Dies Skizzenbuch, dessen einzelne Blätter in Hamburg hängen, weist Carl Blechen als sensiblen Erfasser von den Veränderungen aus, die das Licht zu unterschiedlichen Zeiten auf Gegenstände wirft: inwiefern also das Sonnenlicht die Umgebung, die Häuser, die Bäume, das Gras, die weite Landschaft verändert. Das allerdings ist eine künstlerische Fragestellung, die im 19. Jahrhundert erst sehr viel später mit der Pleinairmalerei der Franzosen eine allgemeine Anerkennung findet. Und so sieht man einigermaßen erstaunt, daß Carl Blechen längst diese Fragen in seinen Blättern beantwortet, die Jahrzehnte später gestellt werden. Im Ernst, unter diesen Ausstellungstücken sind Blätter, die so wunderbar Landschaften und Gebäude im Licht einfangen, daß man sie am liebsten direkt abhängen und mitnehmen möchte, so sehr erfreuen sie das Auge und das Gemüt. Dabei fällt einem schnell auf, daß es nicht der Bleistift ist, der solche Meisterwerke hervorbringt. Die reinen Zeichnungen (Graphit, geripptes Büttenpapier, 20,2 x 29,5 cm) bleiben blaß. Es ist die Feder in Grau über Graphit, die Leben einhaucht und der Pinsel und erst recht „Sepia über“ Bleistift oder Graphit, die den kleinen Blättern eine große Wirkung, nämlich die einer dreidimensionalen Welt auf dem doch flachen Papier geben.
Dann kann es einen wundern, daß diese Präsentation in Hamburg die erste ist, die alle der 64 zum Amalfi-Skizzenbuch gehörenden Blättern aus der Kunstsammlung der Akademie öffentlich macht und zwei aus dem Kupferstichkabinett Berlin hinzunimmt. Und, das deuteten wir oben schon an, nach dem baldigen Ausstellungsende und der kleinen Ausstellungstour nach Berlin und Rom in den Zeichenschränken verschwinden muß, damit sich die Lichtzeichnungen vom Kunstlicht der Ausstellung erholen. In der Ausstellung selber wird durch Wandtexte und Vergleichsbeispiele – „Felsschlucht bei Sorrent“ in verschiedenen Fassungen – erst einmal der Rahmen abgesteckt, der Carl Blechens Lichtzeichnungen ins rechte Licht setzen. Man kann auch die Unterschiede zur Ölmalerei und die Besonderheiten der Aquarelle erkennen. Aber das Entscheidende sind die Blätter, um die sich bei unserem Besuch bei den besonders attraktiven Nummern 34, 35 und 36 dichte Besuchertrauben bildeten.
„Wasserlauf zwischen Häusern“ nennt sich die Nummer 34, die Sepia über Graphit ausweist und Amalfi zeigt. Es geht um eine Häusergruppe vor Hügelmassiven und Bäumen davor, die auf der rechten Seite einen dekorativen Eindruck und den einer Allee hervorrufen, die aber an der linken Seite fast als architektonisches Element erscheinen. Die Licht-Schatten-Wirkung zieht sich über die Bäume hin, deren Lichtbestrahlung wie Kalk auf den Rinden aussieht. Je länger man in dieses Bild hineinschaut, desto stärker wird die Wirkung, es gar nicht mit einer realen Landschaft zu tun zu haben, sondern in gewissem Sinne mit dieser Zeichnung surreal abzuheben. Gerade durch die perfekt dargestellte Wirklichkeit entsteht dieser Eindruck des Irrealen, der auf dem Blatt eine Sekunde im Lauf der Welt bewahrt. Ein starkes Blatt, was sich bei den nächsten Nummern fortsetzt.
„Bäume und Häuser“ (35) ist ebenfalls Sepia über Graphit und zeigt ebenfalls Amalfi. Allerdings ist die Welt nähergerückt und dunkler geworden. Wüßten wir nicht, daß der Kubismus als Kunstform ins 20. Jahrhundert gehört, wir würden hier seine Anfänge vermuten, so würfelförmig und kompakt stehen die Häuser und ihre Anordnung. Aber beim Blicken merken wir dann unsere Scheren im Kopf, denn viel mehr als Kubismus sehen wir auf einmal die Formenlehre des Cezanne, ja, der war auch viel später als Blechen, aber eben auch ein Mann des 19. Jahrhunderts. Hatte er Blechen gekannt? Sicher nicht. Und wieder einmal kann man bedauern, daß die Kunstrezeption damals immer nur als Einbahnstraße von Frankreich als einzigem Zentrum aus stattfand, so daß die Franzosen sich noch heute bei Ausstellungen deutscher Maler wundern, wie gut diese sind, von denen sie nie gehört hatten.
Noch lange sind wir mit dem Hineinschauen in dieses Bild nicht fertig. Wir versuchen es mit dem östlichen Blick. Denn die Ikonen haben als andersgeartete Bildstrategie immer den Betrachter vorgesehen, der nicht in das Bild hineinblickt, wie wir rationalen Westeuropäer, sondern sich innerlich öffnet, um das in sich hineinzulassen, was aus der Ikone, also hinter der Ikone befindlich, über sie spricht. Das ist ein quasi meditativer Vorgang, der aber bei Blechens Lichtlandschaft erneut dazu führt, alles als unwirklich wahrzunehmen. Zu scharf das Hell-Dunkel, zu kubisch die Häuser, zu romantisch die über allem hängenden Zweige. Es sind die Gegenstände zu ihrer jeweiligen Vollendung gebracht, denkt man dann. Und so ist die Landschaft, sind auch die Bäume und Häuser nicht, daß sie nur Idealen entsprechen. Im übrigen weist das Blatt noch einen interessanten Aspekt auf.
Beim vorherigen konnte man links aus dem Dunkeln rechts ins Licht schauen. Hier ist es ebenso, nur diffiziler. Man merkt mit den eigenen Augen, wie das Licht die Struktur der Gegenstände verändert. Und das ist es genau, was der Ausstellungtitel „Mit Licht gezeichnet“ auch ausdrückt. Es scheint gar nicht mehr der Maler und sein Stift und Pinsel der Urheber der Zeichnung zu sein, sondern die autonome Lichtquelle ist es, die zeichnet. Ein tolles Phänomen, was sich bei anderen Bildern, insbesondere der Nummer 36 wiederholt. Mag sein, daß wir den stärksten Blättern so auf den Leim gingen, aber auch die weiteren sind raffinierte Augentäuschungen. Diese sind viel heller gehalten, die Hell-Dunkel-Kontraste sind reduziert, dafür sehen wir auf einmal in den italienischen Sujets dick den Schnee liegen. Immer wieder hat Blechen das Weiß des Blattes belassen, das uns nun Schnee suggeriert oder sind es die gerade gemachten Erfahrungen, Hamburg verschneit zu erleben, die nun auch hier Schnee sichtbar machen, wo doch Sonne auf Wiese und Wegen gemeint ist. Schauen Sie selber.
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Ausstellung: bis 17. Januar 2010 Kunsthalle Hamburg
Ab 29. Januar bis 11. April 2010 Alte Nationalgalerie Berlin
Vom 28. April bis 18. Juli 2010 Casa di Goethe
Katalog: Carl Blechen. Mit Licht gezeichnet, hrsg. von Rosa von der Schulenburg, Akademie der Künste 2009
Internet: www.hamburger-kunsthalle.de