Im Unterschied zu der Zeit bis 1990 traf diese Feststellung damals auf eine übergroße Zustimmung. Die Mehrzahl der Menschen im Bündnisgebiet fühlte sich bedroht. Das war verständlich, wenn man an die Panzermassen dachte, die nur wenige Kilometer entfernt standen und bei deren Übungen schon einmal auf den Düsseldorfer Rheinbrücken beim Übungsgeschehen alles durchgespielt werden konnte. Man muss es gar nicht breit ausdiskutieren. Es war so, dass den Menschen hier in Europa der jeweilige amerikanische Präsident und damit die Vereinigten Staaten näher standen, als alles das, was den Osten und damit den Warschauer Pakt verkörperte.
Das ist, bezogen auf das westliche Europa, heute grundlegend anders. Seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, seit Afghanistan und vor allem den Irak, seit Abu Ghraib, den Drohnen-Killer-Kriegen, dem Krieg in Libyen und dem Anfachen des Bürgerkrieges in Syrien ist das anders. Die Verantwortung für den Sturz einer frei gewählten Regierung in der Ukraine und den Einsatz amerikanischer Söldner in der Ostukraine, um einen innerukrainischen Krieg anzuzetteln, haben die dunkle Seite Amerikas und seines Wirkens in der Welt gerade für diejenigen deutlich gemacht, die bis in die Familien hinein die USA nicht fähig gehalten haben, derartiges verursachen zu können. Amerika muss in Rechnung stellen, dass dieses Jahr 2014 von zwei Bildern bestimmt gewesen ist: den olympischen Winterspielen in Sotchi und dem damit verbundenen russischen Bekenntnis zu den europäischen Wertvorstellungen, die in einem großartigen Fächer des russischen kulturellen Beitrag zum gemeinsamen Haus Europa mündete. Die damalige Erwartung war, dass es nach dem Ende der Winterspiele zu einem von den USA zu verantworteten Umsturz in Moskau werde kommen können. Stattdessen tragen die USA die Verantwortung dafür, dass Europa sich wieder Gedanken über den nächsten Krieg auf europäischen Boden macht.
Da ist der jetzt in Form eines militärischen Beschäftigungsprogramms aufgelegte Krieg gegen die Schattenkrieges des IS nur ein Ablenkungsmanöver, das den üblichen amerikanischen Drehbüchern entspricht. Vor Wochen noch wusste niemand etwas von diesen Formationen. Auch Präsident Obama angeblich nicht, als er die Einnahme der irakischen Stadt Falludscha durch ebendiese Kräfte dramatisch herunterspielte. Er kennt doch die nach dem Modell der „Taliban“ gefertigten amerikanischen Drehbücher. Alleine schon, wenn man sich die aus der Region stammenden „Bündnispartner“ der USA ansieht, erkennt man die Horde der Brandstifter, die seit Jahren völkerrechtswidrig Krieg gegen Syrien führen. Präsident Obama scheint keine rechte Vorstellung davon zu haben, wie weite Teile der Welt das sehen, was er aus inneramerikanischen Gründen als „Akzeptanz der amerikanischen Führung durch den Rest der Welt“ ansieht. Wir sehen die seit Jahrzehnten sich in unserer Nähe abzeichnende Blutspur, für die zu unserem Leidwesen ausschließlich und alleine die USA die Verantwortung tragen. Führung, die diesen Namen verträgt, geschieht durch Überzeugung und breite Akzeptanz. Erzwungene „Gefolgschaftstreue“ erinnert an unselige Zeiten und gerade wir wissen, wohin das führen kann und wird.
Wer wollte es bestreiten, dass Führung Verantwortung bedeutet. Dazu gehört nicht, die Welt in Schutt und Asche zu legen. Die Welt hatte am Ende des „Kalten Krieges“ ausreichend Instrumente zur Verfügung, mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden, nachdem man die als unlösbar erscheinende Teilung Deutschlands und Europas über die entsprechenden Verhandlungsforen überwinden konnte. Modellhaft hätte man dies auf andere Problemgebiete anwenden können, wie die unter großem persönlichen Einsatz der kasachische Präsident Naserbajev mit der „Shanghai Kooperationsgruppe“ unter Einschluss nicht nur Chinas und der Russischen Föderation erfolgreich durchgezogen hat. Wo es möglich war, haben die USA Ansätze dieser Art torpediert. Warum soll die Welt dankbar für das sein, was die USA weltweit veranstalten, wenn das sich in den durchgehenden Einsatzmöglichkeiten für den gewaltig überdimensionierten amerikanischen Militärapparat erschöpft?
Und das alles soll der deutsche Außenminister Steinmeier bei seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Wochenende in New York nicht bedacht haben? Er hätte sich doch wenigstens an unseren Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnern müssen, dem er überzeugend zugearbeitet hat und der vor wenigen Wochen noch freimütig bekannte, dass er mit dem Einsatzbefehl für deutsche Bomber beim völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien genau diese Völkerrecht gebrochen habe. Wo war da Herr Steinmeier und was hat ihn bei der deutschen und alliierten Verantwortung für die Zerstörung des Völkerrechts seit diesem Krieg und bei den anderen Kriegen jetzt in New York geritten, dafür der Russischen Föderation die Verantwortung in die Schuhe zu schieben. Wenn solche Reden von unseren Regierungsspitzen in New York gehalten werden, ist es besser, wenn man in Berlin bleibt. Viele von denen, die die Welt beurteilen und gestalten, saßen im Plenum der Generalversammlung dabei. Sie wussten um die ehrenwerten Bemühungen der drei europäischen Außenminister Sikorsky, Fabius und Steinmeier, einen allgemein akzeptierten Übergang in Kiew zu gestalten. Auf dem Maidan-Platz in Kiew senkten dazu diejenigen die Daumen, deren Hintermänner anschließend mit fast einhundert Toten ein fürchterliches Massaker auf eben diesem Platz angerichtet haben. Das wissen wir doch seit den Balkan-Kriegen zu genüge. Es muss als erstes unter Beweis gestellt werden, dass die Europäer nichts bewältigen und regeln können. Erst dann reitet man in Washington aus der Festung. Was hat aber unseren Außenminister in New York geritten, über ein Nachbarland herzufallen, dem man zwar alles nachsagen kann, aber das keinesfalls für den Zustand verantwortlich ist, den wir heute bei der internationalen Rechtsordnung feststellen müssen. Wir schon.