Die Würdigungen durch die Jury und die Textanfänge der fünf nominierten Werke – Serie: Preisverleihung des Schweizer Buchpreises 2010 im Rahmen der BuchBasel in Basel (Teil 2/3)

Alle Nominierten, das sind von links nach rechts: Urs Faes, Melinda Nadj Abonji, Dorothee Elmiger, Pedro Lenz, und Hektor Leibundgut (Theologischer Verlag Zürich), der Kurt Marti vertritt.

Sie führten im Vorfeld zu folgenden Überlegungen: Will man Nadj Abonji den Preis aus oben erwähnten Gründen nicht zuerkennen, wem gebührt er dann? Nur zwei Personen von den fünf Nominierten waren es, für die ihr Werk eine Auszeichnung aus sozusagen übergeordneten Gründen erlaubt hätte. Das eine ist Kurt Marti, für den sein neu erschienenes Buch dennoch die Zusammenfassung von fast 50 Jahre schriftstellerischer Tätigkeit gewesen wäre, ideal, wenn ein Lebenswerk auszuzeichnen wäre, problematisch, wenn es um das Buch 2010 geht. Der andere ist Pedro Lenz, der sich mit „Der Goalie bin ig“ in einheimischer Mundart, die darüber hinaus keine deutsche Ethnie versteht, eine genau so große Nummer geleistet hat, wie die Jury, die dieses Buch in die Liste der fünf besten Bücher aufnahm.

Warum auch nicht? Wenn doch der Schweizer Buchpreis auch mal auf Schweizerisch daherkommt, wäre das dem Selbstbewusstsein des Landes durchaus angemessen. Aber ist sein Buch – abgesehen von der Artistik, die Umgangssprache in Buchstaben und Sätzen wiederzugeben –, besser als „Tauben fliegen auf“ von Nadj Abonji? Wir meinen, die Jury hat einsichtig entschieden und sie hat gut entschieden. Wie dicht in der Bewertung der Jury das Feld allerdings lag, ergaben die jeweiligen Würdigungen für die einzelnen Werke und ihre Verfasser, die von je einem Mitglied der Jury vorgetragen wurden, woran sich – als ebenfalls bewährte Praxis – das Vorlesen der einzelnen Buchanfänge anschloß.

Die Laudatio auf „Einladung an die Waghalsigen“ von Dorothee Elmiger, bei DuMont erschienen und mit dem aspekte Literaturpreis versehen, verlas Martin Zingg. Nach kurzer Inhaltangabe führt er aus: „’Einladung an die Waghalsigen’ ist das erste Buch von Dorothee Elmiger, und sie erzählt darin die Geschichte einer Welt, die an ein Ende gelangt ist. Was noch möglich erscheint, ist genaues Hinsehen, ist die Bemühung, das zu rekonstruieren, was einmal war. Neues kann nicht entstehen, solange nicht klar ist, was früher war, vor dem Unglück, das über die Menschen hereingebrochen ist.“ Er fährt fort: „Dorothee Elmiger schreibt eine wunderbarkühne Prosa. Ihr Roman hat keine Fabel, die ihr den Rücken stärkt: Hier wird die Welt mit Sprache erobert, sie wird gleichsam zurückerobert, unerschrocken und bildstark mit einer sprungbereiten Phantasie und einer nicht nachlassenden Erzähllust.“

Dominik Jahn, der alle Buchanfänge vorliest, beginnt: „Meinerseits war ich oft allein mit den Büchern. Mir war nichts anzusehen. Morgens stand ich auf und kochte Kaffee, ich stellte mich vor die Bücher, ich betrachtete sie, ich trank den Kaffee und ging weg. Später kam ich wieder. Ich wusste nichts über die Bücher. Seit jeher standen sie in den Wohnungen über der Polizeistation .Ich wusste nicht, wer sie hergebracht hatte, ich wusste nicht, wem sie jetzt gehören und wem sie später gehören sollten. Ich las die Fach- und Sachbücher. Montanwissenschaftliche Schriften, Bücher über die Schifffahrt, den zweiten Band ’Grundriß der Geschichte’ von den bürgerlichen Revolutionen bis zur Gegenwart, eine Einführung in die Astronomie.“

Sandra Leis würdigt Urs Faes „Paarbildung“ aus dem Suhrkamp Verlag. Sie bringt ebenfalls erst eine Inhaltszusammenfassung der Geschichte um eine Krebserkrankung und die Probleme von Distanz und Nähe im persönlichen und beruflichen Umfeld, wenn diese zusammenfallen, und kommt dann zur Gestaltung. „Im Roman ’Paarbildung’ – der Begriff stammt aus der Krebsforschung und meint gleichzeitig auch Mann und Frau – erzählt Urs Faes in präzis verknappter Sprache. Er schreibt unaufdringlich und leise und gibt seiner Geschichte Raum, ihre emotionale Komplexität zu entfalten. Was war damals, was ist heute, und lassen sich alte Verfehlungen womöglich im Nachhinein wiedergutmachen? Bewußt läßt der Autor vieles in der Schwebe; er hält Abstand zu seinen Protagonisten und zollt ihnen dadurch Respekt.“

Dominik Jahn liest die erste Seite, hier der Anfang: „Vor sieben Uhr dämmert das Institut vor sich hin; die ersten Patientengespräche und die ersten Bestrahlungen waren auf halb acht angesetzt. Noch waren keine Schritte, keine Stimmen zu hören, in den langen Fluren lag ein Warten. Meist war er vor den anderen da. Er schätzte diese Momente vor der Betriebsamkeit des Spitalalltags, ging langsam durch die Korridore. Sein Blick folgten dem Einfall des Lichts, das über die Wände kroch, in den Bronzereliefs aufleuchtete, in schmalen Bahnen über die Schwellen zu den Behandlungsräumen lief, dort auf die bereitstehende Apparate fiel”¦“. Fortsetzung folgt.

Die BuchBasel 2011 wird vom 18. bis 20. November stattfinden.

www. buchbasel.ch

www.literaturbasel.org

www.schweizerbuchpreis.ch

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