Ex-Kultursenator Thomas Flierl läßt grüßen. Jener hatte bereits im Jahre 2004 in seinem Orchesterreformkonzept das Ziel verfolgt, das Berliner Sinfonie-Orchester Berlin (heute Konzerthausorchester) und das Rundfunk-Sinfonie-Orchester zum »Orchester des Konzerthauses« zusammenzuführen und 90 Stellen einzusparen. Insider mutmaßten schon damals, dass eines Tages auch das DSO fällig sein könnte. Abgesehen vom Widerstand der Mitglieder der Orchester und von seiner Sinnlosigkeit scheiterte dieses Vorhaben am Veto des Vorgängers von Steul, Ernst Elitz. Mit 40 Prozent Anteil an der Rundfunk- und Chöre GmbH ROC hat Deutschlandradio das gewichtigste Wort unter den Gesellschaftern (weitere sind der Bund mit 35, das Land Berlin mit 20 und RBB mit 5 Prozent).
Die Argumente Steuls sind mehr als fadenscheinig. Hauptgrund sei der Weggang des Künstlerischen Leiters des DSO, Ingo Metzmacher, mit Ende der Spielzeit. Ein Dirigent dieser Preisklasse sei »nicht auf der Straße zu finden.« Nun könne man unter Leitung des Chefs des RSB, Marek Janowski, »zwei exzellente Teile zusammenführen und die Basis legen für ein Spitzenorchester.« Ein Bild aus dem Fußball: er wolle mit einem Orchester dauerhaft in die Champions League, statt mit zwei Orchestern in wenigen Jahren um den Erhalt in der Bundesliga bangen zu müssen. Steul will nicht wahrhaben, dass Ingo Metzmacher im März 2009 in den Verhandlungen über eine Verlängerung seines Vertrages das Ansinnen, ein gemeinsames Orchester zu leiten, wie bereits vor ihm Kent Nagano abgelehnt hatte. Auch nicht, dass die Verhandlungen mit zwei namhaften Kandidaten für seinen Posten bevorstehen. Dem will er offenbar zuvorkommen. Wahrhaben will der Intendant auch nicht, dass exzellente Musiker, die es in beiden Orchestern gibt, sich ein anderes Wirkungsfeld suchen könnten, eben weil der Prozess der Anpassung zumindest zum zeitweiligen Niveauverlust und zur Unterforderung ihres Könnens führen kann. Gute Bezahlung ist viel, aber nicht alles. Den wahren Grund lässt Steul durchblicken: sein Auftrag sei kein Sparauftrag, er könne in den nächsten drei Jahren auch »diese beiden wunderbaren Symphonieorchester« finanzieren, aber dann sehe er angesichts der Entwicklung der Steuereinnahmen große Schwierigkeiten. Hat er nun doch einen Auftrag, oder kapituliert er bereits jetzt vor zweifellos zu erwartenden Angriffen auf die Kulturhaushalte?
Am Sonntagabend protestierten die Musiker des DSO, vom Publikum mit minutenlangem Beifall empfangen, in der Philharmonie gegen die Eingliederung in einen anderen Klangkörper. De facto wäre das keine Fusion mit gleichberechtigten Partnern, da das DSO im bestehenden RSB unter dessen Chefdirigenten aufgehen soll. »Die Folge wäre der unwiederbringliche Verlust des DSO. Unsere Geschichte, die als RIAS-Symphonie-Orchester in der Rolle des Repräsentanten der freien Demokratie im Jahre 1946 begann, unsere Tradition, geprägt durch die Dirigenten Ferenc Friczay, Lorin Maazel, Riccardo Chailly, Wladimir Ashkenazy, Kent Nagano und Ingo Metzmacher sowie unser künstlerisches Profil, durch das sich das DSO jenseits des Mainstreams einen festen Platz in der Kulturszene geschaffen hat, wären damit ausgelöscht. Dies ist ein Akt des kulturellen Kahlschlags, den wir nicht unwidersprochen hinnehmen können. Eine solche Maßnahme wäre ein fatales Signal für die deutsche Kulturlandschaft und die Kulturhauptstadt Berlin. Das DSO muss mit seinem einzigartigen und innovativen Profil erhalten bleiben.« Weiter Ingo Metzmacher und das Orchester: » Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass durch Fusionierung zweier erstklassiker Orchester ein noch viel besserer Klangkörper entstehen könne. Es für verzichtbar zu erklären, zeugt von Ignoranz.« Nach dem Konzert begann eine Unterschriftensammlung, die die Gesellschafter der ROC auffordert, Wege zur Erhaltung des DSO zu finden und ihre Fusionspläne zu stoppen.
Dass Steul vor der Veröffentlichung seines Plans mit den betroffenen Musikern nicht gesprochen hat und diese es durch Indiskretion erfuhren, offenbart keinen anderen Umgang mit den Beschäftigten als in der Industrie oder bei der Bahn. Sich gegen derlei Pläne nicht zu wehren, wäre künstlerischer und moralischer Selbstmord. Nun zeigt sich eben auch, was es nach sich zieht, dass sich die Berliner Orchester nicht mit allen Mitteln gegen die Streichung der Zuschüsse der Berliner Symphoniker im Jahre 2004 gestemmt haben. Da war es »nur« ein B-Orchester von 54 Musikern mit 3,3 Millionen Euro jährlich. Jetzt gibt es erst einmal 6 Millionen mehr, und dann kommt der große Rotstift, der 80 Musiker die Festanstellung kostet. Ohne Solidarität werden auch die besten Künstler zum Opfer von »Kulturpolitik«, in einem Lande, wo Steuergeschenke an Banken, Konzerne und Großverdiener eine der wichtigsten Konstanten der Politik sind.
Ob die betroffenen Musiker den Ernst der Lage völlig erkannt haben, ist fraglich. Der Betriebsratsvorsitzende Ulrich Schneider hält Streik nicht für das geeignete Mittel. Bei allem guten Willen: Unterschriften werden gewöhnlich von den Politikern ignoriert. Irgendwann verliert auch die etablierte Presse das Interesse. Bereits jetzt hält Peter Uehling in der Berliner Zeitung Steuls »betriebswirtschaftliche Weitsicht« für begrüssenswert. Der anfänglichen Euphorie wird die Mühsal des hinhaltenden Widerstands folgen. Ohne Solidarität wird das nicht zu bestehen sein. Die Berliner Symphoniker mussten das schmerzlich erfahren. Bis jetzt gibt es noch nicht einmal eine Verständigung beider Orchester, um die Gefahr des massiven Personalabbaus gemeinsam abzuwehren. Die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters verhalten sich auffallend ruhig. Versprechen sie sich bessere Chancen im zwangsvereinigten Orchester?
Alice Ströver will noch vor der Verabschiedung des Berliner Landeshaushalts am Donnerstag eine Sondersitzung des Kulturausschusses einberufen. Dies muss gegen die Koalitionsfraktionen SPD und LINKE durchgesetzt werden. Sollte es dazu kommen, könnte der Ausschuss die Frage stellen, von wem Steul als Vertreter des Hauptgesellschafters den Auftrag hat, die Fusion jetzt in Angriff zu nehmen, und wie sich der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit (SPD) dazu stellt. Wie Ströver meint, würde Berlin gegen seine eigenen Interessen handeln, denn mit 20 Prozent Anteil bekommt das Land aus der Konstruktion ROC mehr, als es gibt. Ferner ist zu klären, ob die Kosten der Fusion nicht höher als die Einsparung sind. Ströver sieht sich getäuscht, denn noch in der Anhörung zum Kulturhaushalt hatte der Intendant der ROC, Gernot Rehrl, betont, wie wichtig alle vier Klangkörper seines Hauses für den Bestand der Kulturlandschaft sind. Die Fraktion Bündnis 90/die Grünen ist entschlossen, in der Schlussrunde des Haushalts einer Erhöhung des Etats nicht zuzustimmen, wenn die Entscheidung nicht zurückgenommen wird.