Die Gesetzesvorlage des Knessetmitglieds Zevulun Orlev von der „Jüdisches Heim-Partei“, rutschte durch die vorbereitenden Verhandlungen. Sie sieht ein Jahr Gefängnisstrafe für jeden vor, der „einen Aufruf veröffentlicht, der die Existenz des Staates Israels als eines jüdischen und demokratischen Staates leugnet“ und wenn der Inhalt des Aufrufs „Aktionen von Hass, Verachtung oder Illoyalität gegen den Staat oder die Institutionen der Regierung oder des Gerichts verursacht“.
Was dem folgt, kann voraus gesehen werden. Anderthalb Millionen arabischer Bürger könnten Israel nicht als jüdischen und demokratischen Staat anerkennen. Sie wollen, dass er „ein Staat für alle seine Bürger“ ist – für Juden, Araber und andere. Sie behaupten auch nicht ohne Grund, dass Israel sie diskriminiere und deshalb keine wirkliche Demokratie sei. Und außerdem gibt es auch Juden, die nicht wollten, dass Israel als jüdischer Staat definiert würde, in dem Nicht-Juden einen Status haben, der bestenfalls als tolerierte Gäste bezeichnet werden könne.
Die Konsequenzen sind unvermeidlich. Die Gefängnisse werden nicht für alle ausreichen, die dieses Verbrechens bezichtigt werden. Es müssen über das ganze Land Konzentrationslager verteilt werden, um alle Leugner der israelischen Demokratie aufzunehmen.
Die Polizei wird nicht in der Lage sein, sich mit so vielen Kriminellen zu befassen. Man wird eine neue Einheit aufbauen müssen. Man könnte sie „Spezielle Sicherheit“ oder abgekürzt SS nennen.
Hoffen wir, dass diese Maßnahmen genügen, um die Demokratie zu bewahren. Wenn nicht, müssen striktere Maßnahmen vorgenommen werden, wie z.B. die Annullierung der Staatsbürgerschaft für den Demokratieleugner und die Deportation aus dem Land, zusammen mit den jüdischen Linken und all den anderen Feinden der jüdischen Demokratie.
Nach der Annahme der Gesetzesvorlage bei der 1. Lesung wird sie nun das juristische Komitee der Knesset passieren, das sie für die erste und bald danach für die 2. und 3. Lesung vorbereiten wird. Innerhalb weniger Wochen oder Monate wird sie zu einem Gesetz des Landes.
Übrigens werden die Araber in der Gesetzesvorlage nicht ausdrücklich erwähnt – auch wenn das klare Absicht ist. Alle die dafür stimmten, verstanden das. Es verbietet auch Juden, für eine Veränderung der Definition des Staates zu agitieren oder einen binationalen Staat im ganzen historischen Palästina zu befürworten oder eine andere derart unkonventionelle Idee zu verbreiten. Man kann sich kaum vorstellen, was in den USA geschehen würde, wenn ein Senator ein Gesetz vorschlagen würde, das jedem mit Gefängnisstrafe droht, der eine Änderung der Verfassung der USA vorschlagen würde.
Die Gesetzesvorlage ist in unserer politischen Landschaft nichts Außergewöhnliches.
Die Regierung hat schon eine Gesetzesvorlage angenommen, die jeden mit drei Jahren Gefängnis bestraft, der die palästinensische Nakba betrauert – das Geschehen, das 1948 die Entwurzelung von mehr als der Hälfte der palästinensischen Bevölkerung aus ihren Häusern und von ihrem Land verursachte.
Die Befürworter erwarten, ein arabischer Bürger müsse über das Ereignis glücklich sein. Die Palästinenser hätten zwar gewisse Unannehmlichkeiten erlitten, aber das sei nur eine Randerscheinung bei der Gründung unseres Staates gewesen. Der Unabhängigkeitstag des jüdischen und demokratischen Staates muss uns alle mit Freude erfüllen. Jeder, der nicht seine Freude zum Ausdruck bringt, sollte eingesperrt werden – und drei Jahre werden wohl nicht genügen.
Diese Gesetzesvorlage war von der ministeriellen Kommission für juristische Angelegenheiten bestätigt worden, bevor sie der Knesset vorgelegt wird. Da die rechtsorientierte Regierung über eine Mehrheit in der Knesset verfügt, wird sie fast automatisch angenommen werden. (In der Zwischenzeit ist durch einen der Minister eine leichte Verzögerung verursacht worden, der gegen die Entscheidung Einspruch erhoben hat; also muss die ministerielle Kommission sie noch einmal bestätigen).
Die Befürworter des Gesetzes hoffen vielleicht, dass die Araber am Nakba-Tag auf den Straßen tanzen werden, israelische Flaggen auf die Ruinen der etwa 600 Dörfer aufstellen, die ausgelöscht wurden, und in den Moscheen Allah für das wundersame Glück, das ihnen beschieden worden ist, preisen.
Das bringt mich zurück zu den 60er-Jahren, als mein Wochenmagazin „Haolam Hazeh“ auch auf arabisch veröffentlicht wurde. Einer seiner Mitarbeiter war ein junger Mann, der sich Rashed Hussein nannte und aus dem Dorf Musmus kam. Schon als Jugendlicher war er ein begabter Dichter mit einer verheißungsvollen Zukunft.
Er erzählte mir, dass er einige Jahren zuvor ins Büro des Militärgouverneurs seines Bezirkes zitiert worden sei. Damals waren alle Araber Israels einer Militärregierung unterworfen, die alle – die großen wie die kleinen – Aspekte ihres Lebens kontrollierte. Ohne Genehmigung durfte ein arabischer Bürger nicht einmal für ein paar Stunden sein Dorf oder seine Stadt verlassen oder einen Job als Lehrer bekommen noch einen Traktor kaufen oder einen Brunnen bohren.
Der Gouverneur empfing Rashed herzlich, bot ihm Kaffe an und lobte seine Gedichte überschwänglich. Dann kam er zur Sache: einen Monat später war der Unabhängigkeitstag und der Gouverneur sollte den arabischen „Notabeln“ einen großen Empfang geben. So bat er Rashed, für diese Gelegenheit ein besonderes Gedicht zu schreiben.
Rashed war ein stolzer Jugendlicher, durch und durch nationalistisch gesinnt und es fehlte ihm nicht an Mut. Er erklärte dem Gouverneur, dass der Unabhängigkeitstag für ihn kein Freudentag sei, da seine Verwandten aus ihren Häusern vertrieben worden seien und der größte Teil des Landbesitzes des Dorfes Musmus auch enteignet worden sei.
Als Rashed nach einigen Stunden in sein Dorf zurückkehrte, bemerkte er, dass ihn seine Nachbarn merkwürdig anschauten. Als er seine Wohnung betrat, war er geschockt. Die Familienmitglieder saßen alle auf dem Fußboden, die Frauen klagten mit lauter Stimme, die Kinder saßen dicht zusammengedrängt und ängstlich in einer Ecke. Sein erster Gedanke war der, dass jemand gestorben sei.
„Was hast du uns getan?“ schrie eine der Frauen, „Was haben wir dir getan?“
„Du hast die Familie zerstört,“ schrie eine andere, „Du hast uns fertig gemacht!“
Es kam heraus, dass der Gouverneur die Familie angerufen und ihr gesagt hatte, Rashed habe sich geweigert, gegenüber dem Staat seine Pflicht zu erfüllen. Die Drohung war klar: ab jetzt steht die Großfamilie, eine der größten des Dorfes, auf der schwarzen Liste der Militärregierung. Die Konsequenzen waren jedem klar.
Rashed konnte den Klagen seiner Familie nicht widerstehen. Er gab nach und schrieb ein Gedicht, wie es gewünscht wurde. Aber in ihm war etwas zerbrochen. Einige Jahre später wanderte er in die USA aus, fand dort einen Arbeitsplatz im Büro der PLO und starb auf tragische Weise. Er verbrannte lebendigen Leibes in seinem Bett, da er – so schien es – mit einer Zigarette rauchend eingeschlafen war.
Diese Zeiten sind für immer vergangen. Wir nahmen an vielen stürmischen Demonstrationen gegen die Militärregierung teil, bis sie schließlich 1966 aufgehoben wurde. Als neu gewähltes Mitglied des Parlamentes hatte ich das Privileg, für seine Aufhebung mit abzustimmen.
Die ängstliche und unterwürfige arabische Minderheit – damals etwa 200 000 Seelen, erholte sich. Eine zweite und dritte Generation wuchs heran, der unterdrückte Nationalstolz hob sein Haupt. Und heute ist sie eine große und selbstbewusste Gemeinschaft von 1,5 Millionen. Aber die Haltung der jüdischen Rechten hat sich nicht zum Besseren verändert.
Im Gegenteil.
In der Knessetmaffia wird gerade ein neues Gebäck gebacken (Maffia bedeutet im Hebräischen Bäckerei). Eines davon ist eine Gesetzesvorlage, die fordert, dass jeder, der die israelische Staatsbürgerschaft beantragt, seine Loyalität zum „jüdischen, zionistischen und demokratischen Staat“ erklären und auch Militärdienst oder einen Zivildienst ableisten muss. Sein Befürworter ist der Knessetabgeordnete David Rotem von der „Israel unser Haus-Partei“, der zufällig auch der Vorsitzende des Knesset-Gesetz-Komitees ist.
Eine Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen – ein Rahmen, um das Wohlbefinden und die Rechte seiner Bürger zu schützen – ist vernünftig. Aber Loyalität gegenüber einem „zionistischen“ Staat? Zionismus ist eine Ideologie und in einem demokratischen Staat kann sich die Ideologie von Zeit zu Zeit ändern. Das wäre so, als ob man Loyalität gegenüber den „kapitalistischen“ USA, einem „rechtsorientierten“ Italien, einem „linksorientierten“ Spanien, einem „katholischen“ Polen oder einem „nationalistischen“ Russland erklären würde.
Es würde kein Problem für die Zehntausende von orthodoxen Juden in Israel bedeuten, die den Zionismus ablehnen, da Juden von diesem Gesetz nicht betroffen sind. Sie erhalten die Staatsbürgerschaft automatisch in dem Augenblick, in dem sie in Israel ankommen.
Eine andere Gesetzesvorlage wartet darauf, im ministeriellen Komitee an die Reihe zu kommen: sie schlägt vor, eine Erklärung zu verändern, die jeder neue Knessetabgeordnete zu lesen hat, bevor er sein Amt übernimmt. Anstelle von Loyalität „gegenüber dem Staat Israel und seinen Gesetzen“, wie es bis jetzt hieß, soll er oder sie aufgefordert werden, seine/ ihre Loyalität „gegenüber dem jüdischen, zionistischen und demokratischen Staat Israel, seinen Symbolen und seinen Werten“ auszusprechen. Dies würde fast automatisch alle gewählten Araber ausschließen, denn nachdem sie Loyalität gegenüber dem „zionistischen“ Staat erklärt hätten, würde dies bedeuten, dass kein Araber je wieder für sie stimmen wird.
Es würde auch ein Problem für die orthodoxen Mitglieder der Knesset werden, die gegenüber dem Zionismus keine Loyalität erklären können. Entsprechend der orthodoxen Doktrin sind die Zionisten verworfene Sünder und die zionistische Fahne ist unrein. Gott hat die Juden wegen ihrer Boshaftigkeit aus diesem Land vertrieben, und nur Gott selbst kann ihnen erlauben, zurück zu kehren. Der Zionismus hat die Aufgabe des Messias vorweggenommen und so eine unverzeihliche Sünde begangen.
Viele orthodoxe Rabbiner blieben auf eigenen Wunsch in Europa und wurden von den Nazis ermordet – sie wollten nicht die zionistische Sünde begehen und nach Palästina gehen.
Die Fabrikation rassistischer Gesetze mit einem ausgesprochen faschistischen Beigeschmack arbeitet nun mit Volldampf. Es ist Teil der neuen Koalition.
In ihrem Zentrum ist die Likudpartei, von der ein guter Teil rein rassistisch ist (pardon für das Oxymoron) Zu ihrer Rechten ist die ultra-rassistische Shas-Partei, weiter rechts Liebermans ultra-ultra-rassistische „Israel ist unsere Heimat“-Partei, danach die ultra-ultra-ultra- rassistische „Jüdische Heimat-Partei“, die unverhohlene Kahanisten einschließt und die mit einem Fuß in der Koalition steht und mit dem anderen auf dem Mond.
All diese Fraktionen versuchen, einander zu übertreffen. Wenn jemand eine verrückte Gesetzesvorlage vorschlägt, dann fühlt sich der nächste gezwungen, eine noch verrücktere vorzuschlagen usw.
All dies ist möglich, weil Israel keine Verfassung hat. Die Fähigkeit des Obersten Gerichtshofes, Gesetze zu annullieren, die den „Grundgesetzen“ widersprechen, ist nirgendwo festgelegt. Und die rechtsorientierten Parteien versuchen, diese aufzuheben. Es hatte seinen guten Grund, warum Avigdor Lieberman das Justiz- und Polizeiministerium forderte – und dann auch erhielt.
Gerade jetzt, wo die Regierungen der USA und Israel wegen der Siedlungen auf einem klaren Kollisionskurs stehen, könnte das rassistische Fieber alle Teile der Koalition infizieren.
Wenn man mit einem Hund ins Bett geht, sollte man nicht überrascht sein, wenn man mit Flöhen aufwacht (die Hunde mögen mir verzeihen). Diejenigen, die solch eine Regierung wählten und noch mehr jene, die sich ihr anschlossen, sollten von solchen Gesetzen nicht überrascht sein, die angeblich die jüdische Demokratie schützen.
Der Name, der zu diesen heiligen Kriegern am ehesten passen würde, wäre: „Rassisten für Demokratie“.
Anmerkung:
Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Der am 31.05.2009 erstellte Beitrag wurde zuerst unter www.uri-avnery.de veröffentlicht.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)