Jetzt sind wir in Bensheim und die 1949 in Kassel geborenen Schmidtschwestern, heute Gisela Getty und Jutta Winkelmann, treffen auf große Sympathie. „Die sehen ja nett aus“, meint eine, die andere sagt: „Die tragen ja unterschiedliche Kleidung“. Das stimmt, beide sehr schmal, beide in Hosen, beide sehr blond und bei aller Wohlangezogenheit: „Die sind ja ganz normal“. Vielleicht liegt darin die wirkliche Stärke der beiden Frauen, die in der Zuneigung und beim Streiten sich einfach gute Schwestern geblieben sind. Jetzt aber geht es um die groß an den Wänden hängenden rund 60 Photographien und da merkt man erst, wie geschickt der Ausstellungstitel gewählt ist. Tatsächlich sind es Fotos von den beiden.
Entweder sind sie drauf, auf den Bildern, von anderen geschossen oder kunstvoll arrangiert oder sie haben selbst die Kamera gezückt, alle beide und ein schönes Beispiel dafür sind ihre gegenseitigen Porträts an der Querwand im ersten großen Raum. Gisela fotografiert die Schwester 1974. In kecken Nacktaufnahmen, rauchend auf dem Bett liegend, eine davon ein Reflex auf Gabrielle d’Estree aus der Schule von Fontainebleau, die zwei schöne Nackte malte, von denen eine die Brustwarze der anderen sanft zwackt. Das kann Jutta alleine. Und Jutta fotografiert Gisela 1975 als verführerische Haremsdame, sinnlich und mehr als leicht dekadent.
Aber längst hat die Eröffnung begonnen und wir erleben Menschen, die wirklich noch Reden halten und Zuhörerinnen und Zuhören, die wirklich noch zuhören. Dieser Abend in Bensheim gewinnt etwas Surreales, betrachtet man die Photographien an den Wänden und hört den Reden zu. Bürgermeister Thorsten Herrmann genießt den Duft der weiten Welt in Bensheim und spricht sehr persönlich von den Möglichkeiten, die die Ausstellung für jeden bereit hält: „Da gibt es jenen, der kann sich noch erinnern, an den politischen Kampf.“ Für den sind die Bilder Erinnerung an eine gesellschaftliche Aufbruchszeit. Damals hat man sich über solche Fotos aufgeregt, heute sind sie kein öffentliches Ärgernis mehr. „Ihre Photographien haben Ihren Zweck erfüllt. Man mußte die Dinge überspitzt darstellen, damit sich was ändert“. Die Schwestern hätten der Welt den Spiegel vorgehalten. Man bräuchte auch heute solche Provokationen, damit es weitergehe.
Christoph Breitwieser vom Museum Bensheim ist derjenige, der die Zwillinge und die Ausstellung nach Bensheim geholt hat. Aber wer konnte ahnen, daß er sich damit selbst einen Lebenstraum erfüllt hat. Er hatte vor 20 Jahren in Amerika Balthasar Getty kennengelernt, den Sohn von Gisela und Paul Getty, der ihm erzählt habe, er habe eine Mutter aus Deutschland. Seit dieser Zeit hat er das Leben der Zwillinge recherchiert und zu sich selbst gesagt: „Mut ist, wenn man’s macht“, also aus den Ideen tatsächlich eine Ausstellung zuwege bringt, was heftig beklatscht wurde.
Rainer Langhans schließlich hielt die Grundsatzede, die er richtig damit begann, daß doch eigentlich nicht drei Männer reden sollten, sondern die Frauen auch. Was geschah. Der nun Siebzigjährige sah aus wie immer, mit inzwischen weißgrauem heiligenscheinähnlichem Wuschelkopf und weiß und bequem gewandet und sprach über die 68er Zeit, wie jemand, der eigentlich weit davon weg ist und doch nie ganz weg sein wird und es auch nicht will. „Die Bilder haben eine Art Glanz, das ist der Glanz der Zeit, die wir erlebt haben“. „Primär spricht aus den Bildern die Erfahrungen, die man machen konnte. Die Frauen waren zum ersten Mal in der Geschichte richtig sichtbar, zum Teil nur sexuell, dafür sind die beiden ein eindrucksvolles Beispiel.“
Da vergessen wir einmal die Historikerin in uns und andere frauenbewegte Zeiten und das Mutterrecht, denn jeder verstand, wie es Rainer Langhans meinte, der sich zudem nicht weiter zu den Photographien äußerte, sondern zu den Zeiten. Und auch zum Wechsel der Zeiten. Was war 1968? In einem kurzen Rundumschlag legte er noch einmal die gemeinsame Ausgangsposition dieses Jugendprotestes dar, der gegen die faschistische Elterngeneration gerichtet war und sich noch nicht differenzierte in die ’Politischen` und die ’Hippies`. Das kam in der Folge mit der RAF und FlowerPower. „Damals waren Jugendliche nichts. Heute alles“. Schon das zeige, wie richtig man lag. Er allerdings, nun älter werdend, müsse feststellen, daß man auch das Alter neu erfinden müsse. Denn es gibt wenige vorzeigbare Beispiele für ein würdiges Älterwerden, in dem man akzeptieren müsse, daß sich der Körper zurückziehe, aber genießen sollte, daß dafür der Geist wachse.
Die beiden Photographinnen sagten nur kurz etwas zur Entstehungsgeschichte der von ihnen fotografierten Bilder, die eine Vorgeschichte hat, weshalb jedes der hängenden Bilder einen besonderen Wert allein dadurch hat, daß es noch da ist. Fortsetzung folgt.
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Info:
Die Ausstellung wird auch noch in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen sein. Aber nicht jeder kann nach Bensheim oder Hamburg kommen, aber jeder kann sich den Fotoband und den Lebensbericht der Zwillinge kaufen. Es ist halt so, daß, wenn man sie kennenlernt oder ihre Fotos, das Interesse an ihren Personen noch wächst. Aber auch als Zeitdokument sind das Aufnahmen, die über die abgebildeten Dinge hinaus eine Gefühlsdimension vermitteln. Das Unbändige, das Lustvolle, das sich selber Inszenierende, aber auch selber Durchschauende, das alles finden Sie auf den Bildern, die in der Ausstellung reduziert, im Begleitbuch dann weit umfangreicher und auch mit kleinen Erläuterungen tiefer gehen können.
Fürs das Museum: Neben dem schönen Foto-Band aus dem Blumenbar Verlag, sollte man dort dringend auch das biographische Buch über ihr Leben zum Verkauf anbieten. Erst zusammen wird ein Ganzes daraus. Hier die Bilder. Dort die Texte.
The Twins, Gisela Getty & Jutta Winkelmann, Design by Walter Schönauer, Blumenbar Verlag
Gisela Getty, Jutta Winkelmann, Jamal Tuschick, Die Zwillinge oder Vom Versuch Geist und Geld zu küssen, Verlag Weissbooks