Die Absicht der Fed und des Weißen Hauses, mit dieser Geldschwemme das US-Haushaltsdefizit zu finanzieren und die Wirtschaft aufzuputschen, war international ungewöhnlich scharf kritisiert worden. Zudem war es der US-Delegation unter Leitung von Präsident Barack Obama in Seoul nicht gelungen, die wirtschaftspolitische Deutungshoheit zurückzugewinnen. Obama und sein Kabinett hatten ausgemacht, daß die Staaten mit erheblichen Exportüberschüssen an der allgemeinen Misere die Hauptschuld trügen. Deshalb sollten diese Volkswirtschaften in Seoul verpflichtet werden, die Überschüsse auf vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Davon war im Schlußdokument keine Rede.
Um Schlimmeres zu verhindern, einigten sich die Staats-und Regierungschefs letztlich nur darauf, unterschiedlicher Meinungen zu sein. Klar wurde: Die Zeiten, in denen Washington diktieren konnte, sind vorbei. So ließen denn auch Export-Champions China und Deutschland, aber auch Rußland, Japan und Brasilien die US-Amerikaner auflaufen.
Auch im bürgerlichen Lager hierzulande gibt es Stimmen, die sich eher der US-Kritik anschließen. »Hohe Exportüberschüsse (machen) abhängig von der Weltkonjunktur, bringen zwiespältige Geldschwemmen in den Rest der Welt mit sich, tragen zu Finanzblasen und Währungskapriolen bei und lösen über kurz oder lang Schuldenkrisen bei anderen aus«, schrieb der Chefökonom der Financial Times Deutschland, Thomas Fricke, am Freitag. Die Bundesregierung müsse sich entscheiden, ob es makroökonomisch vertretbar ist, die Exporte zusätzlich zu fördern – oder das Geld besser in Investitionen und höhere Nettoeinkommen zu stecken. Laut einer jüngsten Studie müßte jeder Arbeitnehmer in Deutschland 1300 Euro im Jahr mehr in der Lohntüte nach Hause tragen, um den deutschen Leistungsbilanzüberschuß von derzeit sechs auf vier Prozent zu reduzieren. Andere halten diese Diskussion für müßig, denn der Kapitalismus ist nicht so verfaßt, daß Personen, Unternehmen oder Staaten freiwillig auf einen Vorteil verzichten. Und wer sollte in wessen Interesse Zwang ausüben, und vor allem wie?
Der Öffentlichkeit wurde die Einigung in Seoul über die sogenannten Basel-III-Regeln als großer Erfolg präsentiert. Damit sollen die Banken für zukünftige Krisen gewappnet sein. Allerdings hätten die vorgesehenen größeren Kapitalpuffer in der zurückliegenden Krise keine zwei Tage gereicht. Weiter gestritten wird indes über die nur unwesentlich verschärften Kapitalregeln für die global operierenden Finanzkonzerne.
Die jüngste Gelddruckaktion der Fed wird trotz der Kritik im Abschlußkommunique nur indirekt erwähnt: »Unkoordinierte wirtschaftliche Aktionen« seitens der einzelnen Länder (gemeint sind die USA) würden die Situation »für alle nur verschlechtern«, hieß es. Daher habe man sich auf eine bessere Abstimmung der nationalen Wirtschaftspolitiken verständigt. Sogar von einem »Aktionsplan von Seoul« ist die Rede. Der ruft alle Länder dazu auf, verstärkt mit flexiblen Wechselkursen zu arbeiten, um eine Stabilisierung der Finanzmärkte zu erreichen, was wohl insbesondere China meint.
Flexible Wechselkurse im Reich der Mitte würden derzeit sicher den Amerikanern dienen. Aber sie sind nur eine Seite der Medaille. In Zeiten der grenzenlosen Freiheit für das Kapital können sie sich ebensogut als Plage erweisen und zu schweren Ungleichgewichten im Außenhandel führen. Dies geschieht derzeit insbesondere durch die in den USA bereits geschöpften riesigen Geldmengen, die auf der Suche nach Profitmaximierung über alle Ländergrenzen schwappen und dadurch die Wechselkurse der betroffenen Länder so stark nach oben treiben, daß diese in keinem Verhältnis mehr zur realen Wirtschaft, d.h. zum Austausch von Waren und Dienstleistungen, stehen. Selbst die größten Volkswirtschaften der Welt können Opfer solcher Spekulationsgeschäfte werden, wie das jüngste Beispiel Japan demonstriert. Hier hat der ungebremste Zustrom von billigen Dollars den Wechselkurs des Yen gegenüber dem Dollar im letzten Jahr um 30 Prozent erhöht, was sich natürlich rückläufig auf die Ausfuhr und die Arbeitsplätze auswirkt.
Japan zeigt, daß sich das marode Weltwirtschaftmodell nicht mehr reparieren läßt. Die Zeiten der Kooperation und der vermeintlichen Win-Win-Situationen scheinen vorbei. Angesichts der anhaltenden Krise besinnen sich die Regierungen wieder auf das Naheliegendste die Situation im eigenen Land. Der Vorteil des einen wird zum Nachteil des anderen – dies ist und bleibt letztlich die logische Konsequenz aus dem Konkurrenzprinzip, ohne dessen Wirken der Kapitalismus nicht existieren würde.
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Dieser Beitrag von Rainer Rupp wurde in der jungen Welt vom 13.11.2010 auf Seite 9 erstveröffentlicht.