Der Tisch allerdings hopst nicht in die Höhe, obwohl er das könnte, wie die schöne Italienerin (Theresa Kronthaler) erläutert, die bei ihrem ersten Auftritt unter diesem weiß gedeckten Tisch hervor kommt. Am Tisch sitzt sie dann mit Penelope, Telemach und den Freiern, und alle essen Unsichtbares von weißen Tellern. Am Ende versammeln sich die Beteiligten erneut um den Tisch, und dann sind die Teller sichtbar mit Möhrensuppe gefüllt.
Die Rede der Italienerin wird anfangs von einem der Freier (Niels Bormann) übersetzt. Später spricht die Italienerin deutsch. Sie ist die Göttin Athene, die Telemach auf die Ankunft seines Vaters vorbereitet und Odysseus bei seiner Heimkehr betreut. Vor allem aber singt Theresa Kronthaler mit wunderschöner, strahlender Sopranstimme.
Der in Ungarn geborene Opernregisseur David Marton hat Claudio Monteverdis Spätwerk „Il ritorno di Ulisse“ in ein faszinierendes musikalisches Schauspielevent mit minimaler Besetzung verwandelt.
Das Orchester besteht aus drei Personen: Kalle Kalima (Gitarre), Nurit Stark (Violine) und Michael Wilhelmi (Piano), die nicht etwa separat am Bühnenrand platziert, sondern Teil des Ensembles und mitwirkend an der Handlung beteiligt sind.
Nurit Stark verfolgt sehenswert und dabei brillant geigend Penelope quer über die Bühne, wobei nicht Monteverdi, sondern Johann Sebastian Bach zu hören ist. Musikalische Überraschungen werden auch durch gelegentliches Einfließen moderner Elemente beschert.
Neben der Opernsängerin Theresa Kronthaler agiert auch der Opernsänger und Performer Thorbjörn Björnsson. Er ist einer der Freier, singt mit klangvoller Baritonstimme und betätigt sich als bastelnder Wissenschaftler. Björnsson setzt eine skurrile Schutzbrille auf und erklärt eifrig eine Zeichnung, die er angefertigt und auf die Rückwand projiziert hat. Darauf zu sehen ist angeblich die Braut, die mit ihren Energien einen Liebesmotor betreibt, offenbar also eine Darstellung der Situation in Penelopes Häuslichkeit.
Zwei weitere Freier sind die Schaubühnenschauspieler Niels Bormann und Franz Hartwig. Sie agieren mit dezenter Komik und beweisen auch gesangliche Qualitäten.
Der Schauspieler Matthias Matsche kommt als Telemach der göttlichen Athene sehr nah und kann sich dabei in einem Gesangsduett mit ihr durchaus hören lassen.
Telemach schleppt seine ganze Vergangenheit mit sich herum. Er ist ein erwachsener Mann, der mit den Freiern eine geschäftliche Besprechung abhält mit dem Ziel, das Produkt Odysseus gewinnbringend zu vermarkten. Die Rückkehr des Vaters scheint Telemach nicht unbedingt zu ersehnen.
Telemach ist aber auch noch das Baby, das von seiner Mutter gestillt und schlafen gelegt wird und der aufsässige Bengel, den Penelope ohrfeigt, weil er provozierend fragt, wo denn eigentlich der Papa sei.
Matthias Matschke gestaltet sehr überzeugend diesen Menschen auf der Suche nach seiner Identität im Schatten des übermächtigen abwesenden Vaters.
Im Zentrum des Stücks steht Penelope (Jule Böwe). Sie äußert mehrfach, dass eigentlich ihre Geschichte, nicht die des Odysseus, erzählt werden müsse, während ihre Geschichte erzählt wird.
Jule Böwe singt die erste Arie des Abends mit verhaltener, ein bisschen rauer aber warmer Stimme, hoch konzentriert und ausdrucksstark.
Jule Böwes Penelope ist eine zerrissene, entkräftete Frau. Manchmal erscheint sie völlig resigniert und teilnahmslos, dann flirtet sie kokett oder beklagt sich lautstark und zornig darüber, dass alles in ihrem Haushalt immer weniger wird und auch ihr Freiraum immer mehr zusammenschrumpft. Um den Avancen des einen oder anderen Freiers nicht doch nachzugeben, strampelt Penelope sich bis zur Erschöpfung auf ihrem Hometrainer ab. Sie ist deutlich genervt und mit ihrer Geduld am Ende.
Und dann, nach 20jähriger Abwesenheit, erscheint Odysseus (Ernst Stötzner). Hoch oben im Halbrund der Rückwand öffnet sich eine Tür. Von dort schaut der Heimkehrer auf die Menschen in seiner Behausung herab. Er lässt sich Zeit mit dem Abstieg und genießt die innige Vertrautheit mit Athene.
Stötzner ist der Einzige, der nicht singt. Er spricht leise und wirkt wie ein Schatten mit seinen langsamen, fast schwerelosen Bewegungen. Seine Identität beweist er mittels eines skurrilen, unspielbaren Blasinstruments, bei dem das Mundstück sich im Schalltrichter befindet. Nachdem die Freier sich vergeblich damit abgemüht haben, entlockt Odysseus der „Opposaune“ liebliche Klänge wie Vogelgezwitscher.
Später sitzt Odysseus mit Penelope an dem geheimnisvollen Tisch, fragt immer wieder, ob sie sich an ihn gewöhnen könne, und sie antwortet immer wieder, sie habe nie einen Anderen geliebt.
Nach dieser stillen Szene versammeln sich, wie am Anfang, alle wieder zum Essen um den Tisch in entspannter Harmonie. Odysseus allerdings ist nicht dabei.
Das Bühnenbild von Alissa Kolbusch zeigt einen kaum überschaubaren Wust von Einrichtungs- und Ausstattungsstücken. In der Mitte der Bühne befindet sich ein Sessel, eingezäunt von Plastikbändern. Dies ist der Penelope vorbehaltene Sperrbezirk. Im Hintergrund steht eine Wohnbox, links sind Duschkabinen, rechts im Hintergrund ein Flügel, und dazwischen neben dem geheimnisvollen Tisch ein weiterer Tisch mit antiquierten Apparaturen, sowie Sitz- und Schlafgelegenheiten.
Keiner der Gegenstände dient lediglich der Dekoration. Alle werden bespielt, besessen, benutzt und bekommen Bedeutung. Auch Alissa Kolbuschs Kostüme zeichnen sich durch Vielfalt aus, bei der von höchster Eleganz bis zum Freizeitlook alles vertreten ist.
Gesungen wird italienisch. Der gesprochene deutsche Text ist eine vom Ensemble erarbeitete Collage aus eigenen Kreationen mit Texten von Homer, Giacomo Bodoara und Péter Esterhazy.
Alles in dieser Inszenierung besteht aus unzähligen Details, die ständig wechselnde Verbindungen eingehen und so den starren Blick auf eine fest gefügte Realität ad absurdum führen.
Um diese exzellente Produktion wirklich würdigen zu können, wäre es wohl nötig, sie mehr als einmal zu erleben.
„Die Heimkehr des Odysseus“ nach Claudio Monteverdi hatte am 22.01.2011 Premiere in der Schaubühne. Die nächste Vorstellung ist am 25.02.2011.