Hatten der Nahostkonflikt und die, wenn auch halbherzige, sozialistische Orientierung, den Irak zeitweise an die Seite der Sowjetunion gebracht im Kalten Krieg, änderte sich dies teilweise mit dem Ausbruch der Revolution im Iran 1979. Die Volksrevolution gegen das US-gestützte Schah-Regime, die allerdings schon bald in die Hände fundamentalistischer Mullas fiel, wurde über Nacht zum Feind Nr.1 der damaligen US-Politik. Saddam Hussein wollte die während der Revolutionswirren eingetretene innere Schwäche Irans ausnutzen, um eine erdölreiche Provinz dem Iran zu entreißen. Dies war zweifellos ein Aggressionskrieg, der allerdings unter der Oberfläche von den USA unterstützt wurde.
Bekanntlich war diesem Aggressionskrieg Saddam Husseins kein Erfolg beschieden. Die proamerikanische Phase der Politik Saddam Husseins ging zu Ende. Zwischenzeitlich gab es allerdings durchaus sogar Unterstützung aus den USA für die Erlangung von Massenvernichtungswaffen durch den Irak. Nun verlagerten sich Saddam Husseins Aggressionsgelüste in Richtung Kuweit. Mit der Eroberung dieses Landes wollte er den Anteil der Welterdölvorräte, die unter seiner Kontrolle stehen, beträchtlich ausweiten. Die USA und einige ihrer Verbündeten zogen nun in ihren ersten Golfkrieg. Zwar ging es ihnen zweifellos um die Ölvorräte der Region und es ist äußerst fraglich, ob sie einer anderen kleineren Nation so konsequent zur Seite gestanden hätten, aber der Aggressor in diesem Krieg war der Irak.
Die damals gerade noch vorhandene Sowjetunion hatte das US-amerikanische Eingreifen bzgl. Kuweit gebilligt, signalisierte aber ein Stopp bzgl. eines weiteren Vorstoßes auf Bagdad und der gewaltsamen Herbeiführung eines Systemwechsels. Die USA ermunterten die schiitische Bevölkerung Iraks zu einem Aufstand und ließen diese dann allerdings im Stich, als die Armee Saddam Husseins diesen blutig niederschlug. Gegenüber dem Irak wurden nun Abrüstungsauflagen verkündet und ein Embargo verhängt, das nicht nur Rüstungsgüter betraf. Seitdem aber schon juckte es den Falken im Pentagon und den Vordenkern der neokonservativen Politik in den USA in den Fingern, den Irak abermals anzugreifen und seine Eroberung samt Systemwechsel zu vollenden. Die Terrorangriffe von 9/11 mussten da garnicht erst kommen.
Der erste Golfkrieg der USA hatte aber noch eine andere Folge nach sich gezogen: In Saudi-Arabien waren US-Truppen stationiert worden, um von hier aus in Richtung Kuweit und Irak vorstoßen zu können. In Saudi-Arabien ist seit der Gründung dieses Staates die waabitische Richtung des Islam vorherrschend, eine besonders fundamentalistische und rückwärtsgewandte Strömung innerhalb dieser Religion. Das Herrscherhaus der Saudis begründet ihren Machtanspruch speziell mit der Durchsetzung dieser fundamentalistischen Variante des Islams. Vielen der allerfundamentalistischsten Radikalen wurde nun die Anwesenheit von „ungläubigen“ US-Soldaten im allerheiligsten Land des Islam, in Saudi-Arabien liegen Mekka und Medina, zu einem Dorn im Auge. Ozama bin Laden begann seinen Kampf gegen die USA.
Der Autor des vorliegenden Buches stellt nun die Frage, warum gewisse Kreise des US-Establishments ein so gewaltiges Interesse an der Eroberung des Iraks hatten. Schließlich seien letztendlich alle nennenswert erdölproduzierenden Länder ohnehin gezwungen an den Großabnehmer USA zu verkaufen, ob sie mit diesem nun politisch sympathisieren oder auch nicht, wie Iran oder Venezuela. Er kommt zu dem Schluss, dass es vor allem um eine Machtdemonstration ging, ein Zeichen zu setzen, dass nun, nach dem Ende des Kalten Krieges, ein amerikanisches Zeitalter begonnen Habe, in dem die einzig verbliebene Supermacht der Welt ihre Ideale aufzwingen könne. Die Illusionen gewisser Kreise, von einer Welt als einem einzigen US-Imperium dürften mittlerweile zerstoben sein. Allerdings denke ich, dass der Wunsch nach unmittelbarer Beherrschung wichtiger Erdölvorräte bei der Entscheidung für eine US-Aggression gegen Irak schon eine wichtige Rolle gespielt hat. Da geht es schließlich auch um Fragen der Preisgestaltung sowie der Profite aus der Erdölförderung, wenn die vormals staatlichen irakischen Betriebe in die Hand US-amerikanischer Ölkonzerne gelangen. Schließlich war die Regierung Bush/Chaney ja so etwas wie der verlängerte Arm der US-Ölindustrie.
Jedenfalls erinnere ich mich noch wie heute an die Zeit, die der US-Aggression gegen den Irak unmittelbar voranging, an die Spannung bei den UN-Inspektionsfahrten durch den Irak, die den angeblichen Stationierungsorten und Produktionsstätten von Massenvernichtungswaffen galten. Stundenlang verfolgte ich eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates über BBC am Fernseher. Als Saddam Hussein hierbei immer mehr nachgab und schließlich George W. Bush noch vor deren Beendigung den Krieg begann, war mir klar, dass zu diesem Zeitpunkt auf dieser Welt nur zwei Männer und ihre engsten Berater genau wussten, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besaß: Saddam Hussein und George W. Bush. Wenn es was zu finden gegeben hätte, hätte Saddam Hussein nicht ständig weiter nachgegeben bzgl. der UN-Inspektionen. Wäre es ihm wirklich um evtl. Massenvernichtungswaffen gegangen, hätte er das Ende der Inspektionsfahrten erst abwarten können. Aber er wollte sich den Kriegsgrund nicht entgehen lassen, zumal die patriotische Stimmung in den USA nach 9/11 innenpolitisch für einen Kriegskurs günstig war. Ob er den Angriff überhaupt gewagt hätte, wenn er denn gewusst hätte, dass der Irak wirklich über Massenvernichtungswaffen verfügt, halte ich für sehr fraglich.
Als ich dann die ersten Bilder vom Krieg im Fernsehen verfolgte, wurde mir schnell klar: They will win war, but`nt peace! Bereits die Eroberung Bagdads zeigte die ganze Verlogenheit der neokonservativen Cliquen in den USA: Der so bibeltreue Bush mit seiner ganzen fundamentalistisch bibeltreuen Gefolgschaft, zeigte nicht das mindeste Interesse, die Musseen der Hauptstadt des alten biblischen Landes Irak (früher Babylonien oder Mesopotamien), die Urheimat Abrahams, das Land des Turmbaus zu Babel, den Ort der babylonischen Gefangenschaft der Juden, vor Plünderungen zu bewahren. Vielleicht befinden sich viele der geraubten Exponate heute in den Safes US-amerikanischer Geldaristokraten.
Der Autor bescheinigt den USA, von Anfang an eine desaströse Besatzungspolitik im Irak betrieben zu haben. Von Anfang an hatten einige US-Generäle gewarnt: Zunächst mögen uns gewisse Bevölkerungsteile Iraks, wie die Schiieten und die Kurden, als Befreiungsarmee empfinden, aber aus jeder Befreiungsarmee wird schnell eine verhasste Besatzungsmacht, wenn es ihr nicht innerhalb eines Jahres gelingt, das Leben erstens wieder zu normalisieren und zweites, den Vorteil gegenüber dem früheren Zustand den Menschen klar vor Augen zu führen. Von beidem kann bis heute keine Rede sein.
Zunächst kritisiert der Autor die vollständige Entfernung aller Mitglieder der vormals regierenden Baath-Partei aus dem öffentlichen Leben. Diese Partei, wenn auch zunehmend pervertiert durch die politische Praxis Saddam Husseins, sei allerdings einstmals mit wirtschaftlich und gesellschaftlich progressiven Idealen angetreten. Die grundsätzliche Entfernung ihrer Mitglieder habe nur dem Vormarsch religiöser Fundamentalisten gedient. Zudem gab es unter ihren Mitgliedern zahlreiche Fachkräfte, die allein um ihrer Stellung Willen das Mitgliedsbuch benötigten. Deren Entfernung hat einer schnellen Normalisierung des öffentlichen Lebens nur geschadet. Die heutige irakische Regierung ist zwar aus relativ freien und fairen Wahlen hervorgegangen, aber es mangelt ihr so lange an Ansehen in der irakischen Bevölkerung, so lange sie nicht definitiv den einen endgültigen Abzugstermin für alle fremden Truppen fordert. Um genau dies zu verhindern, wurde sie von der Besatzungsmacht immer in einer möglichst schwachen Position gehalten, denn die Regierung Bush/Chaney hatte keinerlei Absicht, jemals wieder völlig aus dem Irak zu verschwinden.
Trotz der hineingepumpten Unsummen, blieb auch der wirtschaftliche Wiederaufbau Iraks ein Fehlschlag. Dies scheint ein Menetekel für die Zeiten der neoliberalen Globalisierung: Statt Aufbau irgendwelcher realwirtschaftlicher Strukturen versackt das Geld schnell in Korruption und Spekulation, da ja die Wiederaufbauaufträge grossteils an eben jene Konzerne gingen, die, hinter der Regierung Bush/Chaney stehend, die Aggression mit vorbereitet hatten, um daran zu verdienen. Die Bilder aus Abu Ghreib, die zeigten, dass unter US-amerikanischer Besatzung weitergefoltert wird, wo schon unter Saddam Hussein gefoltert worden war, machte die Besatzer endgültig verhasst und wurde zu einem Nährboden eben jenes Terrorismus, zu dessen Bekämpfung die Aggression vorgeblich unternommen worden war.
Die US-Besatzungspolitik hat die religiös-ethische Spaltung der irakischen Bevölkerung vertieft. Die säkulare Politik der Baath-Partei hatte diese Grenzen schon teilweise verwischt. Ähnlich wie nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es nun zu regionalen religiös-ethnischen Säuberungen. Wird der Irak nach einem US-amerikanischen Abzug in drei Staaten zerfallen: Einer kurdischen Republik im Norden, einem sunnitisch-arabischen Rumpfirak um Bagdad und einem schiitischen Gottesstaat im Süden? Jedenfalls wird sich ein demokratisch regierter Irak nur stabilisieren können, mit einem Plan für den vollständigen Abzug aller fremden Truppen, zur vollständigen Wiederherstellung der nationalen Souveränität. Seitdem das vorliegende Buch geschrieben wurde, ist es zu einem Regierungswechsel in den USA gekommen. Der neue Präsident, Barack Obama, ist immer ein Gegner des Irak-Krieges gewesen und hatte sich im Wahlkampf den Rückzug der USA aus dem Irak auf die Fahnen geschrieben. Hoffen wir, dass er diesen Kurs beibehält.
Der Autor diskutiert auch die Möglichkeit eines US-geführten Krieges gegen den Iran. Eine Invasion zu Lande mit der Zielstellung eines gewaltsamen Regimewechsels wie in Afghanistan und Irak dürfte allerdings wohl ausgeschlossen sein, da sich schon letztere Länder, bzgl. Bevölkerung und territorialer Größe dem Iran durchaus unterlegen, als militärisch kaum beherrschbar erwiesen haben. Allerdings wären natürlich gezielte US-amerikanische oder israelische Luftschläge gegen die iranischen Atomanlagen denkbar. Aber auch hiervor warnt der Autor sehr, denn erstens läge die mögliche Fertigstellung einer iranischen Atomwaffe noch in weiter Ferne und zum anderen könne der Iran sehr wirkungsvoll zurückschlagen, durch eine Invasion Iraks zu Lande und durch Tankerbeschuss in der Straße von Hormuz am Ausgang des Persischen Golfes, welche zu dessen völliger Blockade führen und damit die Ölversorgung der USA und Westeuropas ernsthaft bedrohen könnte. Hoffen wir, dass mit der neuen US-Präsidentschaft und auch mit den Problemen der Finanz- und Systemkrise auch diese Kriegspläne vom Tisch sind.
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Gwynne Dyer: Nach Irak und Afghanistan. Was kommt, wenn die westlichen Truppen gehen? Übersetzt von Andreas Simon dos Santos. Campus Verlag, Herbst 2008, 248 Seiten