche Debatte über Caravaggio, die in jüngster Zeit zu einem wahren Tsunami anwuchs. Bis heute haben sich 4000 Stimmen gefunden die verschiedentlich über Caravaggio geschrieben haben. Der Maler genießt damit eine Popularität, wie sonst nur die Impressionisten. Die steigende Beliebtheit (vermutlich auch der Marktwert) führten zu einer inflationären Zuschreibung von Werken. Um Klarheit zu schaffen, zeigt die römische Ausstellung nur Gemälde, die zweifelsfrei dem Meister zugeschrieben werden. Das ist ungewöhnlich, da gerne mal eine Ausstellung mit dem großen Namen lockt, und dann neben einer Reihe von Bildern aus dem Umkreis Caravaggios nur ein einziges eigenhändiges Werk vorweisen kann.
Den Auftakt der Ausstellung bildet der Mailänder Fruchtkorb (Ende 16. – Anfang 17. Jh). – unsere Abbildung. Es handelt sich um eines der allerersten Stillleben. Hier zeigt Caravaggio dass er es mit der antiken Malerei aufzunehmen weiß, in der die naturgetreue Wiedergabe der realen Welt, die Mimesis, Legende war. Kardinal Federico Borromeo, in dessen Besitz der Mailänder Fruchtkorb war, und den er für unvergleichlich vollkommen hielt, läßt sonst kein gutes Haar am neuen Michelangelo, weil jener das Decorum verletze:
„Bei ihm kommt die Kneipe zum Vorschein, die Prasserei, nichts Erhabenes; ganz im Gegenteil zu Raffael.“ (Kardinal Federico Borromeo, 1625)
Dachte Borromeo hier an eine der beiden Versionen des Emmausmahls, die beide in der Ausstellung hängen oder doch eher an die Werke der Caravaggisten? Er verhalf jedenfalls einer schwarzen Legende um die Figur des Malers Nachschub, die von Sybille Ebert-Schifferer in ihrer unlängst erschienenen Caravaggio-Biographie eindrücklich zerlegt wird, um uns die Werke besser sehen zu lassen. Die frühere Version des Emmausmahls aus der Londoner Nationalgalerie (1601) ist so pathosbeladen, dass man unwillkürlich an das moderne Tanztheater denkt und sich wundert, was die Zeitgenossen damals so natürlich an Caravaggios Bilder fanden. Die spätere Version aus der Mailänder Brera (1606) ist auf den ersten Blick weniger dramatisch, weniger gestisch, kein Tanztheater, keine Pantomime. Diese Fassung ist reduzierter, schlichter, hat eine geringere (körperliche) Bewegtheit, dafür aber eine gesteigerte psychologische Durchdringung.
Mit 24 ausgestellten Bildern scheint die römische Ausstellung klein, doch so viel Caravaggio war seit fünfzig Jahren nicht an einem Ort zu sehen. Rechnet man zu den 24 ausgestellten, jene sonst noch in Rom befindlichen Gemälde Caravaggios hinzu, kann man derzeit über zwei Drittel der zweifelsfrei dem Meister zugeschriebenen Werke in Rom sehen. Jedes Bild wird von einem anderen Kunsthistoriker in einem eigenen Katalogbeitrag gewürdigt. Die Autorenliste liest sich wie ein Who is Who der Caravaggio-Forschung. Die Ausstellung zeigt auch schwer zugängliche Werke, wie die Musiker (1594-1595) aus New York, den Lautenspieler (1595-1596) aus Sankt Petersburg, die Falschspieler (1595) aus Forth Worth, Texas, Johannes den Täufer (1603) aus Kansas City oder die dramatische Bekehrung Pauli (1600-1601) aus einer römische Privatsammlung, auf der sich eine der wenigen Landschaftsdarstellungen des Meisters befindet. Einziger Schwachpunkt der völlig überlaufenen Ausstellung ist die, wie so oft in Rom, katastrophale Ausleuchtung der Werke: anstelle des natürlichen Lichts sind die Werke in schummeriges Kunstlicht getaucht. Die mal mit gelben, mal mit weißen Birnen bestückten Spots werfen grelle Lichtflecken auf die Gemälde. Die unterschiedlichen Lichtstärken mögen vielleicht konservatorisch bedingt sein, insgesamt erschwert die Beleuchtungssituation aber den Vergleich der Farbigkeit und des Lichtes in den Bildern selbst.
Dass sich keines der noch in situ befindlichen Altarretabel in der Ausstellung befindet, ist ein bewusster Schachzug der Ausstellungsmacher: man soll sich in die Kirchen Roms begeben um die Werke vor Ort zu erleben. Wer das Glück hat, rechtzeitig vor den Touristenströmen in Santa Maria del Popolo, San Luigi dei Francesi und Sant’Agostino zu sein, die immer die Lichtschalter drücken. um die Altarbilder vermeintlich besser sehen zu können, wird eine erstaunliche Erfahrung machen: hat sich das Auge erst einmal an jenes Licht gewöhnt, für das die Bilder gemalt wurden, treten die Figuren aus ihrem malerisch reduzierten, dunklen Hintergrund hervor und werden lebendig. Bisweilen lohnt es sich, Zeit mitzubringen. Am besten gleich zwei oder drei Tage, denn neben den Kirchen locken der Palazzo Doria Pamphilj und die Borghese-Galerie, wo man die Caravaggios inmitten der wiederhergestellten barocken Hängung regelrecht suchen muss. Und sattsehen kann man sich doch nicht. 1951 hatte Roberto Longhi den Künstler mit seiner berühmten Mailänder Ausstellung in vergleichbarer Weise geehrt. Man muß jung sein, will man sich die Römische Ausstellung entgehen lassen und auf das nächste halbe Jahrhundert warten..
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Ausstellung: „Caravaggio“ bis zum 13. Juni 2010 in den Scuderie del Quirinale in Rom
Katalog: Caravaggio, hrsg. von Claudio Strinati, Skira, Mailand 2010, 248 S., 74 Abb., ISBN 978-88-572-0520-5 ital., -0458-1 engl., 49,00 €
Internet: www.scuderiequirinale.it