Koch geht in seiner Würdigung auch darauf ein, daß sich Rebecca Horn im Grenzbereich verschiedenster Disziplinen bewegt. „Ihre wichtigsten Arbeiten spiegeln das Gleichgewicht zwischen Mensch und Raum wider und reflektieren kritisch historische und politisch aufgeladene Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit. Dadurch hat sich Rebecca Horn durch künstlerische Anstrengungen auch um das Nicht-Vergessen von Geschichte verdient gemacht.“, fügt der Landesvater dazu.
Rebecca Horn war für uns immer die Frau, die die Beweglichkeit der Figuren und Apparate, die Jean Tinguely vorgemacht hatte, also als Grundlage die Verwendung des Elektromotors, die also diese Beweglichkeit und absurde, aber zwanghaft durch die Maschine vollzogene Abläufe auf eine elegante, fast übersinnliche Ebene gebracht hatte. So richtig für uns entdeckt hatten wir sie bei ihrer großen Ausstellung in New York. Das war im Guggenheim Museum im Sommer 1994 und ihre Klaviere von der Decke in diesem weißen Schneckenbau sind eine der surrealsten Erinnerungsbilder, die man sich denken kann. Der Umgang der von ihr konstruierten Maschinchen, die mit schwarzer oder bunter Tinte alles mögliche an die Wand werfen, dort erstarren lassen und auch auf den Boden klecksen – Gebrauchsspuren eben – ist dann wieder etwas Spezielles, wo man beim eingerichteten Takt, in dem etwas geschieht, in einen Zustand der Erstarrung, einer echten Mediation gerät. Ach, es gibt soviel zu dieser Künstlerin zu sagen, die auch filmt, und immer den Körper, auch ihren eigenen, mitwirken läßt. Die große Ausstellung von 1994 war übrigens dann in der Nationalgalerie Berlin und auch der Kunsthalle Wien zu sehen. Der Zufall machte uns die Besichtigung aller drei Stationen möglich und war wieder einmal ein Paradebeispiel dafür, wie die überwiegend gleichen Werke durch neue Hängung und neue Gebäude und Räume eine andere Wirkung entfalten.
Völlig anders und exquisit auf den vorhandenen Raum bezogenen, dann ihre Ausstellung im Wiesbadener Museum „Jupiter im Oktogon“ über den Sommer 2007 hinweg. Natürlich gab es die Pfauenmaschine, aber auch die Zwillinge des Raben, zwei Feder-Metall-Konstruktionen, die ihren Zustand permanent verändern. Der Jupiter im Oktogon, der oben im Goldhimmel des Museums mit der Kuppel, prangte, bestand aus Stahl, vier Spiegeln, einem vergoldeten Trichter und Motoren. Was dort passierte, läßt sich mit dürren Worten nur völlig unzugänglich beschreiben, wie überhaupt die Kunst der Rebecca Horn eine ist, die man ansehen, sie erleben muß, denn darum macht sie sie ja und schreibt nicht Romane oder Artikel.
Zu ihren ortsbezogenen Installationen 1982-2005 ist bei Hatje Cantz das Buch „Rebecca Horn. Mondspiegel“ erschienen. Herausgegeben u.a. von Marion Ackermann, Kunstmuseum Stuttgart sind hier die über die Welt verteilten Installationen breit dokumentiert, so daß auch diejenigen, die die Ausstellungen versäumten und die Ausstellungskatalog nicht goutieren, sich an diesem Buch delektieren können. Das besondere ist wirklich, daß Rebecca Horn die Orte ihrer Kunstpräsentation nicht nur in das Werk mitaufnimmt, vorherbedenkt, sondern, daß sie Orte nicht nur als ästhetische Wahrnehmung aufnimmt, sondern sich auch deren Geschichte versichert. Erst ist es der eigene Körper, der den Raum mißt, dann sind es grausliche Orte wie der Zwinger in Münster, der einst Folterstätte der Nazis war und den sie als Erinnerung erträglich macht mit einer Installation und „Zwei Rauchfahnen tänzeln würdevoll durch den Raum, schweben hinter den beiden Ferngläsern, beobachten zwischen Raum und Dom den Prozeß mechanischen Tötens, in endloser Wiederholung.“ Das alles kann man nachlesen im bei Hatje Cantz erschienenen Kunstbuch.
Nun also der Hessische Kulturpreis, die dieser 1944 in Michelstadt geborenen Hessin wohl ansteht. Die Landesregierung und mit ihr die hessischen Einwohner freuen sich, daß es Rebecca Horn trotz ihres internationalen Erfolges und ihrer Wohnorte in Berlin und Paris immer wieder nach Hessen zieht. Im Odenwald betreibt sie weiterhin ein Atelier, die diesjährigen Maifestspiele in Wiesbaden werden mit ihrer Inszenierung von Richard Strauss ´ Oper „Elektra“ eröffnet. Der Verleihungstermin des mit insgesamt 45.000 Euro dotierten Preises wird in Absprache mit der Künstlerin noch bekanntgegeben.
Info zur Jury:
Der Jury des Hessischen Kulturpreises gehören neben Ministerpräsident Roland Koch und der Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, die folgenden Persönlichkeiten an: Dr. Ina Busch, Direktorin des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Carsten Dufner, Leiter E-Musik, Hessischer Rundfunk, Professor Peter Eschberg, ehemaliger Intendant von Schauspiel Frankfurt, der Mediziner Professor Dr. Manfred Kaufmann, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, der Architekt Professor Jochem Jourdan, Universität Kassel, Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt, der Anglist und Sprachwissenschaftler Professor Dr. Klaus Reichert, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Hellmut Seemann, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, Dr. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Dirk Schwarze, Autor für Kultur und Sonderthemen der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Kassel.
Info der Staatskanzlei zu Rebecca Horn
wurde 1944 im hessischen Michelstadt im Odenwald geboren. 1963 begann sie ihr Philosophie- und Kunststudium an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg und schloss dieses 1969 ab. Bereits 1968 entstanden erste Aktionen und Performances wie ihre Arm-Extension, in der sie das Gleichgewicht zwischen Mensch und Raum auslotete.
1971 erhielt Rebecca Horn ein einjähriges DAAD-Stipendium an der St. Martin ´s School of Art in London. Von 1972 bis 1981 lebte sie in New York und unterrichtete am California Art Institute an der Universität von San Diego. In dieser Phase begann sie ein Werk zu schaffen, das sich zu einem anwachsenden Strom aus Performances, Filmen, skulpturalen Raum-Installationen, Zeichnungen und Fotoübermalungen zusammenfügt.
Im Jahr 1972 wurde ihr Werk erstmals auf der documenta 5 in Kassel ausgestellt. Drei Jahre später erhielt sie den Deutschen Kritikerpreis für den Film „Berlin – Übungen in neun Stücken: Unter dem Wasser schlafen und Dinge sehen, die sich in weiter Ferne abspielen“. Als weitere Auszeichnungen konnte Horn 1977 den Kunstpreis Glockengasse, Köln und 1979 den Kunstpreis Böttcherstraße, Bremen in Empfang nehmen. In den 1980er- und 1990er-Jahren entstanden große Raumarbeiten, die einen historisch und politisch aufgeladenen Ort zum Ausgang hatten. Beispiele hierfür sind „Das gegenläufige Konzert“ (1997) in Münster, der „Turm der Ahnungslosen“ (1994) in Wien oder der „Spiegel der Nacht“ (1998) in Köln.
In dieser Schaffensperiode wurde Rebecca Horn mit zahlreichen weiteren Preisen gewürdigt. So erhielt sie 1986 den documenta-Preis in Kassel und 1988 den Carnegie Prize auf der Carnegie International in Pittsburgh für „The Hydra Forest, Performing Oscar Wilde“. 1992 wurde Horn als erste Frau Trägerin des Kaiserrings von Goslar. Seit 1993 ist Rebecca Horn Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und lehrte dort von 1989 bis 2009 als Professorin an der Hochschule der Künste. Im Jahr 2007 erhielt sie den Alexej von Jawlensky-Preis der Stadt Wiesbaden.
In den neueren Arbeiten verwandeln sich atmosphärische Energien wie Klangstrukturen „zu einer Immaterialität von Räumen neu geschaffener Energien“, so Horn auf ihrer Internetseite. In der Außen-Installation „Spiriti di Madreperla“ (2002) verwandelte sie den größten Platz Italiens, die Piazza del Plebiscito in Neapel, in einen Raum, der von einem Magnetfeld umschlossen ist: In nachtblauer Höhe schwebten perlmuttschimmernde Lichtringe und zwischen die Pflastersteine wurden aus Eisen gegossene Totenköpfe gesetzt. Auch die Arbeit „Licht gefangen im Bauch des Wales“ (2002) gehört in diesen Zyklus von Raum- und Lichtinstallationen.
Rebecca Horns Arbeiten waren in Einzelausstellungen in führenden internationalen Institutionen zu sehen: in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (1981), dem M.O.C.A. Los Angeles (1990), dem Guggenheim Museum New York (1993), der Nationalgalerie Berlin (1994) oder der Tate Gallery London (1994). Ihre jüngste Ausstellung „Rebellion in Silence. Dialogue between Raven and Whale“ wurde von Oktober 2009 bis Februar 2010 im Museum of Contemporary Art in Tokio gezeigt. Bei den diesjährigen internationalen Maifestspielen in Wiesbaden eröffnet Rebecca Horns Inszenierung von Richard Strauss‘ Oper «Elektra» den Reigen. Bereits 2008 hat sie sich mit ihrem Opernregiedebüt bei den Festspielen in Salzburg einen Namen gemacht. Ihre Interpretation von Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“ fand sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum großen Anklang.
Rebecca Horn zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen der zeitgenössischen deutschen Kunst, die Frankfurter Allgemeine Zeitung feiert sie als „Meisterin aller Klassen, die auf souveräne Weise die Qualität jeder Kunstfertigkeit mit der des Nachbarmediums zu verschränken weiß“.