Berlin, Deutschland (Weltexpress). Da gab es einen neugierigen, neunjährigen Jungen in Mailand, der gerne seine Freizeit in einem großen Einkaufszentrum verbrachte, genau genommen in einem Geschäft, das elektronische Orgeln verkaufte. Er durfte darauf sogar spielen und träumte von einer Karriere als Popmusiker. Einer italienischen Mama entgeht natürlich nichts, was den Sohn betrifft und Paolo fand zu Weihnachten eine solche Orgel auf dem Gabentisch. Zudem hatte man ihn auch im Conservatorio di Musica Guiseppe Verdi zum Orgelstudium angemeldet. Der mittlerweile Zehnjährige wurde angenommen, doch als er entdeckte, dass er nun Kirchenmusik studieren sollte, wollte er die musikalische Laufbahn eigentlich wieder beenden. Ein kluger Musikprofessor konnte ihn bewegen das Studium fortzusetzen und 1980 begann Paolo Carignani in Rom als Organist zu arbeiten. Er mochte zudem das nächtliche Spiel allein in den Kirchen, doch sein Geist war noch nicht auf Einsiedelei ausgerichtet und der Beruf wurde schnell etwas fad, so kamen dann Musikerkollegen in die Kirche und man veranstaltete Konzerte mit dem Organisten am Pult. Also entschied er sich dazu Dirigent zu werden, nebenbei wurde auch in Bars und Jazzclubs musiziert. Nach dem Studium gab es schnell die ersten Engagements in San Remo und Triest. Auch als Begleiter von Renato Bruson wurde man auf ihn überregional aufmerksam.
Von bella Italia nach Mainhattan
Herausforderungen sind ein bevorzugtes Hobby des Maestros aus Mailand. Eine glückliche Natur, die immer das Positive in allem sieht sowie eine enorme Lernbereitschaft prägen ihn. Daher überlegte er nicht lange, als ihm, nach einem kurzfristigen Einspringen an der Oper Frankfurt, die Position des Generalmusikdirektors angeboten wurde. Mit Elan stürzte er sich in diese neue Aufgabe. Ein fremdes Land, eine fremde Sprache, eine Position von deren Arbeitsaufwand er nichts wusste. Egal, das war sein Ort, hier hat er in fast 10 Jahre das Musiktheater von der Pike auf kennengelernt, über 50 verschiedene Opern aufgeführt und davon war die Mehrzahl auch für ihn als Dirigent ein Debüt. Zudem war er für die sinfonischen Konzerte des Museumsorchesters zuständig. Von Monteverdi bis zur Moderne spannte er den musikalischen Bogen, er dirigierte die meisten Wagneropern mit großem Erfolg und natürlich auch das italienische Repertoire. Enorm beliebt bei Publikum und Musiker gleichermaßen, waren viele Menschen traurig über seinen Weggang 2008.
Der Philosoph
Ein neues Kapitel als Reisedirigent begann nun. Wien, München, Berlin, New York, Barcelona, Tokio, ein Leben aus dem Koffer. Dennoch fühlte sich Carignani überall zuhause mit der Musik und den vielen interessanten Menschen, mit denen er nun zusammenarbeitete. Doch sieht er seine Fixpunkte in den Schweizer Bergen, Barcelona und in San Ginesio (Italien), falls er einmal frei haben sollte. Heuer plant er etwas länger auszuspannen, nachdem er in den letzten drei Jahren die Sommermonate bei den Bregenzer Festspielen im Orchestergraben verbracht hat.
Natürlich benötigt man neben der Musik noch weitere Kraftquellen, um bei einem solch intensiven Lebensweg fit zu bleiben, und die hat Paolo Carignani in der Natur sowie im Sport gefunden. Beides gepaart mit einer philosophischen Lebenseinstellung, die auf Entspannung und Toleranz sowie einem harmonischen Miteinander basiert. Gelernt hat er das zum Teil beim Schwimmen nach der ‚Total Immersion‘ Methode für Kraulschwimmen, vom US-amerikanischen Schwimmtrainer Terry Laughlin entwickelt. Mit Laughlin, der kürzlich leider verstorben ist, war Carignani auch menschlich eng verbunden. Der Schwimmstil basiert auf einer ganzheitlichen Lebenseinstellung, den fernöstlichen Meditations- und Bewegungsübungen angepasst, davon konnte er als Dirigent vieles in seine Arbeit mit den so vielschichtigen Menschen auf der Bühne und im Orchestergraben integrieren. Dazu gehören zudem für den Vegetarier Carignani, neben dem Schwimmen, noch intensive Berg- und Mountainbike-Touren.
Die perfekte Symbiose von Körper und Geist möchte der Maestro zukünftig gern in Seminaren an junge Dirigenten weitergeben, denn ein Dirigent besitzt kein Instrument auf dem er jeden Tag üben könnte. Sein wichtigstes Tool, neben einer musikalischen Brillanz, ist daher eine philosophische Herangehensweise an seinen Beruf, diese wird in der heutigen Ausbildung einfach vernachlässigt, der Manager scheint im Vordergrund zu stehen.
Rondo vivace
Nach einer kleinen Verschnaufpause in den winterlichen Bergen Österreichs, geht es für Carignani im April nach Japan. Verdis ‚Aida‘ im New National Theatre Tokyo ist für ihn eine glückliche Angelegenheit, denn die Arbeit mit den japanischen Musikern, die extrem gut vorbereitet sind und sehr konzentriert agieren, ist immer ein Vergnügen. Im Herbst steht dann eine Produktion an der Mailänder Scala in seinem Kalender, das ist ein Highlight: zurück zu den Wurzeln nach all den Reisejahren. ‚Nabucco‘ in Hamburg ist ebenfalls eingeplant, wie auch endlich wieder ein Konzert, und das dann in der Elbphilharmonie mit Mahlers Vierter Sinfonie.
Doch noch immer liebt er es allein in Kirchen zu sitzen und einer Orgel zu lauschen, gerne auch nachts. Ebenfalls ein Ort der Entspannung für den Musiker, der von sich selbst sagt: Ich bin kein Familienmensch, also ergänzt mein Beruf sich ideal mit meinem Freiheitsbedürfnis.