Berlin, Deutschland (Weltexpress). So zart wie eine Schneeflocke. So flüchtig wie eine Träne. Das sowie Sehnsucht und Vergänglichkeit findet sich in Volker Schlöndorffs Verfilmung „Return to Montauk“, einer Geschichte frei nach der autobiografischen Erzählung von Max Frisch.
„Die einzigen zwei Dinge, die im Leben zählen, sind die größten Fehler, die du begangen hast und das Bedauern über die Dinge, die du nie getan hast.“ Wehmütig resümiert der Schriftsteller Max Zorn – sinngemäß – Sätze wie diese unmittelbar in die Kamera. Der Film „Return to Montauk“ von Volker Schlöndorff eröffnet damit. Es geht um verfehltes Leben, um versäumte Chancen – und den Verlust der großen Liebe.
Drei maßgebliche Figuren für die Verfilmung eint der Blick zurück: Der Schriftsteller Max Zorn, der sich an seine große Liebe erinnert. Der Schweizer Autor Max Frisch, auf dessen Erzählung „Montauk“ (1975), der Film lose beruht und Regisseur Volker Schlöndorff, der mit Max Frisch befreundet war und sich mit dem Film auch eigenen Erinnerungen widmet und sie fiktional bearbeitet.
Realität und Imagination verschwimmen. Ein Stoff aus dem Schriftsteller und Künstler ihre Inspiration ziehen können, und darum geht es hier: Was ist Illusion und was ist real – und ist das letzten Endes nicht sogar unerheblich?
Nachdem sich Volker Schlöndorff mit Max Frisch’s ‚Homo Faber‘ bereits 1991 einer tragischen Liebesgeschichte zwischen einem älteren Mann und einem jungen Mädchen gewidmet hatte, ist er nun auf der Berlinale im Wettbewerb, im Alter von 77 Jahren, mit einer assoziativen und persönlich eingefärbten Erzählung vertreten. Es ist ein feiner Film geworden. Berührend, ästhetisch schön und traurig. Max Richters schwerblütige, melancholische Musik transportiert die Sehnsüchte aufs Tiefste und die Bilder von Kameramann Jerome Almeras, im Besonderen am Meer von Montauk, sind betörend.
Und da das Thema so persönlich, als auch individuell und altbekannt ist, hebt er sich ins Universelle und Allgemeine. Und das ist berührend.
„Es ist die Chance, die ich verpasst habe“, rezitiert der etwa sechzigjährige Schriftsteller Max Zorn (Stellan Skarsgard), auf einer Buchvorstellung über eine große Liebe – und gleichsam wird deutlich, dass es sich hier nicht nur um die Romanfigur handelt, über die er vorliest, sondern um seine gescheiterte Liebe zu Rebecca (Nina Hoss), einer wesentlich jüngeren Frau. Diese hatte er vor 17 Jahren verlassen und dann mit einer anderen Frau ein Kind bekommen. Aber auch wenn er derzeit wieder glücklich mit Clara (Susanne Wolff) liiert ist, Rebecca und die Frage, was aus ihnen geworden wäre, kann er nicht vergessen. Als er für eine Woche in New York auf einer Lesereise seinen Roman vorstellt, will er dem Schicksal eine andere Wendung zu geben. Alles in New York, jede Straßenecke, erinnert ihn an seine einstige Geliebte. Er macht sich auf die Suche und findet sie bald. Nach einigen Annäherungsschwierigkeiten fahren die beiden ein Wochenende nach Montauk. Der malerische Küstenort am Ende von Long Island, wo sie einst glücklich waren.
Max Zorn trifft in edler Umgebung auf seine vergangene Liebe: Rebecca ist inzwischen zur New Yorker Staranwältin aufgestiegen. Der Moment, in dem sich die beiden zum ersten Mal, nach so langer Zeit, wieder begegnen, ist befremdlich.
Dem erwartungsvoll Hoffenden, dem Freude und Sehnsucht anzusehen ist, tritt eine gleichsam schöne, als auch herablassende Frau entgegen. Eisige Kälte umgibt sie. Rebecca, verkörpert von Nina Hoss, strahlt Unnahbarkeit aus. Sie bleibt in deutlicher Distanz, auch räumlich, zu ihm. War bei „Homo Faber“, der Technokrat Faber auf den ersten Blick, verkopft und schwer zugänglich, ist es hier auf den ersten Blick Rebecca, die mit ihrer Pedanterie und Gnadenlosigkeit, so gar nicht mit dem innerlich jung gebliebenen Freigeist und Frauenverführer Max Zorn zusammenzupassen scheint.
Doch auf dem gemeinsamen Ausflug nach Montauk wandelt sich das Blatt. Wir lernen die beiden näher kennen. Erst zeigt sich Nina Hoss als Rebecca spröde und abweisend, doch als beide mit ihrem Auto in Montauk stranden und an den magischen Ort am Meer zurückkehren, wandelt sich die Unnahbarkeit. Eine Verwandlung findet statt. Die Maske und der Schutz fallen. Rebecca offenbart ihre Verletzlichkeit und ihren Schmerz, denn auch sie hat Max nicht vergessen und sie hat einschneidende Dinge im Leben erfahren müssen. Hier können wir die große schauspielerische Fähigkeit von Nina Hoss erleben, indem sie die Fassade entblättert und die verletzliche und verwundete Seite von Rebecca offenlegt – und doch wirken die Figuren manchmal seltsam blutleer, was vielleicht auch daran liegen mag, dass alle miteinander auf Englisch sprechen.
Stellan Skarsgard spielt Max Zorn, selbstironisch und zeichnet seine Schwächen und Verschrobenheiten und seine Liebe zum Wort und zur Pose, liebevoll und authentisch.
So ist es vor allem auch ein Schauspielerfilm, der durch brillante Darsteller besticht – die seltsamer Weise auf eine Art fremd bleiben.
In wunderschönen, elegischen Bildern am Meer in Montauk keimt für einen Moment die einstige Liebe der beiden wieder auf.
Offene Terrassentüren, wehende Gardinen, sinnliche Vereinigung, hier verwischen sich plötzlich wieder Dichtung und Wahrheit. Von dieser Vorstellung hatte der Schriftsteller doch bereits seiner Publizistin in ihrer einfachen New Yorker Wohnung erzählt.
In Großaufnahmen der Gesichter, die in den Betttüchern liegen, vermittelt sich die augenblickliche Nähe der Gestrandeten. Doch am nächsten Tag ist schon wieder alles anders.
Rebecca eröffnet Max Zorn erschütternde Erlebnisse – und hier muss sich nun Max mit seiner Schuld und seinem Egoismus auseinandersetzen. War er doch zu sehr in seinen Träumen verstrickt und hat er überhaupt, die Frau, nach der er sich so sehnte, erkannt? Erkennt er überhaupt die Frauen, mit denen er lebt oder ist er vielmehr in die Vorstellung dessen verliebt?
Rebecca offenbart ihm eine große Verletzung in Bezug auf ihn, die zwar ein wenig seifenopermäßig herüberkommt, aber wahrhaftig ist in ihrer Tragik. Diese Schmerzen kennt jede Frau, die so etwas erlebt hat. Max kann nun seine Entscheidungen reflektieren, sich hinterfragen, – er, der niemanden verletzten wollte, aber es doch – vielleicht gerade deshalb – tut. Liebt er doch gleichzeitig eine Reihe von Frauen, sich selbst und seine Sehnsüchte allzu sehr. Er hat so einiges durcheinandergebracht und so einige Scherben hinterlassen in seinem Leben.
Mitunter wirken die wortreichen, intellektuellen Dialoge etwas hölzern und verbinden sich nicht wirklich mit den Personen. Die Handlung ist einfach gehalten und assoziativ, passt so aber zu der Intention. Es sind vielmehr Impressionen über die Frage nach den verpassten Chancen und unwiederbringlichen Gelegenheiten, die so tragisch sind. Es ist ein Kunstfilm auf hohem Niveau, der berührt, aber leider nicht endgültig im allem gleichermaßen überzeugt. Die Figuren bleiben in Teilen – trotz der schauspielerischen Leistungen – auf merkwürdige Weise distanziert, aber „Return to Montauk“ ist hoher Sehgenuss und ich habe weinen müssen im Kino – und das ist immer ein gutes Zeichen.
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Deutscher Titel: Rückkehr nach Montauk
Englischer Titel: Return to Montauk
Land: Deutschland, Frankreich, Irland
Jahr: 2017
Regie: Volker Schlöndorff
Buch: Colm Tóibín, Volker Schlöndorff
Kamera: Jérôme Alméras
Schnitt: Hervé Schneid
Musik: Max Richter, Thomas Bartlett, Caoimhin O’Raghallaigh
Mit: Stellan Skarsgård (Max), Nina Hoss (Rebecca), Susanne Wolff (Clara), Niels Arestrup (Walter), Isi Laborde (Lindsey), Bronagh Gallagher (Rachel), Mathias Sanders (Mark McDonald), Malcolm Adams (Roderick)
Dauer: 106 Minuten
Produzenten: Regina Ziegler, Volker Schlöndorff, Francis Boespflug, Stéphane Parthenay, Conor Barry