Die Dramatikerin Rebekka Kricheldorf ist seit 2009 Hausautorin, Dramaturgin und Mitglied der Künstlerischen Leitung am Theaterhaus Jena, das Kricheldorfs Stück „Villa Dolorosa“ nach Berlin brachte.
Beide Stücke wurden 2009 uraufgeführt, in beiden wird aus Tschechows Drama „Drei Schwestern“ zitiert, in Heckmanns’ Stück treten ausschließlich und in Kricheldorfs Stück vorrangig Frauen auf. Rebekka Kricheldorf hat, wie sie im Vorgespräch äußerte, „Drei Schwestern“ von Tschechow „verwurstet“. Martin Heckmanns’ Reservoir waren die Biographien von drei Schauspielerinnen am Staatsschauspiel Dresden.
Regina Jeske und Helga Werner sind seit fast vierzig Jahren Mitglieder des Dresdener Ensembles, kennen einander sehr gut und haben das Dresdener Theater mitgeprägt. Dritte im Bunde war ursprünglich Vera Irrgang, die jedoch während der Proben erkrankte. Ihre Rolle übernahm Hannelore Koch, mehr als zehn Jahre jünger als ihre Kolleginnen, mit ihnen und dem Staatsschauspiel Dresden aber seit immerhin rund 30 Jahren verbunden.
Der Text, den Martin Heckmanns, ausgehend von Gesprächen mit den drei Schauspielerinnen, für sie verfasst hat, ist im Programmheft abgedruckt. Er ist übersichtlich nach Zeiten und Themen geordnet, bietet inhaltlich nichts Überraschendes und ist sprachlich hölzern zusammengedrechselt. Bei dem Bemühen, gelegentlich Pointen einzustreuen, sind Wortkonstruktionen herausgekommen wie „abgedroschene Regiediktatorinnenkarikatur“.
Damit konnte auch Regina Jeske keinen Lacher einfahren, obwohl es ihr und ihren Kolleginnen dennoch gelang, die Kopfgeburt von Martin Heckmanns in lebendiges Theater zu verwandeln. Sie sind wundervolle Komödiantinnen, alle drei, und jahrzehntelange Bühnenerfahrung bedeutet, die eigene Haut auch unter schwierigen Umständen wirkungsvoll zum Markt zu tragen.
„Ein Theaterprolog für drei Schauspielerinnen“ lautet der Untertitel des Stücks, das in der Inszenierung von Simone Blattner auf der Vorbühne der Kammerspiele zu sehen war.
Kostümbildnerin Dagmar Fabisch hat Hannelore Koch und Helga Werner zu Beginn mit Kleidern aus dem Stoff des Vorhangs ausgestattet, während Regina Jeske, leger gewandet, sich mit langohriger Fellmütze als alte Theaterhäsin präsentiert.
Zunächst erscheinen die Drei deutlich als unterschiedliche Charaktere: Regina Jeske handfest und volkstümlich, Helga Werner damenhaft majestätisch und Hannelore Koch leicht skurril und intellektuell, sie schlüpft auch ab und zu in die Rolle der Regisseurin.
Festgelegt sind die drei Schauspielerinnen jedoch nicht. Jede von ihnen beweist, dass sie ganz unterschiedliche Personen glaubhaft verkörpern kann. Bei aller Wandlungsfähigkeit ist jede der Drei auch eine starke, unverwechselbare Persönlichkeit, durch die sie in viele Rollen hineinschlüpfend, jeder ein ganz besonderes Gesicht verleihen kann.
Eine Stunde lang beherrschten die drei vitalen alten Damen die Vorbühne. Dann, nach einer weiteren Stunde, öffnete sich der Vorhang in den Kammerspielen für antriebslose, passiv dahinvegetierende VertreterInnen der jungen Generation, Menschen, die alle Möglichkeiten für einen guten Start ins Leben bekommen haben und nicht imstande sind, etwas daraus zu machen.
„Villa Dolorosa. Drei missratene Geburtstage frei nach Tschechows ’Drei Schwestern’ heißt das Stück, in dem Rebekka Kricheldorf Tschechows Drama in die heutige Zeit transponiert und, bei aller offenkundigen Verliebtheit in das Original, doch etwas ganz Eigenes geschaffen hat, das vom Theaterhaus Jena unter der Regie von Markus Heinzelmann wirkungsvoll in Szene gesetzt wurde.
Als Projektion erscheint zu Beginn eine Ansicht der Villa der Familie Freudenbach von außen, ein verwinkeltes, verfallenes Spukschloss. Der von Gregor Wickert gestaltete Wohnraum, spärlich möbliert und ganz in weiß gehalten, vermittelt dagegen den Eindruck von puristischer Eleganz. Nur der Wintergarten im Hintergrund wirkt wie ein nostalgischer Ort zum Träumen.
Die drei Schwestern Olga, Irina und Mascha sowie ihr Bruder Andrej leben im ererbten Haus mit den elitären Ansprüchen, die ihnen von ihren früh verstorbenen Eltern beigebracht wurden. Dabei fühlen die Geschwister sich nicht wohl, begehren auf gegen die allzu viele Kultur und die klassische Musik mit der sie aufgewachsen sind, auch die Namen sind ihnen peinlich, mit denen sie von den literaturbegeisterten Eltern versehen wurden.
Andererseits können die Geschwister sich keine für sie akzeptable Möglichkeit vorstellen, ihre Kunstwelt zu verlassen oder auch nur zu verändern.
Dass Olga als Lehrerin tätig ist, wird als nicht angemessen empfunden, obwohl sie damit Geld verdient, das dringend gebraucht wird. Nur haben die Kinder der Familie Freudenbach gelernt, das Geld zu verachten.
Noch unangemessener sind Maschas Lebensumstände. Sie hat einen von Olgas langweiligen Kollegen geheiratet und schrubbt in ihrem ehelichen Heim die Fußböden. Das ist so peinlich, dass die frustrierte Mascha auch noch einen Schritt weiter gehen, die Notwendigkeit von bezahlter Arbeit erkennen und diese ausüben kann. Maschas Ausflüge in die Arbeitswelt sind jedoch immer nur sehr kurz und unbefriedigend.
Bruder Andrej plant einen Roman, über den er gern spricht, ohne mit dem Schreiben voranzukommen.
Die nutzloseste Existenz unter den Geschwistern ist Irina, eine ewige Studentin, deren Aktivität sich darauf beschränkt, ab und zu die Studienfächer zu wechseln.
Dreimal feiert Irina im Stück ihren Geburtstag, und jeder dieser Festtage ist eine Enttäuschung für sie. Am Schluss wird Irina dreißig ohne sich für erwachsen zu halten. Die renovierungsbedürftige Villa zerbröckelt, aber obwohl Irina oft genug gesagt wird, dass sie nicht, wie Pippi Langstrumpf, von ihrem Vater einen Koffer voll Gold bekommen hat, will Irina nicht akzeptieren, dass sie sich selbst um ihren Lebensunterhalt kümmern muss.
Dabei vergeht die Zeit. Andrej heiratet Janine, eine von den Schwestern als unerträglich empfundene Frau aus der Unterschicht, die noch dazu Kinder bekommt, und Mascha verliebt sich in Andrejs Freund Georg. Selbstverständlich endet diese Liebesgeschichte unglücklich, obwohl, oder gerade weil, der charmante Spinner Georg (Mohamed Achour) mit seiner Lebensuntüchtigkeit sehr gut in die Familie Freudenbach hineinpassen würde.
Janine dagegen kommandiert und passt überhaupt nicht. Anne Haug als Janine bringt frische Farbe ins Spiel und wirkt durchaus nicht unsympathisch.
Zauberhaft ist Zoe Hutmacher als Mascha, temperamentvoll, verträumt und meistens ein bisschen bedrückt und schuldbewusst.
Vera von Gunten überzieht gelegentlich als naiv-verbiestertes Plappermaul Olga, und Saskia Taeger befremdet mit allzu ausladenden Bewegungen und zu breiter Sprache. Sie kann allerdings auch sehr schnell sprechen und dabei hervorragend Pausen und Pointen setzen.
Am Schluss sitzen die Geschwister plaudernd beisammen, und dabei wirkt sogar der bis dahin sehr hölzerne Andrej (Ralph Jung) erfreulich entspannt.