“Unter Bauern – Retter in der Nacht” will ergreifen. Die hohen Ambitionen des Kriegsdramas verraten sich im Untertitel der Eröffnungsszenen. Westfront 1918, so lautet auch der Titel eines fast vergessenen, brillanten Weltkriegsdramas von Wilhelm Pabst. Wie tausende jüdische Deutsche meldete Spiegel (Armin Rohde) sich als Jugendlicher freiwillig zum Wehrdienst. Das ihm verliehene Eiserne Kreuz rückt “Unter Bauern – Retter in der Nacht” bedeutsam in die Kamera, doch auf weitere Handlungsbezüge auf den Verdienstorden wartet man vergebens. Nicht der einzige Handlungsstrang, welchen Drehbuchautor Otto Jägersberg schlicht fallen lässt. Einen Weltkrieg später will das Vaterland, für das er kämpfte, ihn töten, hört man Spiegels Hintergrundkommentar. Doch Land ist nicht Landbevölkerung in “Unter Bauern”. “Die Retter in der Nacht” nehmen Spiegel, einen der letzten nicht deportierten Juden aus dem Nachbarort Ahlen, am hellichten Tag bei sich auf. Wie die Filmfigur Spiegel im Versteck, taucht der vermeintliche Hauptcharakter von “Unter Bauern – Retter in der Nacht” in der Versenkung unter. Abrupt springt die Handlung von dem als Helden eher ungeschlacht wirkenden Spiegel, den seine Freunde Menne nennen und der auch so aussieht, zu dessen Ehefrau Marga (Veronica Ferres). Auf in die ländliche Sommerfrische, heißt es für die trotz Reichspogromnacht, Ausbombung und Flucht adrette Blonde, die zur gesteigerten Dramatik ihr Töchterchen dabei hat. Vom zurückgelassenen Teddybären der Tochter bis zu angstvollen “Wo ist Papa?”-Fragen, spart “Unter Bauern -Retter in der Nacht” hier kein Klischee aus.
Unter dem Decknamen Krone leben Mutter und Tochter nun “Unter Bauern”. Auf die “Retter in der Nacht” wartet man vergeblich. So freundliche Gastfamilien, wie die Marga und ihre Tochter aufnehmenden Aschoffs (Margarita Broich und Martin Horn) können sich klassenfahrtsgeprüfte Ex-Gastkinder nur erträumen. Marga darf im heißen Badebottich entspannen und während in den zerbombten Städten gehungert wird, gibt es für Kriegsgefangene und Flüchtige zünftige Brotzeit mit Wurst, Milch und Schnaps. Fast jeder im Dorf hat einen Verfolgten versteckt oder sympathisiert mit den heimlichen Widerständlern. Gelegentliche Hausüberprüfungen der Wehrmacht erscheinen als lästige Störung anstatt ernsthafte Bedrohung. Die Tochter der Aschoffs, BDM-Anhängerin (Lia Hoensbroech), wird durch die Gewaltberichte Margas eines Besseren belehrt. Der Sohn eines benachbarten Bauern bleibt überzeugter Nazi, was Marga als “Verblendung seiner Jugend“ entschuldigt. Dass er von Wehrmachtssoldaten erschossen wird, als die seinen Vater bedrohen, erscheint als unglaubwürdige Bestrafung für sein moralisches Vergehen. Da wundert es nicht, dass in “Unter Bauern” im Spitzenkleid auf dem Tisch getanzt wird und Mensch und Vieh wohlauf sind. Das Trauma des jahrelangen Versteckens und permanenter Angst, welches Menne beim Wiedersehen mit Marga stumm bleiben lässt, vermag “Unter Bauern – Retter in der Nacht” nicht glaubwürdig zu vermitteln.
Mit Bauernschläue scheint die dramatikarme Romanverfilmung “Unter Bauern – Retter in der Nacht” gedreht. Zugkräftige Hauptdarsteller, die gewichtige Holocaustthematik und das alles vor dem Hintergrund, dass es unter den Deutschen doch so viele Anständige gab, welche unter Lebensgefahr zu Rettern (in der Nacht) wurden, soll eine emotionsgeladenen Filmbiografie garantieren. “Unter Bauern – Rettern in der Nacht” zeigt das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte einmal mehr geschönt. Die Nazis erscheinen als feindliche Besatzungsmacht. Nicht einmal 500 der 70 Millionen Deutschen zählen heute zu den Rettern, heißt es im Abspann. Eine verschwindend geringe Zahl. Ebenso wie die der drei überlebenden Juden aus Ahlen. Statt aufzuwühlen beruhigt “Unter Bauern – Retter in der Nacht”. “So kann man es auch drehen.”, hört man die echte Marga Spiegel in dokumentarischen Aufnahmen zum Filmende. Ein trauriger Kommentar.
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Titel: Unter Bauern – Retter in der Nacht
Genre: Drama
Land/Jahr: Deutschland 2009
Kinostart: 8. Oktober 2009
Regie: Ludi Boeken
Drehbuch: Otto Jägersberg
Darsteller: Veronica Ferres, Armin Rohde, Margarita Broich, Martin Horn, Lia Hoensbroech
Verleih: 3L
Laufzeit: 100 Minuten
FSK: ab 12