Ausgehend von Korruptionsfällen in der Siemens AG mit Geldbußen von rund 800 Millionen Euro hatte das Landgericht München I im Dezember 2013 klargestellt, wie weit die Pflicht von Vorständen, Aufsichtsräten und verantwortlichen Mitarbeitern zur strengen Einhaltung der Gesetzlichkeit reicht. Die Vorstände seien verpflichtet, durch die Einführung eines Überwachungssystems (Compliance-System) nicht nur die wirtschaftlichen Risiken für das Unternehmen selbst zu verringern, sondern auch die strikte Einhaltung der nationalen und internationalen Rechtsordnung zu garantieren, was eben auch Bestechung und Bestechlichkeit ausschließen soll. Wer wann, wo, wofür verantwortlich sei, um Gesetzesverstöße auszuschließen, hat das Gericht sogar ausführlich beschrieben Das ist natürlich Lehrstoff für große wie kleine und mittlere Unternehmen, auch für Genossenschaften. Jürgen Keßler als Fachjurist und Kenner der Genossenschaftsszene konnte gute Ratschläge geben, wie das System in den Genossenschaften anzuwenden sei. Vor allem aber belehrte er die Teilnehmer, dass die moralischen Ansprüche an eine Genossenschaft und ihre Organe höher sind als an Kapitalgesellschaften. Sie hätten in der Öffentlichkeit eine besondere Reputation. Danach sei das Verhalten der Vorstände, Aufsichtsräte und Mitarbeiter nach innen und außen auszurichten. Dem sei natürlich auch die Gestaltung der Vorstands-Anstellungsverträge unterworfen. Hier ist Sorgfalt und Rechtschaffenheit besonders geboten.
Doch da beginnt das Problem. Laut Genossenschaftsgesetz werden die Vorstände von der Generalversammlung gewählt und abberufen. Eine andere Art der Bestellung und Abberufung kann als Ausnahme gewählt werden. Davon wird allgemein Gebrauch gemacht. Die Vorstände werden durch den Aufsichtsrat berufen. Jedoch in der Mustersatzung des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft ist schon gar keine Wahl durch die General- oder Vertreterversammlung mehr vorgesehen. Lediglich bei der Amtsenthebung durch den Aufsichtsrat wegen schwerer Pflichtverletzungen oder Untreue muss die General- oder Vertreterversammlung nachträglich zustimmen. Weiter lehrte Keßler, dass die Anstellung der Vorstandsmitglieder durch den gesamten Aufsichtsrat und nicht allein durch seinen Vorsitzenden erfolgen dürfe. Beschlüsse seien nicht durch »stillschweigendes« Einverständnis gültig, sondern sie müssten genau protokolliert werden. Auch ein Ausschuss zur Auswahl des Vorstands ist nicht zulässig. Neu ist die Regelung des Vorstandsvergütungs-Angemessenheitsgesetzes (VorstAG) von 2009, wonach Vorstandsgehälter den Aufgaben und Leistungen »angemessen« sein müssen. Abfindungen dürfen nur gezahlt werden, wenn auch die Genossenschaft durch das Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds einen Vorteil hat.
Dass dies nicht so selbstverständlich ist, bewies der Fall des Vorstands der Ersten Wohnungsgenossenschaft Pankow, Wolfgang B. Der hatte jahrelang mit Billigung der Vorsitzenden des Aufsichtsrats seinen Dienstvertrag Schritt für Schritt so verändert, dass er eine Abfindung auch erhielt, wenn er auf eigenen Wunsch ausschied (was schließlich geschah). Die Einsichtnahme der Mitglieder des Aufsichtsrats in den Vertrag wurde wegen »Datenschutzes« verweigert. Schließlich ging B. mit 511 000 Euro Abfindung und Übergangsgeld ab, auch eine satte Pension war für ihn als einzigem in der Genossenschaft gesichert. Der Fall beschäftigte jahrelang die Gerichte. Am Ende erklärte der Bundesgerichtshof die Abfindung für unwirksam.
Was wissen die Mitglieder überhaupt über die Entlohnung ihrer Vorstände? Was dürfen sie wissen? Darauf ging Keßler nicht ein. Die Einkünfte werden in der Regel verschwiegen. Der Professor für Genossenschaftsrecht Volker Beuthien hingegen hält die Offenlegung gegenüber der General- oder Vertreterversammlung für selbstverständlich, weil die Vorstandsmitglieder von den Genossen treuhänderisch eingesetzt sind.
Eben das rührt an das Selbstverständnis der Genossenschaft als gemeinsamem Eigentum ihrer Genossen, das die Vorstände in ihrem Auftrage verwalten. Deshalb fordert zum Beispiel die Initiative »Genossenschaft von unten«, die Pflicht zur Offenlegung der Einkünfte des Vorstands gegenüber den Mitgliedern in das Genossenschaftsgesetz aufzunehmen.
Gar nicht zur Debatte stand auf dem Kongress die Erstarrung der Strukturen in den Genossenschaften und damit die Verfilzung von Vorständen und Aufsichtsräten. Die tiefere Ursache des selbstherrlichen Schaltens und Waltens der Vorstände liegt nach Meinung von Kritikern im Paragraphen 27 des Genossenschaftsgesetzes, wonach der Vorstand die Genossenschaft unter eigener Verantwortung leitet. Das schließt jede Mitsprache der Mitglieder aus. Um diese Blockade zu durchbrechen, forderte die bereits erwähnte Initiative »Genossenschaft von unten« auf einer Konferenz der Linken im Bundestag die Wiederherstellung des Rechts der Generalversammlung, dem Vorstand geschäftspolitische Weisungen erteilen zu dürfen – bisher kein Thema auf den Genossenschaftskongressen der BBA.
Zur Vorsorge für die Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsräte gehört auch die Absicherung gegen Risiken ihres Leitungshandelns durch eine Haftpflichtversicherung, über die Rechtsanwalt Reinhard Arf, Aufsichtsratsvorsitzender der Berliner Baugenossenschaft 1892 eG, referierte. In dieser Hinsicht wird für die Verantwortlichen recht gut gesorgt, denn die Versicherungsprämien zahlen die Genossenschaften. Für die Absicherung der gewählten Vertreter, die als Interessenvertreter der Mitglieder wohl oder übel auch Kritiker der Vorstände sein müssen, weiß Arf hingegen keine Lösung. Das ist ein Hindernis der genossenschaftlichen Demokratie, denn die Vertreter riskieren erhebliche Gerichts- und Anwaltskosten, wenn sie vom Vorstand schikaniert oder gar ausgeschlossen werden. Dafür kommt keine Rechtsschutzversicherung auf. In jedem Falle schüchtert die fehlende Absicherung Kritiker ein. Das aber war auf dem Genossenschaftskongress kein Thema, sondern allein die Absicherung der Vorstände und Aufsichtsräte.
Die Mitglieder der Wohnungsgenossenschaften plagen ganz andere Sorgen – die Mietpreistreiberei. Die Verknappung von Wohnungen in den Großstädten reizt viele Vorstände an, dem Trend auf dem Wohnungsmarkt zu folgen und die Nutzungsentgelte systematisch zu erhöhen. Die Wohnungsgenossenschaft Lichtenberg zum Beispiel verspricht in ihrem Mietkonzept ihren Genossen bis 2018 stabile Mieten, setzt jedoch willkürlich »Mietuntergrenzen« fest. Wer unter der Grenze liegt, muss »in den nächsten Jahren mit einer Mieterhöhung nach Mietspiegel rechnen.« Und Neuvermietungen erfolgen weiter zu Marktmieten. Die Nutzungsentgelte beziehungsweise Mieten werden ohne jede Bindung an Kosten oder Wohnwerterhöhung erhöht. Auch die Wohnungsgenossenschaft Marzahner Tor erhöht die Nutzungsentgelte regelmäßig fast bis zur Obergrenze des Mietspiegels. Andere Genossenschaften steigern bei der Modernisierung die Kaltmieten bis auf das Doppelte. Die Mietkonzeptionen von ihren Mitgliedern beschließen zu lassen, lehnen die Vorstände jedoch strikt ab.
Was aber hat das mit dem Genossenschaftskongress zu tun? Die Initiative »Genossenschaft von unten« hat den Vorständen von 83 Berliner Wohnungsgenossenschaften ihren Gegenentwurf zu den Mietkonzeptionen offeriert und sie zur Diskussion aufgefordert. Sie hat Maren Kern, in Personalunion Vorstand des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen und der Akademie der Immobilienwirtschaft, vorgeschlagen, die Mietkonzeptionen der Genossenschaften auf dem Genossenschaftskongress auf die Tagesordnung zu setzen. Der diesjährige Kongress ist vorbei. Ein Zusatzangebot fände zweifellos starke Resonanz in der Genossenschaftsbasis.