Dazu muss so ein Kulturgegenstand natürlich auch ersteinmal falsch deklariert werden. Im vorliegenden Falle wurde das kleine Goldfläschchen ersteinmal zu einem römischen Produkt aus dem östlichen Mittelmeerraum. Provinzrömisch, nur so um zweitausend Jahre alt, das bringt halt nicht viel. Aber nun kam der Verdacht auf, es könnte sich doch wohl eher um Stück aus der sumerischen Kultur handeln. Dies würde den Fund um ca. 2 500 Jahre älter, sehr viel seltener und damit eben Millionen wert machen.
Wo lag eigentlich das Paradies? Nach der arabischen Tradition soll dieser Garten da gelegen haben, wo sich Euphrat und Tigris vereinigen, im alten sumerischen Lande also. Aber wir wissen ja, dass das Paradies nur eine Legende ist, dass der Mensch ein paar Millionen Jahre zu seiner Entwicklung benötigte und dass dies wohl im Wesentlichen in Ostafrika geschah. Nach Adam und Eva brauchen wir also in Sumer nicht zu graben, die wurden ja auch der Legende nach aus dem Paradies vertrieben. Dass aber in einem geographischen Raum, in dem Wüsten und Steppen dominieren, das fruchtbare an Wasser und Palmen reiche Land an den Unterläufen von Euphrat und Tigris paradiesisch erschienen sein muss, daran ist nicht zu zweifeln.
Im Münchner Auktionshaus „Gerhard Hirsch Nachfolger“ war das Streitobjekt, 3,5 cm Groß und aus Goldblech geformt, angeboten worden. Ein Fachmann für die Kultur des Alten Orients hatte Zweifel an der provinzrömischen Datierung. Es wurde trotzdem verkauft, aber unter Vorbehalt. Dann griffen erstmal die Zollbehörden zu. Das umstrittene Stück kam in das Römisch-Germanische Zentralmuseum nach Mainz zur weiteren Begutachtung.
Aber wenn das mit dem Paradies nichts war, was macht Sumer denn so interessant? Wir alle kennen wohl die spannenden Romane von Agatha Christie. „Tod auf dem Nil“ und „Mord im Orient-Express“ gehören wohl zu ihren besten. Hier konnte sie aus eigenem Erleben schöpfen, denn ihr zweiter Gatte war Archäologe, der diese Region oft bereiste und sie begleitete ihn. Der Chef ihres Mannes war der Berühmte Archäologe Sir Leonard Woolley. Auch der hat uns ein recht spannendes Buch hinterlassen, welches zwar im engeren Sinne kein Krimi ist. Es heißt „Ur in Chaldäa“ und berichtet über seine langjährigen Ausgrabungen in eben jenem Sumer. Hieraus wollen wir im folgenden ein wenig zitieren.
„Die bekannte biblische Erzählung von der Arche Noah ist überhaupt nicht hebräischen Ursprungs. Sie wurde von den Hebräern aus Mesopotamien übernommen und mit passenden Verbesserungen in ihren eigenen heiligen Kanon aufgenommen. Es ist die gleiche Erzählung, die wir auf (sumerischen) Tafeln aus der Zeit vor Abraham aufgeschrieben finden. Aber nicht nur die Ereignisse, sondern sogar vieles in der Ausdrucksweise stimmen überein. Die sumerische Legende ist in der Form eines religiösen Gedichtes abgefasst, das die Glaubensvorstellungen eines heidnischen Volkes widerspiegelt; und wenn wir nur dieses über die Flut erfahren hätten, würden wir die Geschichte als eine Sage abtun. Aber sie steht nicht allein. In den Königslisten … werden am Anfang eine Reihe vermutlich sagenhafter Könige aufgezählt, deren jeder sich Tausender von Jahren erfreute ( wie auch Methusalem und andere biblische Erzväter ), und dann `kam die Flut. Nach der Flut wurde die Königsherrschaft abermals vom Himmel herabgebracht.` … Wir haben es hier nicht mit einer Legende zu tun, sondern mit einer Erzählung, mit der die alten Geschichtsschreiber einen reinen Tatsachenbericht geben wollten. … Hier können wir behaupten, den Beweis für eine Überschwemmung gefunden zu haben, die in der späteren Geschichte Mesopotamiens nicht ihresgleichen hat. … Es war nicht eine allgemeine Sintflut, sondern eine riesige Flut im Tale des Euphrat und Tigris, die das ganze bewohnbare Land zwischen den Bergen und der Wüste überschwemmte. Der größte Teil jenes Volkes muss umgekommen sein. … Und wenn es einer Familie gelungen war, zu Schiff dem überschwemmten Tiefland zu entkommen, so wurde das Familienoberhaupt natürlich zum Helden der Sage erwählt.“
Die aufsehenerregensten Funde Woolleys waren natürlich die Königsgräber von Ur. Weltberühmt ist der Goldschmuck der Königin SchuBad. Entsetzlich für unsere Vorstellungen, welch großes Gefolge den Königen und Königinnen mit in das Grab folgen mussten, also anlässlich deren Beerdigung hingemetzelt wurden. Aber sie gingen vielleicht freiwillig mit, denn nach dem sumerischen Glauben hatten nur ihre vergöttlichten Könige ein Leben nach dem Tode zu erwarten. Die Normalbürger blieben Sterbliche, es sei denn, ein König nahm sie mit auf seine Reise. Ansonsten scheint der sumerische Kult keine Menschenopfer gefordert zu haben. Woolley schreibt hierzu: „Andererseits gibt es Texte, die die jährlichen Fruchtbarkeitsriten beschreiben, aber diese berichten nicht das Geringste über Menschenopfer. Aus diesem Schweigen kann man wohl schließen, dass ein Menschenopfer nicht stattfand…“ Interressant in diesem Zusammenhang ist jedoch ein Fund aus dem Grab PG/1237: Es handelt sich um eine Metallarbeit, der man den Namen „Widder im Dickicht“ gab. Der langmähnige Schafbock mit nur leicht gekrümmten Hörnern steht auf seinen Hinterbeinen, seine Vorderbeine hat er in die Äste kleiner Bäume gelegt. Das Ganze erinnert an jene Stelle des Alten Testaments, wo das Menschenopfer durch das Tieropfer ersetzt wird, in welcher so ein Schafbock plötzlich im Gestrüpp auftaucht und die Opferung Isaaks durch Abraham verhindert. Stammt diese Geschichte vielleicht auch ursprünglich aus Sumer? Jener Abraham entstammte, der biblischen Überlieferung gemäß, aus jenem Ur in Chaldäa.
Eine Besonderheit der sumerischen Architektur waren die Stufentürme oder Zikkurate. Sie wurden später von den Babyloniern übernommen und in islamischer Zeit dann zum Minarett umgeformt. Man nimmt an, dass die Sumerer ursprünglich aus dem östlichen Bergland, also dem späteren Persien kamen. Diese hatten wohl ihre Götter auf Bergen verehrt. Nunmehr in einer hügellosen Ebene angesiedelt, bauten sie künstliche Berge, von einem Tempel als Hauptheiligtum gekrönt. Dieses sollte sozusagen als Landeplatz für die geflügelt vorgestellten Götter dienen. Der Entwurf der Zikkurat von Ur wird als ein wirkliches Meisterwerk beschrieben. Die Ziegelmassive der verschiedenen Stufen wurden nicht einfach übereinander getürmt. Das hätte dann wohl ziemlich leblos und hässlich ausgesehen. Die Neigung der Wände wurde jedoch so berechnet, dass sie das Auge nach oben zum Mittelpunkte des ganzen Bauwerkes führen. Auch die Neigung und Verengung der hinaufführenden Treppen lenkt den Blick auf den Tempel. Auf den einzelnen Terassen dieser künstlichen Tempelberge hatte man Bäume gepflanzt, Palmen, Pinien, Zedern.
Woolley schreibt hierzu: „Als Jakob zu Bethel von Leitern, oder Treppen, das hebräische Wort kann beides bedeuten (im Englischen ist es mit „stairway“ genauso), träumte, die zum Himmel aufstiegen und auf denen Engel auf- und niedergingen, erinnerte er sich wohl im Unterbewusstsein der Erzählungen seines Großvaters ( Abraham ) von dem großen Bauwerk in Ur, dessen Treppen in den Himmel reichten und von den Priestern, die an den Festtagen das Gottesbild diese Treppen hinauf- und hinabtrugen…“
Aber wie lebte man im Ur jener Tage, als der Erzvater Abraham hier gelebt haben soll, bevor er seine Wanderung nach Palästina antrat? Die Freilegung der Grundrisse der Stadt ergab, dass es nur eine breite Straße gab, breit genug für von Zugtieren gezogene Wagen. Diese Hauptstraße war wohl die Prozessionsstraße zum Hauptheiligtum. Ansonsten zeigt Ur ein Gewirr krummer, enger Gassen, ein wild gewachsenes großes Dorf. Die Straßen waren in der Regel ungepflastert und nur mit festgestampftem Lehm befestigt. Wer nicht zu Fuß gehen wollte, bediente sich eines Esels als Reittier. Die Häuser hatten keine Fenster zur Straßenseite, waren jedoch stets verputzt und weiß getüncht. Die Straßen waren also langweilig, von weißen Mauern gesäumt, nur von schmalen und unauffälligen Haustüren unterbrochen. Nachdem man das Haustor betreten hatte befand man sich zunächst in einem Vorraum. Erst die zweite Tür führte in den Innenhof des Hauses. Diese befand sich immer in einer Seitenwand des Vorraums, damit niemals ein Blick von der Straße in den Innenhof fallen konnte. Der Besucher selbst oder ein hier tätiger Pförtner hatten vor dem Betreten des Innenhofes ein Warnruf auszustoßen, damit sich im Innenhof befindliche Frauen mit nicht hinreichender Verschleierung zurückziehen konnten.
Die Räume des Hauses gruppierten sich quadratisch oder rechteckig um jenen sorgfältig gepflasterten Innenhof. In der Regel waren die Häuser zweistöckig. Eine Treppe führte vom Innenhof zu einer hölzernen Galerie, die den Innenhof umgab und den Zugang zu den oberen Räumlichkeiten vermittelte. Im Erdgeschoss waren die Gästezimmer, die Küche, Vorratsräume und die Unterkünfte des Hauspersonals. Die Eigentümerfamilie wohnte in den Räumen des oberen Stockwerks. Aus Abbildungen auf Siegeln lässt sich auch die Einrichtung rekonstruieren: Tische und Klappstühle waren bekannt, sowie Truhen aus Holz oder Flechtwerk zur Aufbewahrung der Kleidung. „Vielfältige Teppiche und viele Kissen werden auf den Fußböden gelegen haben. Die Abendbeleuchtung spendeten Öllampen, kleine Schüsselchen, in denen ein Docht in Öl schwamm…“
Zu den Besonderheiten des sumerischen Lebens gehörte es, dass die Toten im Hof ihres Hauses bestattet wurden. Etwa 60cm unter dem Pflaster erstreckte sich ein Grabgewölbe, eine Familiengruft mit zehn bis zwölf Skeletten. Neben der Familiengruft befand sich eine überdachte Hauskapelle. „In den Häusern und in den Kapellen fanden sich häufig kleine Terrakottafiguren und Reliefs von Gottheiten oder Stiftern. In einem Haus … fanden wir eine ungewöhnlich große Figur. Es war der obere Teil eines bärtigen Gottes, an dem an dem noch ein gut Teil der ursprünglich bemalten Oberfläche erhalten war. Zumindest einige dieser Figuren müssen mit dem Gottesdienst in den Kapellen verbunden werden, d.h. sie müssen die Familien- oder persönlichen Gottheiten des Hausvaters verkörpert haben, es sind die Teraphim der Erzählung von Jakob und und Rahel, die Rahel ihrem Vater Laban stahl…“
„… vornehmlich waren die Gottesdienste (im Wohnhause) an jenen persönlichen Gott gerichtet, der die Verkörperung der Familie und ihre Schutzgottheit war. Auf den Siegelzylindern dieser Zeit … ist die häufige Darstellung der Einführung des Siegelbesitzers vor Nanna oder Ningal (Mondgott und Mondgöttin. Noch heute ist der Halbmond Symbol der Gottheit in diesen Landen! ) durch den namenlosen persönlichen Gott, der als Vermittler und Unterhändler fungiert. Jene großen Götter waren zu erhaben und zu fein, als dass sich ein gewöhnlicher Sterblicher ihnen hätte nähern können, man brauchte einen göttlichen Vermittler. Aber zu diesem Vermittler als Familiengott hatten die Familienangehörigen direkten Zugang. Er empfing in der Hauskapelle die Gebete und Opfergaben aller Generationen – er war der `Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.`“
Haben wir es also bei dieser bärtigen Familiengottheit mit der ersten bekannten Abbildung jenes Gottes zu tun, dessen bildliche Darstellung Moses den Seinen später strikt untersagte, was sich Michelangelo 1510 mit seinem berühmten Bild von der Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle, wo er ihn zeigt, Adam mit einem Fingerzeig Leben einhauchend, wieder erlaubte, zu tun?
In jenem Römisch-Germanischen Zentralmuseum ist der Archäologe Michael Müller-Karpe zu dem Schluß gekommen, dass das umstrittene Goldgefäß höchstwahrscheinlich aus den Königsgräbern von Ur stammt, jedenfalls große Ähnlichkeit mit einem Fund aus dem Grab der Königin Pu`abi aufweist. Da Sumer heute zum Irak gehört, hat nunmehr die Republik Irak Strafanzeige wegen Helerei gegen das o.g. Auktionshaus erstattet. Was im Irak geschehen war, beschreibt ND folgendermaßen: „Bekanntlich wurden im IrakKrieg 2003 viele Museen und Bibliotheken opfer von Zerstörungen und Plünderungen. Bilder vom ausgeraubten Nationalmuseum in Bagdad gingen um die Welt. Damals begannen die Raubgräber, die Ausgrabungsstätten des Landes systematisch und brutal nach Fundobjekten zu durchwühlen, hinterließen meist Mondlandschaften…“ Die EU hatte daraufhin im Juli 2003 jeglichen Handel mit antiken Kulturgütern aus dem Irak untersagt.
Ich persönlich glaube nicht an die Bibel, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie die Fundamentalisten es erwarten, als unmittelbar geschrieben oder wenigstens diktiert vom Heiligen Geist, wortwörtliche Wahrheit von vorn bis zum Schluss. Ich halte sie für Menschenwerk, allerdings ein Achtung gebietendes als historisches Dokument, Literatursammlung über Jahrtausende, Geschichtsschreibung, seit etwa 800 v.u.Z. Auch ziemlich historisch zuverlässig und Zeugnis Jahrtausende langen Ringens um Wahrheit und richtiges Leben in einer sich schon damals zunehmend verkomplizierenden Welt.
Aber der „wiedergeborene Christ“ George W. Bush hatte keine GI`s dafür übrig, bei seiner Aggression gegen den Irak ( Nicht nur Israel ist biblisches Land! ) die biblischen Altertümer vor Gangstern zu schützen und auch bei seiner fundamental-frommen Anhänger- und Wählerschaft fand keinerlei Aufschrei der Entrüstung statt. Das kommt wohl daher, dass sie in Wahrheit wohl eher an eine andere Gottheit glauben, an die unsichtbare Hand des Adam Smith, den Gott der entfesselten Märkte, jene Hand, die leicht zur Knochenhand des Todes in der Krise wird. Dann macht dieses Verhalten Sinn: Deregulierung des Kunst- und Altertümermarktes durch Umgehung der Schutzbestimmungen im Sinne der Herkunftsländer und der Wissenschaft! Werft die ganze Scheiße auf den schwarzen Markt!
Und wer als Spekulant durch die Ruinierung von Millionen US-Familien oder den Hungertod von Millionen Afrikanern genug Dollar-Millionen zusammengerafft hat, kann es sich denn ja auch leisten, etwas für sein Seelenheil zu tun und ein paar Millionen locker zu machen für ein Artefakt aus dem alten Sumer. Und wer eine solche Reliquie in seinem Tresor oder seiner Vitrine in der Luxusvilla hat, denn wird der liebe Gott doch wohl nicht von der Himmelstür weisen, wenn es so weit ist? „… and she (or he ) is buying a stairway to heaven!“