Chorin, Brandenburg, Deutschland (Weltexpress). Ein Foto zeigt drei Leute auf Klappstühlen und unter Regenschirmen. Darüber steht der Satz: »Klassik. Wie nirgends!« Das könnte im Kloster Chorin jedem passieren. Denn im Hochsommer, in einer seenreichen Gegend, sind Gewitter, Blitz und Donner nicht selten.
Dennoch zieht es Jahr für Jahr 22 000, 24 000, ja 27 000 Besucher zum Choriner Musiksommer, davon die Hälfte aus Berlin. Die meisten Plätze, 1 200, befinden sich im Kirchenschiff, aber auf dem Rasen im Innenhof lassen sich Hunderte nieder, entweder, weil sie die Musik gern im Freien hören, oder sie haben nicht das Geld oder weil sie einfach keine Karte unter dem Kirchendach bekommen haben. Denn im allgemeinen sind die Karten begehrt und häufig bereits im Vorverkauf weg. 2017 werden wieder 19 Konzerte geboten.
Zur Geltung kommen drei Säulen, die klassischen Sinfoniekonzerte, Bläserensembles sowie Chöre und Vokalensembles. Deutlich ist die stärkere Hinwendung zum klassischen Sinfoniekonzert, das beim Publikum sehr begehrt ist.
Stolz präsentiert der Künstlerische Leiter, Christoph Drescher, ein Debüt, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO). Das DSO spielte allerdings schon einmal in Chorin, am 2. Juni 1990, doch lang ist`s her, und nun ist es endlich wieder da. Ganz bestimmt aber gibt sein Debüt in Chorin kein Geringerer als der Musikdirektor des Bolschoi Theater Moskau, Tugan Sochiew. Der Meister war bis 2016 Chefdirigent des DSO und folgte dem Ruf des großen Landes an sein bedeutendstes Opernhaus. In Chorin dirigiert er am 2.Juli ein russisches Programm – die Ouvertüre »Russische Ostern« von Nikolai Rimski-Korsakow, von Peter Tschaikowsky Variationen über ein Barockthema mit dem Cellisten Alexej Stadler sowie die Sinfonie Nr. 4. Ein weiteres Spitzenorchester aus Berlin ist das Orchester der Komischen Oper unter Henrik Nanasi und mit dem Pianisten Martin Stadtfeld. Er spielt das Klavierkonzert Nr. 9 von Mozart (von Albert Einstein Mozarts Eroica genannt). Zuvor wird er in einer Matinee für Kinder ab sechs Jahren das Klavier erklären und erzählen, welche Musik er besonders liebt. Hinzu gesellen sich wie immer das Konzerthausorchester Berlin und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Das Konzerthausorchester spielt ausnahmsweise am Freitag, dem 21. Juli, um 18 Uhr. Zur außergewöhnlichen Zeit bringt es den »Ausnahme-Pianisten« Kit Armstrong mit, der Beethovens Klavierkonzert Nr.1 spielt. Einen Knicks vor der Reformation vor 500 Jahren macht das Rundfunk-Sinfonieorchester am 27. August mit der »Reformationssinfonie« von Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Eröffnet wird der Musiksommer am 24. Juni von der Philharmonie Poznan und dem Philharmonischen Chor Brno mit Beethovens 9. Sinfonie sowie mit dem Stabat Mater von Karol Szymanowski. Als Stammorchester rangiert ferner die Staatskapelle Weimar, auch sie mit einem rein russischen Programm, mit Rachmaninow und Mussorgski. Das Orchester des Prager Nationaltheaters spielt das Cellokonzert von Antonin Dvorak und die »Unvollendete« von Franz Schubert. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt/Oder unter Leitung von Howard Griffith konzertiert gleich dreimal, am 1.Juli mit dem Violinkonzert von Mendelssohn-Bartholdy, Solist Iskander Widjaja, und der 9. Sinfonie von Anton Bruckner, am 15. Juli mit Filmmusiken und am 19. August mit türkisch-orientalischer Musik mit dem berühmten türkischen Perkussionisten Burhan Öcal. Bewegung machen will die junge norddeutsche philharmonie, eine Auswahl der besten Musikstudenten des Landes. Zwischen Mozarts Klarinettenkonzert, gespielt vom Klezmer-Star David Orlowsky, und Gustav Mahlers 7. Sinfonie laden sie am 12. August das Publikum zu einer Wandelpause mit Mozartscher Kammermusik in allen Teilen des Klosters ein.
Neben der Renaissance klassischer und romantischer sinfonischer Musik reizen Vokalkonzerte: am 22. Juli das Oktett »Voces 8« mit Barock, Romantik, Volksliedern und Pop. Die diesjährigen zwölf Abiturienten der Dresdner Kreuzschule treten am 29. Juli um 18 Uhr zum Abschied vom Chor und von der Schule gemeinsam auf, faktisch mit allem, was sie gelernt haben oder sich haben einfallen lassen. Weil sie ohne Verstärker singen, werden für dieses Konzert nur Plätze im Kirchenschiff verkauft. Die Krönung verspricht am 26. August der Leipziger Thomaschor unter der Leitung des neuen Thomaskantors Gotthold Schwarz.
Spannend wird es wieder bei den Bläserensembles. Ein reiches Repertoire und interessante Arrangements versprechen das Signum Saxophone Quartett und der Akkordeonist Martynas Lavickis am 16. Juli. Die noch gut bekannten »German Brass« machen erstaunen mit Interpretationen von Bach und Vivaldi bis Bernstein und Gershwin. Charme versprühen am 5.August »ten Thing«, zehn norwegische Blechbläserinnen unter Leitung der berühmten Trompeterin Tine Thing Helseth, auch sie mit einem schier unbegrenzten Repertoire. Das Blechbläserensemble Ludwig Güttler wird mit musikalischen Kostbarkeiten begeistern (20. August).
Im Reigen der Stammorchester fehlen auch 2017 die Berliner Symphoniker. Als Drescher sie 2015 nicht einlud, schrieb er an den Intendanten Jochen Thärichen: »Dann aber sicher 2016.« 2017 also noch immer nicht. Und auch in der Pressekonferenz wollte Drescher keine Aussage über eine künftige Einladung machen. Im Wissen um die Streichung der Zuschüsse des Berliner Senats hatte der verstorbene Künstlerische Leiter Gunther Wolff stets seine Solidarität mit dem Orchester betont. In der Arbeiterbewegung wird Solidarität nicht als Mitleid verstanden, sondern als Beistand für den Bruder im Klassenkampf. Den lässt man nicht im Stich. Die Nichteinladung der Berliner Symphoniker muss mittlerweile schon als Ausgrenzung empfunden werden. Wortbruch ist sie auf jeden Fall. Existenznot ist bei Orchestern und Theatern nicht selten. Zum Beispiel haben auch die Musiker des Staatsorchesters Frankfurt/Oder schon erfahren, wie das ist. Die Leitung eines Festivals muss abwägen, mit wem sie den guten Geist des Unternehmens teilen will.
Opernfreunde werden die Kammeroper Schloß Rheinsberg mit ihren jungen Preisträgern des alljährlichen Sängerwettbewerbs vermissen. Drescher und der neue Künstlerische Direktor der Kammeroper, Frank Matthus, suchen noch nach einer neuen Form der Präsentation.
Die vom Denkmalschutz geforderte neue Bestuhlung des Kirchenschiffs reduzierte die Sitzplätze von 1 400 auf 1 200. Der Wegfall dieser Einnahmen soll durch die Erhöhung der Preise der oberen Kategorien bei den fünf gefragtesten Konzerten um drei Euro auf 24, 27 und 33 Euro ausgeglichen werden. Die unteren Gruppen bleiben mit 14, 12 und 8 Euro (Rasen) unverändert. Neu ist der Beginn der Konzerte an den Samstagen um 16 Uhr (bisher 15 Uhr, auch sonntags weiterhin 15 Uhr). Die Besucher sollen die Zeit zum Besuch der neuen Dauerausstellung des Klosters nutzen. Ob diese Rechnung aufgeht oder eher Ärger macht, wird sich zeigen. Gewohnheiten sind zäh. Der Vorverkauf beginnt am 1. Dezember, 12 Uhr, über die Geschäftsstelle, die Homepage und über alle angeschlossenen Vorverkaufsstellen.