Diese nähere Beleuchtung wurde dem Autor jener im Vorwort vorangestellten Zeilen und Verfassers der Biografie seines Freundes und Lehrers durch „das Umfeld Immendorffs“ untersagt. Man sei anderer Auffassung und sehe diesen Bereich als Privatsphäre an, der geschützt sei. HP Riegel, 1959 in Düsseldorf geboren, studierte visuelle Kommunikation, Fotografie und Philosophie. Er lernte Immendorff als Fünfzehnjähriger kennen und war seit Ende der Siebziger Jahre fünf Jahre lang sein Assistent, später auch Projektpartner. Was macht den Stoff seiner Beschreibung nun so skandalös, dass sich bereits im Vorfeld für Unvollständigkeit und Zensur entschuldigt werden muss?
1945-2007, diese Daten rahmen das Leben des Exzentriker und eines der umstrittensten Gegenwartkünstlers: Jörg Immendorff. Geprägt von radikalen Hin- und Abwendungen, politischen wie menschlichen Achterbahnfahrten. Immendorff war eine Skandalfigur, Liebling der Billigblätter, die er seinerseits eifrig bediente. Sich in ihrem Glanz sonnte. Mit Goldkettchen und Doppel-Rolex behangen, in Latzhose oder Lederjacke. Mit Koks und leichten Mädchen. HP erzählt das Leben Immendorffs chronologisch nach, klärt auf über frühe Verluste und Beschämungen, aber verschweigt auch nicht die frühe Eitelkeit und Vereinnahmung des stets selbstunsicheren und malerisch eher schwach Begabten. Für jüngere Leser wird vor allem der exzellent zusammengefasste Überblick über die Kunstszene und den sich entwickelten Kunstmarkt West-Deutschlands seit den 60er Jahren wertvoll sein. Galeristen, Kunstsammler und Rezensenten werden hier vorgestellt, die Szene selbst von Beuys bis zu den Jungen Wilden in ihrem Kontext erläutert.
Der Skandal um die im Herbst veröffentlichte Biografie ist bislang ausgeblieben, der vor vier Jahren verstorbene Künstler wird durch seine „Café Deutschland-Zyklen“ in Erinnerung bleiben, und durch seinen gelebten Wunsch, aufzufallen. Hier arbeitete jemand hart daran, wahrgenommen zu werden. Aber; „Je erfolgreicher Immendorff wurde, so schien mir, desto mehr begehrte er, geliebt zu werden. Anerkennung war für ihn eine gültige Form der Liebe“, beurteilt Riegel die Kehrseite jenes Gebarens.
Fazit: eine dramatische Suche nach Ruhm, spannend und ausführlich beschrieben!
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HP Riegel, Immendorf, Die Biografie, 400 S., Aufbau Verlag Berlin, Oktober 2011, 24,95 €