Leipzig, Deutschland (Weltexpress). Zwölf Jahre wohnte Felix Mendelssohn in Leipzig. Er komponierte, leitete die Gewandhauskonzerte und gründete das erste deutsche Konservatorium. „Als Mendelssohn mit 26 Jahren nach Leipzig kam, war er bereits ein Star. Er wurde engagiert, um Einnahmen für das bürgerliche Gewandhausorchester zu generieren“, sagt Jürgen Ernst. Er leitet das Mendelssohn-Haus, das sich in jenem klassizistischen Bau befindet, wo Mendelssohn mit seiner sechsköpfigen Familie lebte und auch starb.
In der DDR ließ man den Bau verkommen. Dass er nach der Wende nicht abgerissen wurde, ist vor allem dem langjährigen Gewandhaus-Kapellmeister Kurt Masur zu verdanken. Tomoko Masur, die Witwe des 2015 verstorbenen Dirigenten, erinnert sich an einen Spaziergang im Jahre 1982. „Wir kamen an der Ruine des Mendelssohn-Wohnhauses vorbei, an der nur eine kleine Tafel stand“, erzählt sie. „Da wurde mein Mann ganz blass und meinte: Hier muss etwas gemacht werden.“
Nach der Wende gründete Masur eine Stiftung, so dass der denkmalgerecht sanierte Bau 1997 als Museum eröffnet werden konnte. In der Beletage befinden sich die fünf Wohnräume Mendelssohns. Größtes Zimmer ist der Musiksalon: lindgrüne Wände, ein weißer Kachelofen und mittendrin der Flügel „Für solche Räume ist Kammermusik eigentlich geschrieben“, sagt Jürgen Ernst, der bereits von Masur als Direktor des Hauses eingesetzt wurde. Man merkt ihm den Unmut darüber an, dass sich die Musikmetropole Leipzig – auch Telemann, Schumann oder Mahler waren hier zugange – lange nur als Bach-Stadt vermarktet hat. Auch deshalb hat es bis heute gedauert, die Einrichtung zu vollenden.
Die neue Ausstellung über die ältere Schwester Mendelssohns trägt den Titel „…und wo ist Fanny?“ – diese Frage wurde dem Museumspersonal nahezu täglich gestellt. Man mag einwenden, dass Fanny nicht in Leipzig, sondern in Berlin lebte. Dennoch: „Felix‘ Lebensgeschichte und sein Werk sind ohne den Blick auf Fanny nicht vollständig erzählt“, ist Museumsleiter Jürgen Ernst überzeugt.
Das Geschwisterpaar erhielt gemeinsam eine exzellente musikalische Ausbildung. Auch Fanny war eine ausgezeichnete Pianistin und begann früh mit dem Komponieren. Doch Vater und Bruder verwehrten ihr die Veröffentlichung ihrer Werke – für eine bürgerliche Dame galt das nicht als schicklich. Fanny beschränkte sich daher auf das Organisieren und Musizieren im Zusammenhang mit den Konzerten in ihrem Berliner Salon.
Die Ausstellung erreicht man über das historische hölzerne Treppenhaus, in dem manche japanische Besucher aus Ehrfurcht die Schuhe ausziehen. Das lichtdurchflutete Obergeschoss empfängt mit hellen Holzdielen und Wänden in warmen Pastellfarben. Die sinnliche Raumgestaltung lässt die Atmosphäre von Fannys Gartensalon aufleben, in dem die Sonntagsmusiken stattfanden.
An den Wänden hängen Familienporträts von Fannys Ehemann, dem preußischen Hofmaler Wilhelm Hensel. Blätter mit Zitaten aus dem emsigen Briefwechsel mit Felix schweben wie Wölkchen vor einer himmelblauen Wand. Zum Musikhören lässt man sich auf einer der beigefarbenen Chaiselongues nieder, wo dann im Kopfhörer die zwölf Charakterstücke aus Fannys Klavierzyklus „Das Jahr“ ertönen.
Die Einrichtung des Mendelssohn-Hauses ist auch als historische Wiedergutmachung zu verstehen, wurden doch die Werke des „nicht-arischen“ Komponisten von den Nationalsozialisten aus Konzertsälen und Rundfunkprogrammen verbannt. Kurt Masur, dem 1927 in Schlesien Geborenen, dürfte das bei seinem Einsatz für Mendelssohn stets gegenwärtig gewesen sein.