Wien, Österreich (Weltexpress). Nach Ende der k.u.k.- Monarchie begründete das „Rote Wien“ eine bis heute andauernde Lebensqualität.
Vienna First? Kaum zu glauben, dass sich im jährlich ausgefochtenen Wettbewerb um den Lebenswert berühmter Metropolen die Stadt Wien weltweit eine Spitzenposition gesichert hat. An diesem bemerkenswerten Erfolg haben natürlich die städtebaulichen Leistungen der k.u.k.-Monarchie einen erheblichen Anteil. In jener Zeit, als unter Kaiser Franz-Joseph die Stadtmauer fiel und an ihrer Stelle der legendäre „Ring“ entstand. Ein architektonisches Wunderwerk, über dessen Vorfeld hinaus sich das Wiener Stadtgebiet in Atem beraubendem Tempo ausweitete.
Und doch stand ein halbes Jahrhundert später ein anderer historischer Einschnitt erst noch bevor. Es war der Zusammenbruch des einst so mächtigen Habsburgerreiches am Ende des Ersten Weltkriegs. In der Stunde der Not übte die Donaumetropole eine ungeheure Anziehungskraft aus auf die Menschenströme, die sich aus den umliegenden Regionen in Bewegung setzten. Höchstes Alarmsignal für die neue sozialdemokratische Stadtverwaltung, möglichst schnelle und möglichst wirksame Abhilfe zu schaffen.
Moralisches Bewusstsein
Es war die kurze Zeit der Jahre von 1919 bis 1934, die als das „Rote Wien“ in die Wiener Stadtgeschichte eingingen. Zwar war es nur ein relativ kurzer Zeitabschnitt zwischen Kaiserreich und Faschismus. Und doch reichten die fünfzehn Jahre aus, um ihrer Erfolge im 100. Entstehungsjubiläum in mehreren Ausstellungen zu gedenken. Diese haben vor allem den damaligen Wiener Bauboom zum Gegenstand in einer Zeit der Verarmung und Entwurzelung. Voraussetzungen also, die lähmend hätten wirken können, in Wirklichkeit jedoch eine beflügelnde Wirkung hervorriefen.
Historische Filmaufnahmen dokumentieren die unglaubliche Zähigkeit der arbeitsfähigen Bevölkerung. Mit Feuereifer machte sie sich, ausgerüstet mit Schaufel und Schubkarre, ans Werk. Umso größere Bedeutung fiel demgegenüber dem Motivationsschub zu, den das hohe moralische Bewusstsein der Arbeiterschaft zum Erfolg beisteuerte. Sah diese doch ihren gesamten Berufsstand in die Pflicht genommen.
Realitätssinn und Augenmaß
Es war geradezu eine Sternstunde für die städtebauliche Entwicklung Wiens. Denn unter kommunaler Aufsicht erblickten in kurzer Zeit flächendeckend unzählige Wohnprojekte das Licht der Welt. Zum Beispiel die riesige Anlage des Karl-Marx-Hofes, in der nicht nur Hunderte von Menschen Unterkunft fanden. Zudem standen ihnen dort auch alle dazu gehörenden sozialen Einrichtungen zur Verfügung wie Kindergärten und Spielplätze sowie medizinische und soziale Betreuung.
Natürlich durfte dabei auch eine Waschanlage nicht fehlen. Sie dient beim diesjährigen Jubiläum als Ausstellungsort und Dokumentationszentrum für den Lebensalltag der damaligen Zeit. Dabei fällt besonders auf, mit welchem Realitätssinn und Augenmaß die Bauprojekte geplant, erstellt und verwaltet wurden. So hielten sich die Wartezeiten auf eine Zuweisung in Grenzen, und die größten mit der Wohnungsnot einher gehenden Verwerfungen in der Gesellschaft konnten in relativ kurzer Zeit behoben werden.
Stilvolle Wohnkultur
Auch das Wien Museum MUSA nahe dem Wiener Rathaus am Ring nimmt sich dieser Problematik an. Hier wird auch die sozialdemokratische Ideologie erkennbar, wie sie damals im „Roten Wien“ Gestalt annahm. Gerecht sollte es zugehen entsprechend der humanitären Einsicht, dass es sich beim Wohnen um ein unbestreitbares Grundrecht handelte. Für Ausbeutung oder gesellschaftliche Spaltung, so verdeutlichen es die Karikaturen jener Zeit, sollte es in diesem Weltbild natürlich keinen Platz geben.
Bei aller Dringlichkeit in der Wohnungsfrage, vergleichbar der Aufbauleistung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, sollte doch ein gewisses Qualitätsniveau eingehalten werden. Zwar kein übermäßiger Luxus, aber doch eine stilvolle Wohnkultur sollte es sein, die über die Bedürfnisse hinaus auch der menschlichen Würde entsprechen würde. Es sollte daher, so das Ziel, auch für schmale Geldbeutel ansprechender Wohnraum bereitgestellt werden.
Großzügige Raumgestaltung
Dieser Grundgedanke hat sich bis in die Neuzeit hinein erhalten. Als Musterbeispiel für soziale Bauvorhaben der Stadt Wien erweist sich heute das Gelände im Umkreis die Wiener Hauptbahnhofs. Denn hier wurde in Übereinkunft mit der Bahn durch Umgestaltung des Bahnhofsgebäudes und Verlegung des bisherigen Gleiskörpers ein riesiges Baugelände gewonnen. Die aus diesem Areal erwachsenden Möglichkeiten, so Bernhard Stefan vom Architekturzentrum Wien, werden auch konsequent genutzt, sodass die Stadt bereits heute über ein großzügig gestaltetes Musterbeispiel moderner Stadtarchitektur verfügt.
Das Beispielhafte besteht darin, dass wie damals im „Roten Wien“ nicht nur für eine einzelne soziale Schicht gebaut wird. Angestrebt ist vielmehr ein ausgewogenes Mischungsverhältnis bei der Wohnbevölkerung. Denn niemand soll, wie häufig in anderen großen Städten zu beobachten, aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wohngegend von vornherein sozial ausgegrenzt werden. Zu diesem Konzept gehört eine architektonische Raumgestaltung, bei dem auf Großzügigkeit im inneren wie im äußeren Lebensbereich niemals verzichtet werden darf.
Humanes Wohnen
Entsprechend diesem Konzept setzt die Seestadt an der Wiener Peripherie noch eins obendrauf. Sie gilt nach Meinung führender Architekten als eines der innovativsten Stadtentwicklungsgebiete Europas. Im Eiltempo wurde es bereits zu einem Drittel fertiggestellt und lässt mit seiner Lage an einem kleinen See bereits erahnen, welche Wohnqualität hier in einigen Jahren vorherrschen wird. Von Kleingärten bis hin zu Straßencafés, so verdeutlicht Stadtführer Nikolaus König, ist bereits alles angelegt, und die Bewerbungen für dieses neue Viertel laufen auf Hochtouren.
Dankbarkeit der Bevölkerung? Diese Frage bringt bei Baufachmann Kurt Puchinger vom Magistrat der Stadt Wien ein vielsagendes Schmunzeln hervor. Denn seit einhundert Jahren sei die Stadt Wien nunmehr in städtebaulicher Hinsicht mit gutem Beispiel vorangegangen. So sei „humanes Wohnen“ für die meisten seiner Bewohner zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die in gleichem Maße Erwartungshaltungen hervorrufe. Daran könne man nur weiterhin anknüpfen.
„Glückliches Wien“
Von der in Wien praktizierten Lebensqualität profitieren natürlich auch die Besucher der Stadt. Auf sie strahlt vor allem die Gastlichkeit aus, die hier allenthalben großgeschrieben wird. Zum Beispiel im stimmungsvollen Weinvorort Grinzing, in dem es sich bereits Ludwig van Beethoven während seines Wien-Aufenthalts gut gehen ließ. Als einladend erweisen sich natürlich auch die Beisl am Prater, in denen sich bei einem guten Wein die Zunge lockert zum fröhlichen Plaudern.
So verfügt das einst als „glückliches Österreich“ gepriesene Land heute über eine Metropole, die sich in ihrer Lebens- und Liebenswürdigkeit den Titel „glückliches Wien“ zu Recht verdient hat. Schon allein aufgrund seiner prachtvollen Habsburger Tradition. Aber auch wegen der kommunalen Weitsicht, die sich seit dem „Roten Wien“ bis in die Gegenwart hinein durchgehalten hat.
Fotoreportage
Mehr Bilder in der Fotoreportage: Wohnen in Wien von Dr. Bernd Kregel.
Reiseinformationen „Das Rote Wien“:
Anreise: Mit dem Flugzeug: Direktflüge mit Lufthansa, Eurowings und Austrian Airlines ab Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, München und Stuttgart; mit Auto oder Bahn z.B. über München.
Reisezeit/Reiseziele: Ganzjährig; Jubiläumsausstellungen „Das Rote Wien“ bis 19.01.2020 im Wien Museum MUSA; Waschsalon Karl-Marx-Hof: www.dasrotewien-waschsalon.at
Unterkunft: Magdas Hotel; Hotel Kärntnerhof; Harmonie Vienna; Palais Hansen Kempinski Wien
Essen und Trinken: Mayer am Pfarrplatz; Tian Bistro Spittelberg; Restaurant-Beisl Stuwer; Motto am Fluss; Zum Schwarzen Kameel; Café Central; Café Landtmann
Vienna City Card: Für 24/48/72 Stunden bei Euro 17/25/29 freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie 210 weitere Vorteile
Auskunft: Wien Tourismus, +43-1211140, ; erste Anlaufstelle in Wien: Touristinfo am Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse, Telefon: +43-124555
Unterstützungshinweis
Die Recherche wurde unterstützt vom Vienna Tourist Board.