Ali (Rafi Pitts) ist aus dem Gefängnis entlassen – wieder einmal kann man nur sagen, angesichts dieser vielen Berlinalebeiträge mit straffälligen jungen Männern aus miesem häuslichen Umfeld, ihrem Frust, aus der Gewalt entsteht und dann ein Film. Doch hier ist es anders. Wir wissen zwar nicht, warum Ali im Gefängnis saß, aber wir bekommen im Film hautnah mit, was ihn dazu treibt, daß er ein Polizistenmörder wird und dann nach seiner Flucht und Gefangennahme in Polizeiuniform erschossen wird – wenn man den Worten des Darstellers glaubt. Doch davon später. Wir wissen also nicht, warum Ali im Gefängnis saß, aber wir erfahren, daß die einzige Arbeit, die er bekommt, die Nachtwache in einer Fabrik, nicht einem Arbeiter angetragen wird. Und auch seine Frau Sara (Mitra Haijar) macht einen gebildeten Eindruck, mit der er zusammen mit Tochter Saba glücklich n Teheran ist. Bis zu dem Tag, als beide nicht da sind, als er von einem Ausflug ins Gebirge nach Hause zurückkehrt.
Nach langem Warten geht er zur Polizei, wird dort kaum beachtet, denn es hat eine große Demonstration gegeben, die als Chaos auf der Wache nachwirkt. Schließlich hört er, seine Frau sei tot, Folge der Demonstration, wobei die Polizei von ihm wissen will, ob er alles über seine Frau wisse, weil sie diese für eine potentielle Politische hielten und ihn gleich mit. Das Kind ist verschwunden. Das interessiert die Polizei nicht, die es nicht einmal aufnimmt. Sofort beginnt Ali mit der Suche, die nach zwei Tagen im Fiasko endet. Auch die Tochter ist tot. So teilt es die Polizei mit. Ali rastet aus und tötet zwei Polizisten mit seinem Gewehr, das er auch immer nutzt, wenn er ins nicht heimelig dargestellte, sondern eher bedrohliche Gebirge fährt, um die Einsamkeit zu genießen und zu jagen. Mit dieser Einstellung fängt der Film übrigens an. Jetzt also ist das Gebirge für ihn Zufluchtsort vor der heranrückenden Polizei.
Keine schlechte Aktion, was da über die Straßen braust, sein ziviler Wagen vorneweg und der Streifenwagen hintennach. Ali überschlägt sich endlich, bleibt aber leicht hinkend am Leben und flieht in den Wald, wo ihn zwei weitere Polizeibeamte stellen. Und jetzt beginnt eine spannende Geschichte in der Geschichte. Hassan (Hassan Ghal’e Noui) und Nazem (Gholamreza Rezaei ) heißt das ungleiche Paar, das den Gefangenen zurücktransportieren soll. Allein sie haben sich im Wald verlaufen, bei strömendem Regen, was so gut inszeniert ist, daß man selber ins Frieren kommt. Die Stimmung wird immer gereizter zwischen beiden Kollegen und Nazem, der den Boß mimt, will Ali gleich erschießen, schließlich hat dieser Kollegen umgebracht. Das verhindert Hassan entschieden und mehrfach, dem Nazem daraufhin androht, was er über ihn auf der Wache melden werde.
In einer Hütte haben alle Unterschlupf gefunden. Nazem kettet Ali mit Handschellen an, macht Feuer und schläft tief. Hassan aber löst die Metallfessel und schiebt Ali eine Pistole zu, mit der dieser Nazem erschießen soll. Einerseits hat er Mitleid mit Ali, weil er von der toten Frau und dem toten Kind weiß, andererseits haßt er seinen Kollegen und hat Angst vor seiner Meldung. Der erwachte Nazem schaut nach dem Gefangenen, der ihn mit der Pistole in der Hand auffordert, sich seiner Uniform zu entledigen und ihn ankettet, also leben läßt. Anschließen verläßt er in Uniform die Hütte und wird von dem auf Lauer liegenden Hassan erschossen. Ende gut. Alles schlecht. Aber auch alles verwirrend.
In dieser Abschlußszene liegt das Changierende in der Meinungsbildung des Zuschauers. Denn, wenn der gute Cop Hassan auf einmal Ali überraschend einen Auftragsmord am Kollegen unterschiebt und so zum zweiten bösen Cop wird, fällt für den Zuschauer eine Maske, die durchaus so interpretiert werden kann, daß besagter Hassan danach gezielt auch Ali erschießen kann, schließlich wird er dafür sogar belobigt werden, ist dieser doch mehrfacher Polizistenmörder, eben auch an Nazem. Welches Gesicht Hassan macht, als er erstens Ali tot und zweitens Nazem lebendig vorfindet, liegt zeitlich nach dem Film, der hier schon aus ist, auch wenn der Zuschauer ihn weiterspinnen muß, weil die Geschichte für ihn ein Ende haben muß.
Regisseur und Darsteller allerdings haben nicht auf Ali in Uniform gezielt, sondern auf die Uniform und damit auf den Uniformträger Nazem, den sie in der Uniform vermuteten. Demnach hätte Hassan geglaubt, der Anschlag auf Nazem sei mißglückt und Ali tot im Haus. Haben Sie alles verstanden? Denn, wenn nicht, suchen Sie sich aus, was Sie verstehen möchten, denn das ist die Weisung des Regisseurs. Rafi Pitts sprach sehr eindringlich und aufrichtig über die Lage in seinem Land. Den Film hat er seit 2007 im Kopf. Er selbst ist tatsächlich Verfasser des Drehbuchs, inszenierte den Film und spielt die Hauptrolle. Das aber hat sich erst ergeben, nachdem er von der Zensur akzeptiert, noch vor den Unruhen am 12. Juni 2009 mit dem Drehen begann, weil er schon am ersten Drehtag spürte, daß es mit dem vorgesehenen Hauptdarsteller nicht hinhaue.
Die Idee zu dem Film sei ihm durch die politische Situation in Persien gekommen in Verbindung, daß in seinem eigenen Dorf vor vielen Jahrzehnten es tatsächlich Polizistenmorde gegeben habe und er auf die Gegenwart mit dieser kafkaesken Situation reagieren wollte, wo sich im Film auf einmal die Verhältnisse umdrehen, aber es abschließend keine guten Menschen und keine bösen gibt. Der widerliche Nazem beispielsweise stellt sich bei seiner eigenen Fesselung durch Ali viel besser an, als man geglaubt hätte. Er behält seinen dreisten Ton bei und bettelt nicht um Gnade, was man bei einem so autoritären Charakter vermutet hätte. So gelingt es dem Regisseur vieles gegen den Strich zu sehen und zu interpretieren. Das will er auch. Er will, daß die Menschen miteinander reden, wenn schon nicht im Film, denn in dem herrscht über lange Passagen Schweigen, dann aber endlich im Iran.
Iranischer Titel: Shekarchi
Englischer Titel: The Hunter
Deutscher Titel: Zeit des Zorns
Land: Deutschland/Iran 2010
Regie: Rafi Pitts
Darsteller: Rafi Pitts, Mitra Haijar, Hassan Ghal’e Noui, Gholamreza Rezaei
Bewertung: * * *