Die betroffenen Zeitungen waren zwischen November 2006 und Oktober 2007 wiederholt mit Erscheinungsverboten für Zeitspannen zwischen 15 Tagen und einem Monat belegt worden. Die türkische Justiz begründete dies mit Beiträgen, die in ihren Augen „Propaganda“ für die terroristische PKK darstellten. Zudem wurden gegen die Verantwortlichen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, deren Verfahren noch anhängig sind.
Der Straßburger Gerichtshof rügte diese Sanktionen als unverhältnismäßig. Die Berufsausübung der Betroffenen sei dadurch in unzulässiger Weise eingeschränkt worden. Die türkische Justiz hätte sich mit der Beschlagnahmung bestimmter Ausgaben begnügen können, heißt es in dem Urteil. Die Regierung muss Entschädigungen in Höhe von 5000 bis 40 000 Euro zahlen und zusätzlich soll jeder Kläger 1 800 Euro Schmerzensgeld erhalten.
Die Lage entspannt sich
Nach einem bereits vor längerer Zeit in Kraft getretenen Integrationsgesetz, können PKK-Angehörige, die sich den Behörden freiwillig stellen, straffrei ausgehen, wenn sie selbst an keinen bewaffneten Aktionen beteiligt waren. Bereits in der vergangenen Woche wurde mit einem „Friedensmarsch“ vom Nordirak zur türkischen Grenze die neue Kurdenpolitik der türkischen Regierung „getestet“, als 34 Personen in drei Gruppen aus verschiedenen Gegenden des Nordirak zum Grenzübergang Habur kamen, um sich dort der türkischen Staatsgewalt zu überstellen. Bei der Gruppe handelte es sich um acht Kämpfer aus dem PKK-Hauptquartier in den Kandil-Bergen, um kurdische Flüchtlinge aus dem Lager Machmur, dem größten Flüchtlingslager im Nordirak und um kurdische Exilanten aus Europa.
Die legale kurdische Partei der demokratischen Gesellschaft (DTP) fordert unbeirrt, den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan mit in den Verständigungsprozess einzubeziehen, was aber von der Regierung Erdogan strikt abgelehnt wird. Stattdessen versucht Erdogan, die Republikanische Volkspartei (CHP) als größte Oppositionspartei ins Boot zu holen und konkrete Angebote an die Kurden vorher mit CHP-Chef Deniz Baykal abzustimmen. Doch Baykal zog mit seiner monatelangen Weigerung den Verständigungsprozess immer wieder hinaus. Inzwischen stimmte er zu, sich innerhalb einer Woche mit Erdogan zu treffen, allerdings nur unter der Vorausssetzung, dass das Gespräch mit einer Videokamera aufgezeichnet wird.
Den Kurden versprach Erdogan zusätzlich, man werde Öcalans Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali innerhalb der nächsten zehn Tage beenden und weitere Gefangene dorthin verlegen. Öcalan könne dann stundenweise mit den anderen Häftlingen in Kontakt treten.
„Fahrt zur Hölle, ihr Hunde“
Während sich die türkischen Intellektuellen und die Kurden über den Beginn dieses Entspannungsprozesses freuen, hagelt es Kritik und Hass-Tiraden aus der Bevölkerung, die sich in ihrem Nationalstolz angegriffen fühlt. Konservative Parteien werfen der Regierung vor, die Türkei als Schwächling darzustellen, indem sie PKK-Kämpfer straffrei ausgehen lässt, junge Männer lassen ihrer Wut in dem Netzwerk „Facebook“ freien Lauf indem sie wettern: „Fahrt zur Hölle, Ihr Hunde“, steht dort zu lesen oder: „Wenn du in meinem Land lebst, hast du gefälligst auch meine Sprache zu sprechen und meiner Flagge Respekt zu erweisen“. Die Kemalisten handeln streng nach dem Grundsatz, den Atatürk, der Gründer der türkischen Republik hinterlassen hat: „Eine Nation, eine Sprache – wir sind alle Türken!“ Die Kämpfe gegen die PKK waren immer geprägt von der Furcht vor einer Spaltung des Landes. Nun wiederum wird befürchtet, dass Erdogan und seine Leute eine andere Agenda verfolgen, und zwar die eines islamistischen Staates. Die Lösung des Kurdenproblems ist jedoch Voraussetzung, um das Land sozial und wirtschaftlich zu befrieden. Ein fast 30-jähriger Krieg hat den türkischen Südosten zu einer sozialen und ökonomischen Wüste gemacht, die von Arbeitslosigkeit, Landflucht, Bildungsnotstand und Armut geprägt ist. Nicht zu vergessen, dass jede militärische Auseinandersetzung auch jede Menge Geld kostet, das an anderer Stelle besser verwendet werden könnte.
Zur Zeit lässt Erdogan seinen Innenminister Besir Atalay in Gesprächen mit gesellschaftlichen Gruppen und anderen Parteien einen Konsens über eine neue Kurdenpolitik ausloten, während die DTP auf ihrem Parteitag kürzlich forderte, die Verfassung zu ändern, um den Kurden einen gleichberechtigten Status einzuräumen.