Zu Schiff über die Dörfer – Als Wassertramper zwischen Jasmunder Bodden und Sund

Die MS Saxonia unter der Rügenbrücke

Wasser von oben – dieser Tage nichts Ungewöhnliches. Doch gut geschützte Radfahrer ficht das nicht an. Sicherheitshalber nur bis zum Bahnhof Rügendamm. Weiter geht ´s – mit dem „FLIRT“-Express bis zur Inselhauptstadt Bergen.

Auf der anderen Seite der B 96 glänzt der Nonnensee. X-mal dran vorbeigefahren, aber nie an dem Kleinod entlaggestrampelt. Irgendwann eine Wegkreuzung: Nur eine von drei Richtungen kann es sein. Golden ist – wie im Leben – der Mittelweg. Der führt nach Thesenvitz, immer schön auf Platten an Wald und Wiese entlang. Überraschung am Wegesrand: eine Westernfarm. Den 85 Meter hohen Heidberg hinaufgekämpft und mit Schwung durch die Allee zu Tal. „Patzig“ verkündet das Ortsschild. Warum dieses Dörfchen wohl so benannt wurde?, geht einem spontan durch den Kopf. Vielleicht ist hier ein besonderer Menschenschlag zu Hause?

Nach Patzig dann Gnies – die Namenskombination passt. Aber hübsch. Alle Ferienwohnungen belegt, ein gutes Zeichen.

Traumschiff und Vier-Streifen-Mann

Ralswiek voraus! „Haben Sie vielleicht meinen Kater gesehen?“, hält mich eine Frau an, die einen Plastikkäfig unter dem Arm, „der Bursche ist mir nämlich ausgebüxt“. Dann in Schussfahrt durch den Wald. Alpine Straßenverhältnisse, könnte man annehmen.

Menschenpulks schieben sich durch das „Piratendorf“ am Jasmunder Bodden – vielleicht auf der Jagd nach letzten Tageskarten? Am Anleger (m)ein langes, weißes „Traumschiff“. MS „Saxonia“ mit Heimathafen Basel. Eigentlich ist schon Abfahrtszeit. In strahlendem Weiß federt gerade ein Vierstreifen-Mann über die Gangway: Johann Magner, der Kapitän, stellt er. „Kein Problem“, antwortet er lächelnd auf die Frage, ob man bis Stralsund mitfahren könne, „wir sind zwar ausgebucht, aber an Oberdeck haben wir noch genügend Platz!“

Das Fahrrad wird am Heck windsicher geparkt. Verwundert über den Zugestiegenen schauen die Gäste aus ihren Decksstühlen auf, doch Magner und der Neue kennen sich.

Mit sparsamen Hebelbewegungen dirigiert Kapitän Magner seinen 82 Meter langen „Dampfer“ in die schiffsenge Fahrrinne. Eine weißhaarige Dame schaut ihm interessiert über die Schulter. „Das ist meine Lotsin“, lacht der Schiffsführer und schäumt mit röhrenden 1000 PS an der Freilichtbühne vorbei. Stumm nickend grüßt die Piraten-Flotte von Intendant Peter Hick zurück: vier dümpelnde Koggen im Kulissenhafen.

Irgendwie urwaldartig

„MS ´Saxonia`, wir haben gerade den Liegeplatz Ralswiek verlassen“, meldet sich Magner bei der Verkehrsleitstelle „Stralsund traffic“ in Warnemünde ab. „Fahrt ihr wieder über die Dörfer?“, möchte der Wachhabende wissen, aber beide Männer lachen nur. Nur hin und wieder lugen Dächer aus dem Grün hervor wie die von Breege oder Vieregge. „Bis der Bus kommt, ist noch Zeit“, freut sich der Kapitän an der Wittower Fähre aufs Beinevertreten. Immerhin eine halbe Stunde, dann spuckt der mitfahrende Bus die Rügen-Rundfahrer aus.

Kaum sind alle Passagierschäflein an Bord, bittet die Lautsprecherstimme von Kreuzfahrtdirektorin Monika Hütte zum Abendessen ins Restaurant. Magner legt ab und dreht elegant in den Rassower Strom. Natur pur – so präsentiert sich die schmale Halbinsel Bug an Steuerbord. „Irgendwie urwaldartig“, wundert sich ein Passagier mit Fernglas.

Durchs Schiffe wehen angenehme Düfte. Kurze Zeit später balanciert Hoteldirektorin Katja Geyersbach höchstpersönlich ein Tablett auf die Brücke. „Wer hat so was schon!“, freut sich Magner auf den kommenden Genuss: Schweinemedaillons mit Wildreis, „das Bier dazu gönne ich mir erst nach Feierabend in Greifswald-Wiek“. Sich zuprosten kann man auch mit Wasser auf dem Wasser. Weiter Panoramablick auf Bessiner Haken, Leuchtturm Dornbusch, durch das Libben-Fahrwasser hinaus auf die offene, bewegte Ostsee, Kloster, Vitte Neuendorf. An Backbord ein weißer schäumender Punkt: MS „Hansestadt Stralsund“ auf Linienfahrt. Die Fahrrinne ist so schmal, dass Schwäne problemlos neben ihr stehen können. Magner entschließt sich zu warten: „warum soll ich unnötig was riskieren?“, sagt er zwischen zwei Happen und spricht das Manöver noch mit seinem Kollegen von der Weissen Flotte ab.

Boxenstopp im Land des Lächelns

Ganz tief im Süden scheinen Bauklötzchen auf dem Wasserspiegel zu schwimmen: die Kirchturmsilhouette von Stralsund. Ein ungarischer Matrose setzt im Vormast die rote Flagge der Hansestadt, die gerade eingeholte von Hiddensee klemmt er sich unter den Arm.

Plötzlich in der Fahrrinne ein Boot. Magner grinst: „Gibt ´s jetzt auch schon Piraten auf dem Strelasund?“ Nur ein unwissender Angler, der unbedingt die Fahrrinne für sein Hobby nutzen möchte. Das „Saxonia“-Typhon verscheucht ihn von seinem gefährlichen Ankerplatz.

In Stralsund gibt es dieses Mal nur einen Boxenstopp: „Wir müssen Müllsäcke in den Container packen“. „Auf Kante“ legt er an der Ballastkiste an, voraus ein Dreimaster und die „Ursula B“. Das Manöver scheint geradezu kunstvoll zu sein. Mit dem Satz über Bord hat man wieder festen Boden unter den Füßen. Der Steuermann reicht das Rad herüber. Eine Gruppe Angler ist froh, dass sie die Pier nicht für das Schiff räumen muss. Vom Theaterschiff der „Ostsee-Festspiele“ wehen Operetten-Tonfetzen aus dem „Land des Lächelns“ herüber.

Statt der Müllsäcke – die Container sind voll – geht nur ein „alter Sack“ von Bord, wie Magner von oben herab aus dem Backbord-Fahrstand scherzt.

Aber Ernst ist es ihm mit dem Satz: „Ab Stettin trage ich wieder Trauer, da geht ´s nur noch Kurs Binnenland nach Berlin“. Der Stralsund- und Meck-Pomm-Küsten-Fan Johann Magner freut sich schon jetzt auf die nächste Reise. Dann nämlich macht sein weißes „Traumschiff“ wieder mal im Nordhafen fest.

Infos:

Schiffsdaten MS „Saxonia“: Bauwerft: Hardingsveld, Niederlande; Baujahr: 2001; Reederei: Scylla Tours, Basel; Charterer: Phoenix Reisen, Bonn; Flagge: Schweiz; Länge: 82 m; Breite: 9,50 m; Tiefgang: 1,05 m; Tonnage: 1000 t; Antrieb: Caterpillar, 1000 PS; Geschwindigkeit (max.): 20 km/h; Besatzung: 22; Decks: 3; Passagiere/Kabinen: 88/44

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