Berlin, Deutschland (Weltexpress). Ein bisschen mehr Kreativität bei diesen Spionagegeschichten wäre wirklich ganz nett. Muss ja nicht gleich James-Bond-Niveau sein, aber wenn man schon unbedingt eine Geschichte über Drohnen verkaufen will, sollte sie zumindest ansatzweise Sinn ergeben.
Die bösen Russen … Jetzt sollen sie also mit Drohnen über Brunsbüttel geflogen sein. Berichtet die Bild. Dass es eine russische Drohne gewesen sein muss, wird messerscharf aus der Tatsache gefolgert, dass sie mit mehr als 100 Stundenkilometern unterwegs war.
Ja, die Geschichten, die so serviert werden, lassen wirklich sehr zu wünschen übrig. Aber das ist man ja schon gewöhnt, spätestens seit dem Rollatorputsch und den gefährlichen Agenten, die ausgerechnet in Grafenwöhr fotografiert haben sollen. Wenn man sich auf eines verlassen kann, dann darauf, dass die Logik beleidigt wird.
Fangen wir mal mit dem ersten Argument an: die Drohne war so schnell. Man braucht genau 30 Sekunden, um herauszufinden, dass handelsübliche FPV-Drohnen 140 Stundenkilometer schaffen und der Rekord für eine Renndrohne schon 2017 bei 263 km/h lag. Aber was soll’s. Prüfen wir diese Behauptung doch einfach mal auf Plausibilität.
„Besonders auffällig: eine mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde fliegende Drohne am 20. August, die ab 23.20 Uhr über dem ‚ChemCoast Park Brunsbüttel‘ gesichtet wurde. Polizeiintern wurde dazu in einem Bericht festgehalten: ‚Durch den Überflug über das Kernkraftwerk wurde mehrfach die Flugverbotszone missachtet.‘ Erfasst worden sei ein feindliches Objekt, mutmaßlich eine Militär-Drohne.“
So weit die Bild. Und jetzt beginnt das technische Nachdenken. Dabei gibt es schon einmal ein kleines Problem, wenn man davon ausgeht, es handele sich wirklich um Spionage: Nur die ganz großen und sehr teuren Aufklärungsdrohnen fliegen schnell, weil die Geschwindigkeit natürlich mit einem Verlust an Bildinformation einhergeht. Es gibt unzählige Videos aus dem praktischen Gebrauch der kleinen Aufklärungsdrohnen, mit denen man einen Eindruck gewinnen kann, wie schnell sie unterwegs sind.
Wäre es eine große Drohne gewesen, wie die, mit denen die NATO ständig im Schwarzen Meer herumfliegt, dann hätte sich die Frage, ob es sich um ein militärisches Objekt handelt oder nicht, gar nicht gestellt. Dass nicht von einer besonders großen Drohne die Rede ist, sondern nur von einer schnellen, schließt diese Variante deutlich aus.
Und jetzt noch eine große Überraschung: Russland hat Satelliten. Sprich, Drohnen zu Aufklärungszwecken wären nur insoweit interessant, als sie Daten liefern, die die Satelliten nicht liefern können. Das Kernkraftwerk Brunsbüttel steht dort seit 1977 und ist bereits seit 2007 außer Betrieb. Sollte die NATO nicht eine supergeheime Waffe entwickelt haben, die ermöglicht, dass ein stillgelegtes Kernkraftwerk auf (der örtlichen Kultur angepassten) Schweinsfüßen durch die norddeutsche Tiefebene trabt und daher der Standort regelmäßig aktualisiert werden muss, gibt es hier keine Informationen zu finden, die nicht schon auf sowjetischen Satellitenbildern aus dem vergangenen Jahrhundert zu sehen sind.
Aber der Chemiepark … Gut, vielleicht ist es von einem gewissen Interesse, nachzusehen, welche der Firmen in diesem Chemiepark noch arbeiten und welche dank der Sanktionspolitik bereits stillgelegt wurden. Aber dafür kann man auch die Lokalzeitung studieren.
Das Interessanteste an Brunsbüttel, militärisch gesehen, ist sicher die Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal. Allerdings – internationale Wasserstraßen haben es so an sich, dass genaue geografische Daten weit verbreitet sind, also ausgesprochen wenige Geheimnisse zu finden wäre. Abgesehen davon kann man das bei der Durchfahrt alles sehen, dafür braucht man keine Drohne. Mit einer langsamer fliegenden könnte man aber zumindest nachsehen, ob auf dem in der Nähe von Brunsbüttel liegenden Festivalgelände in Wacken alles wieder aufgeräumt ist.
Grundsätzlich: Drohnen haben dann Vorteile gegenüber Satelliten, wenn es um die Beobachtung beweglicher Ziele geht. Um den Zeitraum, der zwischen einem Überflug und dem nächsten liegt. Natürlich werden sie privat genützt, wenn das die einfachere und kostengünstigere Lösung ist, aber viele der dabei vielleicht erhältlichen Informationen sind für die Aufklärung eines anderen Landes schlicht gänzlich ohne Interesse. Ob bei einer Bebauung die Flurgrenzen eingehalten wurden, beispielsweise. Häuser, Straßen, alles, was mehrere Tage, wenn nicht gar Jahre an ein und demselben Ort verweilt, ist kein Ziel für eine Drohnenaufklärung.
Gut, Brunsbüttel liegt auch in der Zufahrt zum Hafen Hamburg. Hamburg ist jedoch vor allem Containerhafen, was bedeutet, selbst wenn man davon ausgehen würde, dass auf einem bestimmten Schiff Container sind, deren Inhalt von Interesse ist (den Bewegungen der Schiffe selbst kann man mit einem ganz gewöhnlichen Tracker folgen), nützt eine solche Drohne gar nichts, weil für Detailaufnahmen zu schnell, und weil die Container nun einmal geschlossene Behältnisse sind, die ihren Inhalt nicht verraten.
Vielleicht fehlt es mir ja an Fantasie, aber ich könnte nichts finden, das die Kleinstadt Brunsbüttel mit ihren 12.000 Einwohnern so spannend macht, dass man unbedingt mit einer Drohne drüberfliegen muss.
Doch folgen wir noch einem anderen Ansatz. Könnte ja sein, es geht um etwas Ähnliches wie bei den Spielchen, die sich die Flugzeuge öfter mal liefern (und da ist die NATO kein bisschen unschuldiger, da wird in der Ostsee gern provoziert), also schlicht um eine Demonstration, dass man könnte, wenn man wollte.
Dabei stellt sich die Frage: für welches Publikum? Das Personal von NATO und Bundeswehr ist zwar nicht allzu helle, aber abzumessen, bis wohin eine Iskander oder eine Kalibr aus Kaliningrad fliegen könnte, müssten sie gerade noch schaffen. Was bedeutet: Diese Adressaten wissen ohnehin schon, was alles möglich wäre, und würden durch einzelne Drohnen nicht sonderlich beeindruckt.
Wenn es aber um den PR-Effekt geht, was soll man dann mit einer Kleinstadt wie Brunsbüttel, wenn eine Drohne, die mit hundert Stundenkilometern fliegt und eine Reichweite von 500Kilometern hat, wie die Bild behauptet, es locker auch bis Hamburg hätte schaffen können? Eine Drohne über dem Jungfernstieg und der Außenalster, das hätte doch was hergemacht, dann gäbe es Dutzende Videos davon und bestimmt einen Bericht in der Tagesschau.
Aber das Gewerbegebiet von Brunsbüttel? Damit der Tag des Pförtners etwas aufgelockert wird? Ich versuche ja gern die verschiedensten Ansätze, um irgendeinen Sinn in der Geschichte zu finden, aber so wird das nichts.
Wie auch immer, so eine Geschichte erscheint nie ohne Hintergedanken. Klar, jener Teil der Bevölkerung, der schlicht alles glaubt, was man ihm auftischt, bekommt einen frischen Schauder geliefert. In Wirklichkeit könnte es aber um ganz andere Dinge gehen. Ein Verbot bestimmter Drohnen beispielsweise. Oder eine Art Transponderpflicht. Oder den Versuch, damit die Finanzierung für Drohnenabwehrsysteme herauszukitzeln. Wer weiß. Aber Drohnen über Brunsbüttel, das bleibt auf dem Niveau von Fotos in Grafenwöhr. Irgendwann mal würde man gerne wenigstens eine Geschichte lesen, deren B-Note nicht derart erbärmlich ist.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Drohnen über Brunsbüttel oder: Geht es noch öder?“ am 22.8.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
Siehe auch die Beiträge
- Ein NATO-Gänseblümchen in Wiesbaden von Dagmar Henn
- Überall Spione, aber nirgends ein nationales Interesse von Dagmar Henn
im WELTEXPRESS.
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