Vorneweg aber ein Wort zum Museum selbst, das fünf Jahre nach der Eröffnung schon eine Million Besucher zählen konnte. Das ist ungeheuer viel für eine private Institution, die nicht an der Schnellbahnstrecke einer Großstadt liegt, sondern zu der man die Anstrengung der Anreise auf sich nehmen muß, was man tut, denn die Ausstellungen sind etwas Besonderes. Vor allem finden sie in einem besonderen Museum statt. Der von Richard Meier gebaute weiße Musentempel inmitten einer besonders grünen Natur, gelegen an der Lichtentaler Allee, die allen Lesern von Otto Flake wohlbekannt ist, entzückt jeden, der in ihm weilt. Darüberhinaus ist das weiße Gebäude aus Glas und Mauern, das man auf den ersten Blick nicht als museumstauglich identifiziert, wohl doch sehr ’bespielbar`, wie man in der Fachsprache sagt, denn tatsächlich bleibt es zwar von außen bei allen Ausstellungen gleich und in der Struktur vom Untergeschoß bis zum 2. Stock auch, aber das Raumgefühl wechselt von Ausstellung zu Ausstellung, je nachdem, was zugehängt und welche Sichtperspektiven sich ergeben.
Wenn sein Erbauer, Frieder Burda, deshalb vom Meisterwerk spricht, und auch davon, daß das Gebäude „heute noch“ hochmodern, qualitativ hochwertig und genauso attraktiv ist wie am ersten Tag“, so spricht er den Besuchern aus der Seele. Denn es gibt sogar mindestens zwei Kunstfreunde, die in der Gegend ansässig jede Ausstellung besuchen, die ihnen nicht so wichtig ist, aber wichtig eben, sich in diesem lichtdurchfluteten Museumsbau aufzuhalten. Falsch wäre allerdings, daraus zu schließen, daß die Architektur die erste Geige spielte und die Kunst nachrangig erscheinen ließe. Ganz und gar nicht. Das Überraschende ist eben, daß der Meierbau so anpassungsfähig ist und zuläßt, statt zu dominieren.
Unter den Gründen, die zu einer Million Besucher führen, wovon andere Museen nur träumen, ist der Bau auch nur einer, wie Kunstsammler Frieder Burda (73) betont, wenn er das Ausstellungsprogramm und die Qualität seiner Kunstsammlung als ausschlaggebend benennt und sich freut: „Das ist ein Erfolg, mit dem wir in dieser Dimension nie gerechnet hätten. Wir haben uns eine hohe Reputation erarbeitet, obwohl wir ein kleines Museum in einer kleinen Stadt sind.“ Wer hatte nicht alles schon Einzug gehalten im weißen Bau: Max Beckmann, der späte Picasso, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Marc Chagall. Richtig ist, daß der Bau sich für monographische Ausstellungen besonders anbietet, aber auch „Künstler der Kaiser“ oder „Skulpturen der Maler“ und junge Maler zogen Massen an. Das sind Ausstellungen, in denen Frieder Burda seine eigene Sammlung immer wieder integriert. Das Museum ist auch durch die Zweisprachigkeit perfekt darauf eingerichtet, daß rund zwanzig Prozent seiner Besucher aus Frankreich kommen.
Nun also Georg Baselitz, der mit rund 140 Kunstwerten eingezogen war in Baden-Baden und seine eigene Ausstellung mitkuratiert hatte, zusammen mit Götz Adriani – unvergessen seine Ausstellungen, insbesondere die von Paul Cézanne in Tübingen – für das Museum/Malerei und mit Karola Kraus für die Staatliche Kunsthalle/Skulpturen. Nein, die Welt des Georg Baselitz stand nicht immer Kopf und auch in Zukunft bleibt er vielfältig. Allerdings war es diese Idee, vom wechselseitigen Verhältnis des Kopfes und der Füße die nur einem deutschen Künstler einfallen konnte, denkt man, wenn man sich erinnert, daß es Karl Marx war, der die Hegelschen Thesen vom Kopf auf die Füße stellen wollte, die also Baselitz nun anschaulich in Menschengestalt wieder auf den Kopf stellt.
Das gilt allerdings nur für seine Gemälde. Denn die Skulpturen stehen ordentlich auf ihren Beinen oder haben den Hals auf einem Sockel aufgestützt. Nur „Kopf, 1979-1984“ – warum braucht man fünf Jahre dafür, oder änderte er immer wieder? – liegt auf einer Platte auf vier Streben wie aufgebahrt. Allerdings nur der Kopf, was wir nicht gewohnt sind, weil wir zwar das Abschneiden am Hals aus den Porträts kennen, aber im Liegen ist das etwas ganz anderes und verstörend. Und so geht es uns auch mit der Klobigkeit seiner Skulpturen, denen man den Werkprozeß ansehen soll. Das Hauen und Stechen liegt bloß auf dem Holz, nackt und ungeschlacht und die roten Farbstellen auf den Brüsten bei „Frau Paganismus“ von 1994, Katalog Seite 171, die rote Scham auf der Vorseite oder Genitalien und Brüste in Rot auf den Seiten 166 und 167 wirken obszöner denn Fotografien, obwohl man sozusagen nichts sieht und das alles in unserer Vorstellung stattfindet. Was wir bei den Skulpturen am erstaunlichsten fanden, war die große Begeisterung der Betrachter. Wir tun uns damit viel schwerer.
Bei den Gemälden sieht das ganz anders aus. Götz Adriani erklärt im Katalog „Unterwegs zum Gegen-Stand“ und im Gespräch mit dem Künstler, wie es zur Malentwicklung des Georg Baselitz kam, der bürgerlich nicht so hieß, sondern als Hans-Georg Bruno Kern in Deutschbaselitz 1938 in Sachsen geboren wurde. Er hat ordentlich in Ostberlin Kunst studiert, wurde aber wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ 1957 von der Hochschule relegiert und ’machte nach drüben`, nach Westberlin. Seit 1961 trägt er den Künstlernamen Georg Baselitz und wurde über die Jahre und Teilnehmer an der documenta 5 in Kassel und verschiedenen internationalen Kunstausstellungen einer der Künstler der Bundesrepublik, die diese repräsentieren.
Blättert man im Katalog nun noch einmal chronologisch seine Gemälde durch, die im Museum Frieder Burda übergroß an den Wänden hingen, so sieht man eine Entwicklung aus verschwimmenden Farben und Formen und späterem puppenhaften Amorphen hin zu einer gegenständlichen Malerei, „Der neue Typ“ von 1965, wo breitschultrige Männer die Welt aus den Angeln heben, allerdings sieht diese Welt schon einigermaßen kahl und zerstört aus. Sei es „Ein Versperrter“ oder „Versperrter Maler“, beide von 1965, immer liegt eine Militanz im Ausdruck, aber auch eine Ausweglosigkeit, die im Innehalten oder der gebückten Haltung in „Schwarz Weiß“ 1966 zum Ausdruck kommt. Uns beschäftigen diese Bilder am meisten, auch wenn heutzutage die Kopffüßler das Rennen machen. Interessant auch die Papierarbeiten, die zeigen, daß einer wie Georg Baselitz es in jedem herkömmlich Medium probiert, denn wenn man innen etwas hat, was man zum Ausdruck bringen will, dann ist nicht mehr wichtig, ob man die Leinwand, das Papier oder Holz nimmt. Hauptsache. Man tut es.
Kataloge:
Baselitz. 50 Jahre Malerei, hrsg. von Götz Adriani, Hatje Cantz 2009
Skulpturen, Werkverzeichnis, hrsg. von Karola Kraus, Distanz Verlag Berlin 2009
Internet: