Wenn also Martina Gedeck dem Publikum im Frankfurter Schauspielhaus Horvath präsentiert, kommt sie an seinem Tod, der aus einem Stück von ihm stammen könnte, nicht vorbei. Er lebte im Exil in Paris und hatte mit dem Regisseur Robert Siodmak in einem Cáfé über die Verfilmung seines Romans, der ihn bekannt gemacht hatte, „Jugend ohne Gott“ gesprochen. Das war am 1. Juni 1938. Und als am Abend ein heftiges Gewitter über Paris niederging, befand er sich auf den Champs-Élysées und wurde von einem herabstürzenden Ast erschlagen. Da war er erst 37 Jahre alt und schon richtig berühmt, er der wie kein Zweiter auch noch die Donaumonarchie repräsentierte. Nicht politisch rückwärtsgewandt, sondern durch seine Familie und sein Leben. 1901 wurde er im heutigen Kroatien geboren. Sein Vater, ein österreichisch-ungarischer Diplomat aus Slavonien, mußte viel herumziehen. Schon 1902 siedelte er mit seiner deutsch-ungarischen Frau nach Belgrad über und 1908 dann nach Budapest. Da wurde dann aus dem als Edmund geborenen Horvath ein Ödön, weil dieser Name das ungarische Äquivalent ist.
Schon ein Jahr drauf wurde der Vater nach München berufen, der Achtjährige blieb erst einmal in Budapest, kam aber 1913 zu seinen Eltern ins Deutsche Reich, lernte also erst als Zwölfjähriger überhaupt Deutsch. Das führte er in Preßburg, wohin die Familie als nächstes zog, weiter, war denn wieder in Budapest und erst als die Eltern wieder nach München mußten, wurde ihm beim Bruder der Mutter in Wien Kontinuität gegönnt, wo er dann auch sein Abitur machte. Er studierte in München, aber hielt sich vor allem in Berlin und in Salzburg und im oberbayrischen Murnau auf, wo seine Eltern dann lebten. Grundsätzlich fühlte er sich als Linker und warnte sehr früh – 1929: „Sladek, der schwarze Reichswehrmann“ – vor dem Faschismus. 1931 wurde „Geschichten aus dem Wiener Wald“ uraufgeführt, die er so nannte, weil er an den Walzer von Johann Strauß „Geschichten aus dem Wienerwald“ anknüpfen und diese beschwingte Musik durch seine Geschichten konterkarieren wollte und konnte.
Kommt es daher, daß er sich mit der Bezeichnung „Wiener Wald“ absetzen wollte, wo wir immer höllisch aufpassen müssen, nicht „Wienerwald“ zu schreiben, einfach weil er so heißt, im Süden von Wien dieser herrliche Bergkamm, in dem so schön wandern ist, das Ausflugsziel für jeden besseren Wiener. Und für die anderen auch. Der große Erfolg des sozialkritischen und antifaschistischen Stückes bedeutete, daß gleich nach der Machtergreifung 1933 die SA das Haus seiner Eltern durchsuchte, weshalb Horvath erst einmal nach Wien ging, auch einige politische Anpassungsleistungen brachte, um weiterarbeiten zu können, was nach dem Anschluß Österreichs im März 1938 , der eine erzwungene Machtergreifung der Nazis war, sofort zu seiner Flucht führte, erst nach Budapest und in die Geburtsstadt Fiume, dann ab Mai 1938 Paris.
Das war uns wichtig, dieses dramatische Leben mit den tragischen Ausgang darzustellen, weil der deutschen Literatur durch den frühen Tod eine große Begabung verloren ging. Denn in welcher Form auch immer, als Erzählung oder als Stück, immer konnte Horvath von seiner Beobachtungsgabe Früchte tragen und die Menschen durch viele kleine Details als lebendige Wesen auf die Bühne bringen. „Blitzlichtartig, überraschend und humorvoll werden die Handwerker, Geschäftsleute und Beamte, aber auch die Mitläufer und Opportunisten beleuchtet. Diese kleinen Leute, die »ewigen Spießer«, die Horváth beschreibt, sind auch heute noch zu finden, auch wenn sich ihre Erscheinung geändert hat.“, sagt die Einladung für die Lesung von Martina Gedeck für den 5. Dezember.
Am 6. Dezember dann also Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ als Premiere im Schauspielhaus Frankfurt, dessen Premieren wir nach dem Beginn der Intendanz von Oliver Reese zuerst noch zählten, aber bei der Zahl 20 dann das Zählen einstellten. Auch hier hat das Schauspiel in die Einladung eine nette Zusammenfassung verfaßt, die wir weitergeben: „Zwei Frauen träumen von der Liebe. Naiv die Eine, die Andere wissend, wie Welt und Männer wirklich sind. Trotzdem fallen beide auf den gleichen Tunichtgut herein: den Pferdewetten-Spezialisten Alfred. Der jedoch träumt gleichfalls von der Liebe: Man ahnt schon, daß das zu nichts Gutem führen kann. Alfred entscheidet sich für die jüngere der beiden Frauen, Marianne, bricht dadurch verschiedene Herzen und ruiniert sich selbst und seine Auserkorene. Die nämlich war bereits verlobt, mit dem Fleischhauer vom Nebenhaus. Der ist aus demselben Holz geschnitzt wie ihr Herr Papa, welcher Marianne dann auch flugs verstößt. Alfreds Existenz jedoch basierte wesentlich auf den Zuwendungen durch die Trafikantin Valerie, welche – da sie sich durch Marianne ausgestochen findet – diese Zuwendungen einstellt. Nun hat das junge Paar also die Liebe, die es sich erträumte. Und kein Geld. Und bald ein Kind. Fehlt noch etwas? Eine ganze Menge fehlt noch, bis die Verhältnisse wieder bereinigt sind. Das »Wiener Volksstück« aber, das Ödön von Horváth mit dokumentarischer Genauigkeit in die Verhältnisse seiner Stadt und seiner Zeit hineinschrieb, weist weit über diese Zeit und Wien hinaus.“
Wir würden das noch deftiger ausdrücken, denn Horvath zeigt in seinem Volksstück in drei Akten und 15 Bildern die erbarmungslosen Konsequenzen, die die Endzwanziger Jahre durch Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise für das einfache Volk brachten. Aber das macht er nicht wehleidig, sondern unter Einbezug der kleinbürgerlichen, ja faschistoiden Mentalität derer, die von sich als der Wiener Gemütlichkeit reden täten. Sein ’Trick` ist ganz einfach, einfach weil er ein solch sprachbewußter Beobachter ist. Er nimmt die sprachlichen Klischees auf und läßt sie in Situationen äußern, die sie konterkarieren und die Verlogenheit der Sprache und der Leute demaskieren. Ein Beispiel: Marianne ist das ’Liebe Mädl` aus der Vorstadt in Wien, das – mit dem ordentlichen Oskar verlobt – sich vom unordentlichen Alfred verführen läßt und ihr Kind dann der Großmutter in die Wachau geben muß. Und als dann am Schluß der Oskar doch noch die gefallene Braut ehelicht, muß das Kind weg, wobei die Großmutter schuld daran ist und dazu der Strauß`sche Walzer ertönt. Also das, was die Musik eigentlich an Fröhlichem sagt, wird hier durch die Szene zur Lüge. Wir werden berichten.
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Regie und Bühne: Günter Krämer, Kostüme: Falk Bauer, Musikalische Leitung: Frank Rosenberger. Mit Constanze Becker, Claude De Demo, Niuscha Etemadi, Josefin Platt, Maren Schwartz, Michael Abendroth, Michael Benthin, Isaak Dentler, Oliver Kraushaar, Wolfgang Michael, Sascha Nathan, Marc Oliver Schulze und Simon Zigah.
Aufführungen am 6., 12. 20., 21., 29. Dezember 2009, am 7., 8. 27. und 31. Januar 2010.
Weil „Geschichten aus dem Wiener Wald“ auch dramaturgisch so gelungen ist, wurde das Stück mehrfach verfilmt. Wir empfehlen die Fernsehverfilmung von 1961, wo unter der Regie von Erich Neuberg Helmut Qualtinger den Oskar spielt, und Johanna Matz, Hans Moser, Fritz Eckhardt, Jane Tilden u.a. dabei sind und einen Wiener Schmäh auf die Mattscheibe zaubern.
Sie erhalten diese DVD in der Edition Der Standard, Der Österreichische Film, 10 DVDs , bei Hoanzl, filmarchiv austria