Bad Sarow, Deutschland (Weltexpress). Kaum zu glauben. Vor 56 Jahren bestritt Gustav-Adolf „Täve“ Schur sein letztes Radrennen. Doch auch mit 88 Jahren lockt Täve die Menschen weiterhin an. „Kaffee-Zeit mit Täve“ hieß das Motto einer Veranstaltung am Wochenende im „Scharwenka-Kulturforum“ in Bad Saarow. Wer dachte Schur muss seinen Kaffee mit drei, bis vier Rentner trinken, befand sich auf dem Holzweg. Das Kulturforum war bis zum letzten Platz gefüllt. Einige mussten sogar stehen. Das sollte ich eigentlich wegen der Kapazitätsgrenze nicht schreiben. Der einstige Radstar war von seinem Wohnort Heyrothsberge rund 220 Kilometer mit dem Auto angereist, besuchte nach der Veranstaltung noch seinen Sohn Jan in Frankfurt und brummte dann wieder in Richtung Heimat. Natürlich gab es bei Täve und den Besuchern nur ein Thema: Friedensfahrt! Die meisten Besucher hatten das Rennen einst mit dem Kindergarten oder als Schüler erlebt. Warum gerade dieses Rennen Täve Schur so bewegte, erklärte er kurz: „Ich bin 1931 geboren, als der Faschismus aufblühte. Ich erlebte den Krieg vom ersten bis zum letzten Tag. Ich bangte um mein Leben, als die Bomber ihre Last über Magdeburg abwarfen. Die Friedensfahrt war für mich wie ein Landstraße in eine bessere Welt.“
Da im Saal zahlreiche ältere Menschen saßen, stand Täve plötzlich auf und sagte: „Ich verneige mich vor ihnen allen. Sie haben mit ehrlicher Arbeit im Osten Deutschlands viel aufgebaut. Sie müssen sich nicht klein machen.“ Danach steckte Täve mitten drin in den Plaudereien über die Friedensfahrt, die auch im Land Brandenburg oft Station machte. „Friedensfahrt! Was hat dieses Rennen immer im Mai alles durchgemacht. Es wurde hochgejubelt und totgeschwiegen, missachtet und angehimmelt, missbraucht und geliebt. Es war ein Rennen großer Ritterlichkeit und kleiner Gesten“, schwärmte der Ex-Weltmeister. „Dieses Rennen muss wieder aus der Versenkung geholt werden“, meint auch der fünfmalige Rekordgesamtsieger Steffen Wesemann (48). Der gebürtige Wolmirstedter und früherer Radler beim ASK Vorwärts Frankfurt ist inzwischen Schweizer Staatsbürger und verrät: „Ich fahre jetzt im Kanton Aargau Linienbusse. Mit dem Radsport habe ich nicht mehr viel zu tun, aber mit Horst Schäfer vom Friedensfahrtmuseum Kleinmühlingen halte ich weiter Verbindung.“ Ab und an schickt „Wese“ auch Autogrammkarten in die Magdeburger Börde, denn das Museum wird im Jahr immer noch von 2000 bis 3000 Friedensfahrt-Fans aus ganz Europa besucht. Autogramm-Karten war auch ein Stichwort für Schur: „Ich habe noch 1000 Stück. Ich muss zusehen, dass ich sie loswerde, denn ich bin 88 Jahre.“ Danach erinnerte der einstige Radstar vom SC DHfK Leipzig an Männer, die bereits vor Schur die Friedensfahrt zu ihrer Popularität führten.
Da ist zum Beispiel der Chemnitzer Werner Weber. Er wohnt in der Zwickauer Straße nicht weit entfernt von Lothar Meister (88), mit dem Weber 1951 die 4. Friedensfahrt über rund 1450 km in neun Etappen bestritt. „Ich bin mit Begeisterung zum Start nach Prag gefahren. Wir waren mit Paul Dinter, Horst Gaede, Bernhard Trefflich, Lothar Meister und Rudi Fensl eine gute Truppe, was wir mit den zweiten Plätzen für Lothar Meister und mit der Mannschaft unterstrichen.“ Der 93-Jährige ist deutschlandweit der älteste Friedensfahrer und immer noch gut drauf, wenn er sagt: „Zum Namen Friedensfahrt hatte ich sofort eine innere Verbindung. Alle meine Freunde und Kumpel vom damaligen Chemnitzer Radsportverein lagen in Russland oder Frankreich unter der Erde. Ich selbst schuftete zwei Jahre in der Kriegsgefangenschaft unter Tage. Da lebst du auf, wenn du ein Rennen bestreiten darfst, das Friedensfahrt heißt. Selbst wenn du über kaputte Straßen hechelst und vorbei an rauchgeschwärzten Ruinen fährst.“ Täve erinnert nach solchen Aussagen an seine Besuche bei der Tour de France: „Die Jungs haben es heute gut. Sie heben den Arm und schon bekommen sie eine neue Maschine.“ Natürlich kamen in Bad Saarow auch die Frage nach der „Hall off Fame“ auf, in die Gustav-Adolf Schur keine Aufnahme fand. Doch da tröstete Gabriele Stobrawa den Pedal-Oldie unter den Beifall der Fans: „Täve sei nicht traurig, deine Hall off Fame sind unsere Herzen.“
Die Daten zur Friedensfahrt
Die erste und zweite Friedensfahrt startete 1948 von Warschau nach Prag und Prag nach Warschau. Als Symbole der Fahrt diente Picassos Friedenstaube, dazu ertönte bei den Siegerehrungen die Friedensfahrt-Fanfare. Bei 58. Friedensfahrt wurden 808 Etappen zurückgelegt. Die erfolgreichsten Gesamtsieger: Steffen Wesemann (Deutschland) 5, Uwe Ampler (DDR/ Deutschland) und Ryszard Szurkowski (Polen) je 4, Ludwig (DDR), Schur (DDR), Suchorutschenkow (UdSSR) je 2. Weitere deutsche Gesamtsieger: Erich Hagen, Klaus Ampler, Axel Peschel, Hans-Joachim Hartnick, Falk Boden (alle DDR), Jens Voigt (Deutschland). Die längste Friedensfahrt führte 1963 bei Prag- Warschau-Berlin über 2568 Kilometer.