Keine leichte Aufgabe im Fall des römischen Kunstmalers Cavaradossi (Christian Juslin). Dieser hatte dem aus der Haft entflohenen politischen Gefangenen Cesare Angelotti (Rolf Broman) Fluchthilfe gewährt und lässt nun selbst unter Folter keine näheren Informationen aus sich herauspressen. Eine Art Politthriller vor dem Hintergrund der Napoleonischen Kriege in Italien?
Mafia-Kulisse
Die Bonner „Tosca“-Inszenierung von Philipp Kochheim geht noch einen Schritt weiter. Sie transponiert die vom Libretto vorgegebene Handlung aus dem Jahr 1800 in die von politischen Turbulenzen gekennzeichnete Mafia-Epoche des letzten Jahrhunderts. In jene Zeit der sechziger bis achtziger Jahre, als – wie hier im ersten Akt – von Autobomben zerstörte Fahrzeuge keinen ungewohnten Anblick im Straßenbild italienischer Städte darstellten. Scarpia in seiner Funktion als Polizeichef demnach nichts Anderes als ein gewissenloser Pate, stets bedacht auf seinen eigenen Vorteil?
Der zweite Akt bestätigt diese Annahme. Er führt hinein in Scarpias Dienstbereich im Palazzo Farnese, prächtig ausgestattet mit Kronleuchter und antikem Wandrelief. (Bühne: Thomas Gruber) Hier residiert der Polizeichef als Mann mit Stil, der sich während der Folterprozedur Cavaradossis durch die aus dem Nebenraum heraus dringenden Schmerzensschreie auch nicht einen Augenblick den Appetit verderben lässt. Und der zudem als Mann von Welt schon gar nicht verzichten mag auf einen edlen Roten, abgerundet mit einer guten Zigarre.
Schlagabtausch auf Augenhöhe
Doch ihn gelüstet nach mehr. Denn herausgeputzt für einen Gesangsauftritt an anderer Stelle, betritt in einem rot wallenden Traumkleid die Sängerin Tosca (Yannick-Muriel Noah) den Raum. Scarpia, kein Freund von Traurigkeit, wittert seine Chance. Auf ihren Rettungsversuch zugunsten Cavaradossis kontert er geschickt mit einem Erpressungsversuch, dessen Zielrichtung über jeden Zweifel erhaben ist. Ein mit Mitteln des Gesangs ausgeführter Schlagabtausch auf Augenhöhe, wie er packender nicht sein könnte.
Bis die Schlinge sich zuzieht. Denn abweichend vom Libretto ist es nicht eine Pistolenkugel, die das Scheusal beim Ausstellen eines Passierscheins ins Jenseits befördert. Vielmehr wird eine harmlose Telefonschnur zur Tatwaffe Toscas, die nach erbittertem Zweikampf irgendwann doch noch ihre Wirkung tut. Ende gut, alles gut?
Zwischen Oper und Musikdrama
Die sich für die Liebenden eröffnende Win-Win-Situation, an deren Ende die Flucht Toscas mit Cavaradossi stehen soll, erweist sich jedoch als brüchig. Denn als sich der von Scarpia vor seinem Tod verfasste Passierschein als eine gezielte Täuschung herausstellt, hat Cavaradossi irgendwo in einem tristen und düsteren Gefängnishof (Beleuchtung: Max Karbe) längst mit dem Leben bezahlt. Genau dort, wo auch Tosca, abweichend von der Engelsburg-Szenerie im Libretto, nach Bekanntwerden ihres Mordes an Scarpia mit einem Pistolenschuss ihrem Leben ein Ende setzt.
Ein anrührendes Werk, angesiedelt zwischen herkömmlicher Italienischer Oper und modernem Musikdrama. Und auch in der Inszenierung Kochheims voller genialer Geistesblitze. Doch bleibt der Regisseur letztlich den Beweis schuldig, dass die zeitliche Verlegung der Handlung in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert tatsächlich erforderlich ist. Dieser Transponierung in Richtung mafiotischer Neuzeit hätte es wahrlich nicht bedurft, um die von Zuneigung, Eifersucht und Misstrauen geprägte Dreiecksbeziehung Cavaradossi – Tosca – Scarpia, wie von der Regie intendiert, dem Publikum „näher zu bringen“. Wiewohl andererseits ein nicht zu übersehender Reiz gerade von dieser ungewöhnlichen und unerwarteten Neuausrichtung ausgeht.
Bonner Neuentdeckungen
Alle drei Hauptpersonen sind – als Bonner Neuentdeckungen der beginnenden Ära Bernhard Helmich – in ihrer sängerischen sowie schauspielerischen Leistung über jeden Zweifel erhaben. Wie auch Rolf Broman als Angelotti, Priit Volmer als Mesner, Johannes Mertes als Spoletta, Alexey Smirnov als Sciarrone, Hartmut Nasdala als Schließer und Katharina Liebhardt als Hirt. Dazu Chor und Kinderchor des Theaters Bonn (Volkmar Olbrich / Ekaterina Klewitz).
Durchweg überzeugend auch das einfühlsam aufspielende Beethoven Orchester Bonn, das unter der Leitung von Hendrik Vestmann die in dem Werk angelegten Dramatik wirkungsvoll mitgestaltet. Eine überzeugende Gesamtleistung, die das begeisterte Publikum mit lang anhaltendem Applaus würdigt.
Weitere Aufführungen bis 27. März 2014