Berlin, Deutschland (Weltexpress). Das fünfte Jahr sitzt Erich Mühsam in bayerischer Festungshaft und wird von den Seehofers von gestern geknechtet. Auszüge aus seinem Tagebuch bringen ihm Einzelhaft ein, das Knastpersonal benimmt sich viehisch, wegen der Inflation ist der Gürtel im letzten Loch angelangt. Zudem sind die verblieben 21 Inhaftierten heillos verstritten und sammeln sich in linken, halblinken und superlinken (dazu gehört selbstverständlich Erich) Knastgruppen. Die Kommunikation nach draußen ist gekappt, es scheint den Insassen um Mühsam, als hätte die Welt sei vergessen.
Ach ja, die Welt. Die Inflation wütet, die Reparationszahlungen halten Deutschland klein, die ultrarechten Parteien wachsen schnell. In München planen Nazis den Marsch auf Berlin, gedanklich nah bei Mussolini und dessen Marsch auf Rom.
Mühsam glaubt noch immer an eine rote Revolution, fernab von der deutschen Wirklichkeit ein fahler Liebestraum.
Im Knast geht das geregelte Leben seinen beschissenen Gang, Mühsam hält die tägliche Gängelung fest, schmiedet Rachepläne, wettert über die allgegenwärtige Zensur, lässt sich aber in seinem Innersten nicht erschüttern und träumt vom kommunistischen Staat, wo Gleiche unter Gleichen die Glücksharfe schlagen.
Bibliographische Angaben
Tagebücher: Band 13. 1923 (Tagebücher Bd. 1-15), von Chris Hirte (Herausgeber), Conrad Piens (Herausgeber), Erich Mühsam (Autor), 340 Seiten, Verbrecher Verlag, Berlin 2018, ISBN: 3-940-42-689-5, Preis: 32 EUR (D)