Mit Christian Petzold auf der Flucht – Die Literaturverfilmung „Transit“ als zeitloser Blick und Kommentar auf NS-Geschichte

Paula Beer und Franz Rogowski im Film "Transit" von Christian Petzold.
Paula Beer und Franz Rogowski im Film "Transit" von Christian Petzold. © Schramm Film / Marco Krüger

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am dritten Tag der Berlinale konnte mit dem Film „Transit“ der erste von vier deutschen Beiträgen im Wettbewerb der 68. Internationalen Filmfestspiele Berlin begutachtet werden. Für Regisseur Christian Petzold ist das in gewissem Sinne ein Heimspiel. Nicht nur dass er in Berlin wohnt, er war mit seinen Filmen bereits dreimal auf der Berlinale vertreten und zwar mit „Gespenster“, „Yella“ und „Barbara“.

Er hat auch schon schon Preise abgeräumt. Beispielsweis eden Regiepreis fur „Barbara“ und den Darstellerpreis für Nina Hoss in „Yella“. Richtig, Hoss hat ihn bekommen, aber Petzold durfte sich ebenfalls freuen.

Die Chancen, dass er mit seinem neuen Film erneut einen Bären ergattern könnte, die bestehen auch diesmal. Mit „Transit“ hat er eine eigenwillige wie moderne Verfilmung von Anna Seghers gleichnamigem Buch vorgelegt. Doch statt die Geschichte um Flucht und Exilexistenzen im 2. Weltkrieg im historischen Gewand zu präsentieren, siedelt er diese in unser Gegenwart an.

Es ist nicht die Liebesgeschichte von Rick und Elsa in Casablance, sondern die von George (gespielt von Franz Rogowski) der vor den Deutschen nach Marseille flüchtet und auf Marie (gespielt von Paula Beer) trifft. Durch einen glücklichen Zufall gelangt er an die Unterlagen des Schriftstellers Weidel, der aus Angst Selbstmord begangen hat. Unter diesen Schriftstücken befindet sich auch ein Brief der mexikanischen Botschaft für die Zusicherung eines Visums. Unfreiwillig nimmt er Weidels Identität an, um auf diese Weise ein Transitvisum und eine Schiffspassage in die freie Welt zu ergattern.

In der Hafenstadt Marseille erfährt und teilt er das Los der vielen Flüchtigen, die ebenfalls auf das Glück hoffen, ein Visum zu erhalten, und somit die Chance zum Weiterzuleben.

Der Film erzählt in erster Linie die Geschichte von George, ist aber zugleich eine Ansammlung der verschiedenen Schicksale die in Marseille aufeinanderprallen und sich Gegenseitig beeinflussen und das Schicksal der jeweiligen anderen maßgeblich mitgestalten. Da ist Driss, der Sohn seines auf der Flucht verstorbenen Genossen Heinz, der Dirigent (Justus von Dohnányi), die Jüdin mit ihren Hunden (Barbara Auer), der Arzt Richard (Godehard Giese) und seine Frau Marie (Paula Beer). Mit Marie wird ihn das Schicksal enger zusammenfügen als ihm lieb sein wird, ist sie doch die Frau des Schriftstellers Weidel, den sie verlassen hat.

Die Stärke von „Transit“ erschließt sich in erster Linie daraus, dass die Geschichte um die Flüchtigen vor Faschismus nicht wie man es erwarten würde als historischer Film präsentiert wird, sondern in der Gegenwart angesiedelt wird, somit aus seiner geschichtlichen Verankerung gelöst wird und zeitlos erscheint. Die Flucht wirkt auf diese Weise gegenwärtiger, nachvollziehbarer und greifbarer. Die Nennung der Nazis? Sie fehl. Historische Gegebenheiten werden bewusst ausgelassen. Dennoch ist die Bedrohung und Angst immer spürbar und präsent. „Transit“ ist par excellence ein zeitloser Film, dessen Geschehen sich überall auf der Welt heute wie auch in der Zukunft abspielen könnte. Der Film verdeutlicht uns auf diese Art das Schicksal aller Kriegsflüchtlinge auf dieser Welt. Die vergangenen Schicksale sind damit nicht durch eine historische Mauer getrennt, sondern allgegenwärtig. So werden wir gezwungen, uns mit der Vergangenheit und – um genauer zu sein – mit den Schicksalen des 2. Weltkrieges auf andere Art und Weise auseianderzusetzen.

Christian Petzold bemerkte auf der Pressekonferenz, dass nicht die Frage entscheidend sei, welche Bedeutung wir der Vergangenheit beimessen würden, sondern wichtig wäre, welche Bedeutung die Vergangenheit uns zukommen lässt. Gegenwart und Geschichte werden bei diese Sicht der Dinge im Grunde eins. Die Gespenster der Vergangenheit werden für uns sichtbar. Und wir stellen uns hier und heute einmal mehr die Frage, wie es mir an jener Stelle ergangen wäre. Denn „Transit“ zeigt, dass das Flüchtlinglingsschicksal nicht aus Flüchten und Wegrennen besteht, sondern genauso aus Geduld und Warten. Damit ist das Nichts-tun-können und Auf-andere-angewiesen-sein-müssen gemeint. Und die bohrende Ungewisseheit ,ob der nächste Tag die glückliche Fügung bringt oder das garstige Gegenteil. Diese Zustände werden im Film „Transit“ mit dem Erzählen der Geschichte des Hauptdarstellers auf den Punkt gebracht, der vor der Höllentür steht und darauf wartet hereingelassen zu werden. Er wartet und warte bis ihm jemand klarmacht, dass das bereits die Hölle ist, in der er steckt.

„Transit“ ist aber ebenso ein Film über das Verlassenwerden. Jemanden verlassen, weil man es will, weil mann es muss, dazu gezwungen wird, oder weil man letztlich stirbt. Dies wird im Film mehrer Male passieren und gipfelt in der Frage wer den schneller sei, der Verlassene oder der, der verlassen hat.

Da Christian Petzold diesmal eine Literaturverfilmung zu verantworten hat, greift der deutscher Filmregisseur und Drehbuchautorer auf für ihn ungewohnte Weise zum Mittel der Erzählerstimme zurück, obwohl er das als filmische Möglichkeit prinzipiell ablehnt, wie er erklärte. Hier ist es aber nicht George, der erzählt, sondern der Barkeeper aus Georges (nicht Ricks) Café. Keine Frage: Der Mann (dargestellt und vielmehr gesprochen von Matthias Brandt) ist eine winzige Figur, aber eine wichtige. Als ob George seine Geschichte jenem erzählte, der sie uns dann wiederum Preis gibt. Das erinnert an einen anderen Roman jener Zeit: an Erich Maria Remarques „Die Nacht von Lissabon“. Diese Erzählerstimme der ganzen Verfilmung einen zusätzlichen Dimenson. Sie wird gezielt eingesetzt und macht diese Verfilmung umso literarischer. So ist „Transit“ dann letztendlich klar ein Film, obwohl ich mir als Kinogänger zugleich vorkomme, als ob mir jemand ein Buch vorlesen würde. Petzold wollte keine strikte Romanadaption, sondern das Gelesene auf eigene Art und Weise filmen, um sich den Spaß und die Freude am Verfilmen eines Buches zu erhalten. Dies ist ihm mit „Transit“ eindrucksvoll gelungen.

Filmografische Angaben

Originaltitel: Transit
Land: Deutschland
Jahr 2018
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Barbara Auer, Justus von Dohnányi, Lilien Batman, Matthias Brandt u.a.
Dauer: 101 Minuten

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