Nur eines vermittelt die Sammlungsausstellung nicht, daß hier „gegen den Strich“ gesammelt worden sei oder gar, daß die ausgestellten Künstler „gegen den Strich“, also gegen die Trends und Moden der Zeit Kunst hervorgebracht hätte. Andersherum. Ein Teil der Künstler wie Mario Merz und andere Minimalisten haben diese Kunstrichtung erst geschaffen, und gerade diese Künstler haben sich in den Sechzigern und danach mit ihrer Werken gegen die Üppigkeit und Ausuferung des Kapitalismus gewehrt – wie würden sie erst auf die heutige Potenzierung als Konsumgesellschaft künstlerisch reagieren? -, sind aber sofort unter die Fittiche des kapitalistischen Kunstmarktes und auch der Museen geraten, was den Werken im gewissen Sinn auch den Stachel genommen hat, der einst Motiv der Kunsthervorbringung war. Zumindest konnten diese Künstler gut davon leben, denn wenn wir so Wert darauf legen, zu konstatieren, daß diese Teilausstellung der Sammlung mit dem Kunstmarkt konform geht, so ist das ja für den materiellen Wert der Wolfsburger Sammlung nicht schlecht und korrespondiert durchaus mit dem Symbol der Stadt Wolfsburg, das einen als Emblem riesengroß am Bahnhof empfängt. Seltsam, auf einmal stellt man einen Vergleich mit Albrechts Dürers Signum fest, was in anderer Anordnung dennoch mit den gleichen selbstbewußten Namenskürzeln spricht: . Ich bin wer!
Wir kommen sicher bald nach Wolfsburg zurück. Denn erst wenn man dort ist, fällt einem ein gewisser Höhenflug dieser Stadt auf, der seltsam kontrastiert mit sterilen und kleinbürgerlichen Straßenbildern, die ohne Charakter einen unschön anstarren. Aber Wolfsburg ist dennoch einfach seiner Zeit voraus. Es gibt dort seit langem eine Porschestraße, der Hauptweg vom Bahnhof zur Stadt und zum Museum, auf der sogar eine Porsche Apotheke die Leute gesund halten will oder ihnen das Geld aus der Tasche zieht, das man dann gleich bei der Volkswagen Bank nachfordern kann. Ja, wir wissen um den Zusammenhang vom alten Porsche und dem Volkswagen, weswegen die Straße sicher so heißt, aber gerade jetzt nach der Einverleibung von Porsche in den VW-Konzern hat die Benennung eine neue Aktualität. Der Höhenflug bezieht sich auf die Autostadt, die ordentlich gegliedert und mit den VW Marken visualisiert, dennoch ein surreales Gefühl hervorruft, aber ein andermal unser nächster Anlaufpunkt sein wird. Denn jetzt sind wir wegen der Sammlung da und im Kunstmuseum am anderen Ende der Porschestraße.
Ja, das meinten wir mit den bekannten Namen: Da kommt erst einmal Andreas Gursky, dessen Fotografien jede bessere Sammlung aufweist: Bruce Naumann ist nicht nur mit seinen aufgehängten baumelnden Männerköpfen, sondern auch mit den Videos, die die Schwerkraft aufheben, zu sehen, vor allem den Offsetlithografien, die mit dem Titel Frankfurt Portfolio neugierig machen, was es damit auf sich hat; aber diese schrägen Gebilde beziehen sich auf eines seiner Werke aus dem Museum Moderner Kunst (KMK) in Frankfurt am Main. Auch Nam June Paik – dem gerade eine große Ausstellung im MUMOK in Wien galt – ist dabei, der die Videokunst sozusagen erfunden hatte, und hier ein echtes gekochtes Ei auf vielen Bildschirmen zum Tanzen bringt. Fischli/Weiss haben schon 1987 in der selben Art Augentäuschung fertiggebracht, wie sie gerade in der Bregenzer Schau „Schnee“ ein Bett mit weißer Bettwäsche so fotografieren, daß man sich in Eis und Schnee wähnt. Fortsetzung folgt.
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Vorgezogenes Ende der Ausstellung am 6. September 2009.
Katalog liegt keiner vor, dafür aber: Kunstmuseum Wolfsburg, Gesammelte Werke 1. Zeitgenössische Kunst seit 1968, Wolfsburg 1999
Nächste Ausstellungen:
James Turrell. A Project for Kunstmuseum Wolfsburg, ab 24. Oktober 2009
„Ich, zweifellos. Portraits aus der Sammlung des Kunstmuseums Wolfsburg, ab 21. November 2009
Internet: www.kunstmuseum-wolfsburg.de
Mit freundlicher Unterstützung des The Ritz Carlton in Wolfsburg, Autostadt. Unterwegs zwischen den kulturellen Superausstellungen in Magdeburg „Aufbruch in die Gotik“ und Braunschweig „Otto IV.“ bietet sich der günstig in Bahnhofsnähe gelegene rundgebogene Hotelkomplex zum Übernachten an. Zudem erleben Sie dort eine so außerordentliche Stille, die einen wunder- und erholsamen Kontrast zu den zu Recht überlaufenen Ausstellungen in Magdeburg und Braunschweig bildet. Und sind Sie schon dort, dann liegt das Kunstmuseum immer geradeaus am anderen Ende der Porschestraße. Aber vorher sollten Sie dann noch die Aussicht und die Annehmlichkeiten des Hotels genießen – und wenn möglich die Autostadt.