Bibone, Jesolo, Italien (Weltexpress). Die kilometerlangen Adria-Sandstrände von Jesolo oder Bibione sind beinahe legendär, fast jeder kennt sie. Doch wer weiß schon, dass sich hinter den Bettenburgen ein Traumrevier für Binnenskipper erstreckt? Kanäle, Flüsse und ausgedehnte Lagunen warten darauf, entdeckt zu werden.
Chiusa oder conga? Das ist hier die italienische Frage. Linda legt die Stirn in Falten und schaut ratlos den Vollmond an, während ein Spötter dazu sein Nachtlied trällert. Die fröhliche Runde an Oberdeck gerät ins Stocken, aber Carlo entscheidet salomonisch: „Es gibt beide Wörter bei uns für Schleuse, aber keine einzige auf eurer Strecke!“ Allgemeine Erleichterung macht sich breit, denn Schleusen zu befahren gilt unter führerscheinlosen Hausboot-Kapitäns-Neulingen als hohe Kunst. Der immer gut aufgelegte Basisleiter Carlo erweist sich auch als guter Psychologe: „Das ruhige und einfache Fahrtgebiet ist wie geschaffen für euch.“
Boots-Geheimnisse
MAGNIFIQUE – der französische Bootsname wird Programm: schön! Da sind sich alle einig. Die kleine Crew brennt schon darauf, am nächsten Tag von der neuen Le-Boat-Basis aus nach Süden vorzustoßen. Die liegt am Flüsschen Stella im idyllischen Städtchen Precenicco. Zur geografischen Orientierung: Letzteres gehört zur nordostitalienischen Provinz Udine nahe der slowenischen Grenze. Nur jeweils rund eine Autostunde von Venedig oder Triest entfernt.
In die Geheimnisse des Bootes, seiner Beherrschung samt Technik und Besonderheiten der Flussfahrt bei Strömung und Gezeiten (Hub ein Meter) hat sie Carlo schon gleich nach der Ankunft eingeweiht. Jeder muss mal starten, ablegen, steuern, auf engem Raum drehen, das Bugstrahlruder benutzen, anlegen. „Ist doch gar nicht so schwierig“, freut sich Silke über ihre gelungenen Manöver und brennt darauf, auch mal Skipperin sein zu dürfen. Carlo hat nicht nur sie dazu motiviert. Für Leo, der schon Erfahrung mitgebracht hat, ist alles „geradezu ein Kinderspiel“.
Zufrieden verzieht man sich – nicht ohne sich nach ein paar Gläsern regionalem Begrüßungsrotwein entspannt zu haben – in die gemütlichen Kabinen und träumt dem Tag entgegen. Unter dem Kiel sorgt die romantische Stella für einschläferndes Wellengluckern.
Stella-Kurven
Gelassen strömt der Fluss dahin, während unsere Freizeitskipper versuchen, die MAGNIFIQUE in den Griff zu bekommen. Stellas Kurven verlangen ständig nach Kurskorrekturen. „Als würdest du deinen Namen ins Kielwasser schreiben“, kann sich Bettina die Bemerkung über den Schlangenlinien-Kurs des Rudergängers nicht verkneifen. Durch das üppige Ufergrün – ein Paradies für Reiher, Kormorane, Schwäne, Enten, Singvögel – leuchten signalrote Mohnfelder, über denen sich ein hoher Wolkenhimmel wölbt.
In flotter 12-Kilometer-Fahrt – mehr ist ohnehin nicht erlaubt – schiebt MAGNIFIQUE mit schaumigem Bart zu Tal. Plötzlich öffnet sich der schützende Pflanzenvorhang und gibt den Blick frei auf das glitzernde adriatische Meer – oder doch nicht? Eine Kontrolle anhand der mitgelieferte Seekarte (1 : 75.000) zeigt, dass erst die Laguna di Marano erreicht ist: ein rund 16 Kilometer langes und acht Kilometer breites, durch Strandwälle abgeriegeltes flaches 16.000-Hektar-Becken. Darin können sogar Schwäne problemlos neben der maximal nur zwei Meter tiefen Fahrrinne stehen. Nach Osten schließt sich die etwa gleich große Laguna di Grado an. Beide sind durch künstlich gegrabene Zufahrten mit der offenen See verbunden, die aber mit Hausbooten nicht befahren werden darf. Andererseits nehmen`s italienische Skipper nicht so genau. Mal fährt man links, mal rechts, überholt nach Laune und ignoriert Geschwindigkeitstafeln.
Die gelb leuchtenden (Wasserstraßen-)Schilder am Ende des drei Kilometer langen Canale Cialisia, die an einem Dalben befestigt sind, werden allerdings respektiert: links geht ´s Richtung Triest, rechts nach Venedig. „Bis dahin“, weiß Katja, „sind es 145 Kilometer Kanalfahrt durch eine prachtvolle Landschaft, die in drei Tagen bewältigt werden kann bis zur Le-Boat-Basis in Casale“.
Bade-Vergnügen
Die Crew entscheidet sich für links herum. Der Weg ist abgesteckt: Man muss immer nur zwischen den Doppelpfählen fahren bis zum nächsten Schild. Der Canale de Lustri macht Lust – auf die Marina des illustren Adria-Badeortes von Lignano. Dort soll festgemacht und übernachtet werden. Der Hafenmeister ist freundlich und hilft beim Festmachen, erst dann kassiert er seinen Obulus: 45 Euro, nicht ganz billig. Wenn man sich aber umschaut in der Nachbarschaft, weiß man warum: Teure Luxusyachten dümpeln hier hochglanzpoliert an ihren Liegeplätzen und warten auf die Sonntagsausfahrt mit ihren gut betuchten Eignern.
Die MAGNIFIQUE-Crew indes löst die Fahrräder von ihrem Platz am Heck und strampelt mit Badezeug in die Stadt. Auf der anderen Südseite möchte man am breiten, acht Kilometer langen Sandstrand baden gehen. Militärisch aufgereihte gebührenpflichtige Liegen und Sonnenschirme in schier unendlichen Paradereihen sind nicht gerade eine Augenweide, ebenso wenig die Hotelburgen auf der anderen Straßenseite. Aber das Wasser ist Mitte Mai schon halbwegs badewarm. Also nichts wie hinein! Mit so gesteigertem Appetit kann man hier Unzahl von Osterias ansteuern, darunter auch solche der Spezies „Schicki-Micki“. Etwas schlichter hält es die Crew: Einkehr abseits der Show-Pfade bei Frutti di Mare, Pizza und Vino Rosso.
Foto-Beute
„Kurs Nord!“ heißt es nach ausgiebigem Frühstück. Vier Kilometer immer entspannt der langen Doppelpfahlreihe des Canale di Marano nach. Am Lagunenrand zeichnet sich schon flimmernd das Städtchen ab. Problemlos wird am öffentlichen kostenfreien Anleger – kurz nach der Einfahrt auf der linken Seite – angelegt. Ein gerade eingelaufener Kutter macht neugierig. Was der wohl gefangen hat? Die freundlichen Fischer präsentieren ihren dicksten Fisch: ausgerechnet einen Hai, dem der eine noch seine Hand in den Rachen schiebt. „Irgendwie gruselig“, findet Bettina, fotografiert aber trotzdem die Szene. Einer der Italiener verrät sogar sein Hai-Rezept: marinieren in Bier und dann grillen – mhhh, ein Gedicht!
Marano hat sich herausgeputzt. „Einfach hübsch!“, kommentiert Katja die bunten historischen Häuser an den engen Gassen, die von einem Campanile-Glockenturm überragt werden.
Plötzlich, am Ende des langgestreckten Bootshafens, ist Schluss mit Stadt: Man ist umringt von Natur. „Riserva Naturale della Valle Canal Novo“ liest man neben einem niedrigen Strohdachhaus aus dem traditionellen Baustoff Lehm. Ein Ranger begleitet die MAGNIFIQUE-Truppe über einen hölzernen Laufsteg und weist auf das geballte Leben in dem Schutzgebiet hin: Schildkröten, Singschwäne, Schlangen, Fische. Aus dem ersten Stock des Ausstellungshauses mit Aquarien und Schautafeln schweift der Blick weit über die sattgrüne amphibische Sumpflandschaft. Der Parkwächter berichtet nicht ohne Stolz, dass die Region Friaul-Julisch-Venetien dreizehn Naturschutzgebiete, 20 Biotope und drei Naturparks beherbergt. Da freut sich Heiner, den „Naturfreak“ aus Bayern, ganz besonders. Er, Leo, Manfred und Holger schießen wie wild in die Gegend – mit ihren Kameras – und präsentieren sich anschließend ihre Foto-(Aus-)Beute. Wie auch später von Grado aus im beeindruckenden Naturreservat der Insel Cona am Isonzo-Fluss vor der Kulisse der Dinarischen Alpen. Eine wahre Fundgrube für Tier- und Pflanzenfreunde. Wildpferde und Bisamratten tummeln sich hier auf den Weiden, im Lagunen-Urwald und in den Gewässern, Bienenfresser und Flamingos, Uhus und Austernfischer, Schildkröten und Salamander.
Aquilea-Luftnummer
Der Nachmittag gehört einem 25-Kilometer-Sightseeing-Programm: bis nach Aquilea am Flüsschen Natissa. Die ist gespickt mit kleinen Inselchen. Obendrauf thronen von Bäumen geschützte Casonis, größtenteils aus Schilf und Lehm gebaute Hütten der Lagunenfischer. Die Sandinsel-Ketten San Andrea und Morgo zur Rechten schützen die Lagunen-Kanalstrecke vor starken Winden und bieten seeseitig schneeweiße Badestrände. Aber auch die tieferen Durchstiche, zum Beispiel Canale Marino oder der La Fosa, verlocken immer wieder zum Baden in frischem Adria-Wasser. Wobei man einfach – wie auch zur Gratis-Übernachtung – an einem Dalben festmachen und die Badeleiter herunterklappen kann.
Festgemacht an einer Werftpier im altehrwürdigen Aquilea, fährt ein älterer Mercedes vor. „O, o!“, hört man nur aus der verängstigten Runde. Das Boot liegt nämlich genau neben einem Kran, an dessen Haken ein kleines Boot baumelt. Die deutsche Furcht, weggejagt zu werden, entpuppt sich als Luftnummer. Der smarte Herr stellt sich freundlich lächelnd mit klangvollem Namen vor: Gianluca Baronchelli, Sindaco oder Bürgermeister von Aquilea. Vor 2.500 Jahren hätte er hier rund 200.000 Untertanen gehabt, als die Römer noch ihre viertgrößte Stadt regierten. Heute seien es leider nur noch 5300, „aber dadurch überschaubar und gut zu lenken“.
Hausbootfahrer-Mosaik
Signore Baronchelli – irgendwie klingt das adlig – sei auch für touristische Belange zuständig und habe von dem Anlauf der MAGNIFIQUE gehört. Mit einem Berg von Info-Material klettert er über die schmale Laufplanke an Bord. Spontan wird er von der Crew zum Mittagessen eingeladen. Was es gibt? Spaghetti natürlich, echt í la Bolognese. Dem Sindaco mundet die von „teutonischer“ Hand zubereitete Landesspeise vorzüglich und er empfiehlt zur Verdauung einen Stadtrundgang. Der offenbart Erstaunliches: Aquilea war zu Römerzeiten der größte Hafen des Reiches, allerdings damals an der offenen Adria gelegen. 350 Meter lange Pieranlagen für große und kleine Schiffe wurden an der 48 Meter breiten Flussmündung ausgegraben und liegen heute trocken.
In der romanischen Basilika gibt es einen antiken „Hausbootfahrer“ zu bewundern: als 1300 Jahre altes Mosaik im Kirchenfußboden.
Klar zum Auslaufen flussabwärts durch die Laguna – sechs Kilometer bis Grado, der „Mutter von Venedig“. Das Rückwärtseinparken zwischen vier Pfählen packt Holger mit Bravour.
Während die Sonne glutrot im Mastengewirr versinkt, klatschen die Marina-Mitarbeiter Beifall.
Das wird, bevor es am nächsten Tag auf Gegenkurs nach Precenicco geht, in einem Straßencafé der quirligen Altstadt bis nach Mitternacht gefeiert. Auch diesmal herrscht wieder Einigkeit im Urteil: Die Lagunen von Friaul Julisch Venetien gehören zu den eindrucksvollsten europäischen Binnenrevieren. Kenner sollen hier noch hunderte von wenig bekannten Wasserwegen entdecken können. „Tagelang“, findet Leo, der unbedingt wieder kommen möchte, „könnte man hier auf Kreuzfahrt gehen“.
Informationen:
Das Boot (Typ Magnifique): 14,50 m Länge; 4,10 m Breite; 0,85 m Tiefgang; 55 kW-Maschine; 12 km/h (max.) Geschwindigkeit; 8 Liter/h Dieselverbrauch; weitere Detailinformationen im Weltnetz unter: www.leboat.de
Vermieter: Le Boat (gehört zur TUI Travel PLC Unternehmensgruppe) verfügt über rund 1.000 Hausboote an 44 Abfahrtsbasen in Europa. Alle Boote mit Platz für zwei bis zwölf Personen sind einfach und ohne Führerschein zu steuern. Sie bieten einen geräumigen Salon, separate Schlafkabinen, Duschen mit fließend Warm- und Kaltwasser und komplett ausgestattete Kombüsen. Vom Besteck und Geschirr bis zu Bettwäsche und Handtüchern steht alles an Bord bereit.
Preisbeispiel: Einwöchiger Hausbooturlaub ab Precenicco (Kosten für reine Bootscharter, ohne Betriebsstunden): Typ Magnifique, für 8+2 Personen: ab 232 € pro Person (bei Maximalbelegung); Typ „Caprice“ für 4+2 Personen: ab 264 € pro Person (bei Maximalbelegung); beide Bootstypen jeweils klassifiziert mit 4 Ankern/Sternen.
Buchung und Informationen: Le Boat,Telefon: 06101/5579112, E-Mail: info@leboat.de, Website: www.leboat.de
Karten- und Infomaterial: Kurt Frey, Gewässerführer „Litoranea Veneto – die Binnenverbindung von Venedig bis Monfalcone mit allen schiffbaren Kanälen und Flüssen“, Website: www.water-ways.net; eine (beim ersten Mal ausreichende) Übersichtskarte wird vom Vermieter gestellt.
Friaul Julisch Venetien: Alpen und Adria stellen hier eine vielfältige und wechselhafte Landschaft dar. Hier treffen die italienische, slawische und deutschsprachige Kultur aufeinander: eine Art Schmelztiegel der Traditionen, Sprachen und Religionen.
Fast 8000 qkm unberührte Berge, sanfte Hügellandschaften und die Adria sind Koordinaten eines Knotenpunktes der europäischen Geografie; er war schon immer Kreuzweg von Schicksalen und Völkern. Der Wasser- und Landtourist wird mit einer reichhaltigen Vielfalt aus Natur und Kultur belohnt.
Informationen über die Region: Fremdenverkehrsbüro Friaul Julisch Venetien, Email: info@turismo.fvg.it, Website: www.turismofvg.it Telefon: +39/0432/815111
Flugverbindungen: Air Dolomiti, Triest – München – Triest: 4 x täglich, Venedig – München – Venedig: 3 x täglich