»Sie wollen den gesellschaftlichen Wandel. Sie können starre gesellschaftliche Strukturen aufbrechen und anderen Menschen und Ideen eine Chance geben.« – »Sie sind Lehrer, die uns verlorene Werte zurückbringen.« – »Wo sie erfolgreich sind, verändern sie die Gesellschaft.« – »Sie gelten als die Helden einer neuen, wertorientierten Gesellschaft.« Sie – das sind Sozialunternehmer (social entrepreneurs), die »mit neuen Ideen in die großen Metropolen der Industrieländer wie auch in die Armenhäuser dieser Welt kommen«, um (laut Presseinformation) »innovative unternehmerische Lösungen für drängende soziale Probleme zu finden und umzusetzen.«
Wer das hört, könnte glauben, der Messias sei erschienen. Worum geht es? Ein nicht näher definierter internationaler gemeinnütziger Verein »ASHOKA« mit Sitz in Arlington/USA sucht findige Leute mit Initiative, die es unternehmen, mit Unterstützung von ASHOKA sozial ausgegrenzte oder straffällig gewordene arbeitslose Menschen an sozialen Brennpunkten wieder fit zu machen für den Arbeitsmarkt. Drei werden vorgestellt: Ein junger französischer Beamter, der in den Pariser Vorstädten arbeitslose Einwanderer mit Diplom sucht, um sie in Führungspositionen großer französischer Unternehmen zu bringen (warum es Führungspositionen sein müssen, bleibt schleierhaft). Ein argentinischer Lehrer gründet in den Favelas eine Schule, um aus jungen Drogendealern Lehrer zu machen. Die deutschen Unternehmer Rupert Voß und Werner Makella betreiben seit 2002 in Taufkirchen bei München eine Jugendwerkstatt, in der sie jugendliche Straftäter durch praktische Arbeit und durch Boxtraining in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt integrieren – nicht ohne Erfolg, denn von 130 betreuten Jugendlichen haben sie 90 in bezahlte Arbeit gebracht.
Nun mag jedes Projekt löblich, ja notwendig sein. Zu hinterfragen sind nur die Maßstäbe, die der Film vorgibt – nichts Geringeres, als die Gesellschaft zu verändern. Bei vier Millionen registrierten Erwerbslosen in Deutschland gelingt es nicht einmal der alterfahrenen SPD, große Losungen wie die Halbierung der Arbeitslosigkeit auch nur ansatzweise zu realisieren. Sicherlich würden sich Kurt Beck, Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier nach dem Scheitern ihrer Pläne ein Wunder wünschen, aber ein Rezept für die versprochene Weltveränderung bietet auch der TV-Film nicht.
Worauf der ASHOKA-Chef Bill Drayton seine Prognose stützt, die nächsten fünf Jahre wären vielleicht díe wichtigsten in der Geschichte der Menschheit seit der landwirtschaftlichen Revolution, fünf Jahre, in denen sich der Übergang von einer Welt der wenigen Akteure zu einer Welt vollzöge, in der jeder verändernd eingreifen könne, wird nicht begründet. Die Geschichte sah Revolutionäre mit großen Visionen, die Massen hinter sich versammelten, jedoch: Lenins Erwartung einer erfolgreichen Revolution in den westlichen Ländern zum Beispiel wurde trotz der revolutionären Krise 1917/18 enttäuscht. Der Enthusiasmus einiger Sozialunternehmer dürfte nicht ausreichen, Draytons Prognose zu erfüllen. Die Gesellschaft verändern nur Massenbewegungen wie in Rußland, China, Kuba und Venezuela (und das nicht ohne herbe Rückschläge). Dafür ist ASHOKA, abgesehen von seiner im Film nicht dokumentierten finanziellen Basis, um einige Nummern zu klein.
Nicht viel anders steht es mit der Dokumentation »Ein Laptop gegen die Armut« von Chiara Sambuchi. Sie will den Spuren eines »revolutionären Bildungsprojekts« folgen. Auf Initiative des amerikanischen Informatikers Nicholas Negroponte von der Massachusetts Universität werden in Lateinamerika und Afrika den Regierungen Laptops zu 100 Dollar angeboten, damit die Kinder mit dem Gerät Bildung erwerben können. In Peru sind vorerst 38 Schulen damit ausgerüstet, in Ruanda wurden 5000 Laptops verteilt. 120 000 sollen es werden. Kigali soll das Zentrum für die afrikanischen Länder werden. Der Professor hat die Vision, dass sich die Rolle des Kindes in der Gesellschaft wandelt. »Die Kinder lehren die Eltern. Sie werden die Gesellschaft verändern und erneuern.«
Wer die strahlenden Kinder in ihren nagelneuen Schuluniformen sieht, ist geneigt, ihm zu glauben. Stutzig machen die Worte des peruanischen Bauern: »Ohne Bildung keine Arbeit. Die Kinder sollen zur Schule gehen, so lange wir es uns leisten können.« Und wenn nicht? Offen bleibt, ob sie mit ihrem Wissen Arbeit finden und der Armut entrinnen werden. Von Gesellschafts-, Wirtschafts- und Machtstrukturen und welche Chancen sie den Kindern bieten, erfährt der Fernsehzuschauer nichts. Die Filme nehmen den seit Menschengedenken sich mühenden Weltverbesserern nichts von ihrer Außenseiterrolle.
Sollte sich in den Redaktionen von ZDF und ARTE jemand Gedanken machen, wie den Krisen und der allgemeinen Krise dieser Gesellschaft und mit ihr dem Übel der Dauerarbeitslosigkeit abzuhelfen wäre, könnte er die Lösungsversuche in China, Venezuela, Brasilien und die Sozialstaatsmodelle in Skandinavien (die nicht am kapitalistischen Eigentum rütteln) studieren und dokumentieren. Die gut gemeinten Versuche der Sozialunternehmer, ähnlich denen der in Deutschland propagierten Gründung von Kleinstgenossenschaften, sind dafür nicht tauglich.
1000 kleine Revolutionen. Unternehmer, die die Welt verändern. Dokumentation von Roland May. ARTE/ZDF, Deutschland 2009, 58 Minuten, 23. März 20.15 auf ARTE
Ein Laptop gegen die Armut. Dokumentation von Chiara Sambuchi. ARTE/ZDF, Deutschland 2009, 45 Minuten, 23. März 21.15 auf ARTE