Eröffnet wurde das Jubiläumsfestival mit Fatih Akins "Soul Kitchen", der die Geschichte eines Restaurantbesitzers in Hamburg erzählt, dessen Bruder (Moritz Bleibtreu) eigentlich im Knast sitzt, der aber dennoch Geschäftsführer wird. Chaos ist dabei natürlich programmiert. Zur Eröffnung war der Sohn griechischer Eltern, Adam Bousdoukos anwesend, der den Besitzer Zinos spielt. Bousdoukos Karriere ist untrennbar mit der des Regisseurs verwoben – bereits bei der ersten Idee von "Kurz und Schmerzlos" (1989) war er dabei, und spielt nun endlich einmal wieder eine Hauptrolle im neuen Film seines Freundes.
Der Wettbewerb überraschte mit Werken von Nachwuchsregisseuren aus aller Welt, darunter der deutsche Beitrag "Es kommt der Tag" von Susanne Schneider. Iris Berben gibt eine Ex-Terroristin, die ihre Tochter als kleines Baby anderen zur Erziehung überließ, um selbst im Untergrund abzutauchen. Knapp dreißig Jahre später wird sie von dieser (Katharina Schüttler) in Frankreich aufgespürt. Eine eindringliches Drama um ein Mutter-Tochter-Verhältnis, das spät erkämpft wird.
Den Goldenen Alexander, datiert mit 40.000 Euro, hat die deutsch-israelische Koproduktion "Ajami" gewonnen, ein Film, der von den täglichen Konflikten zwischen Israelis, Juden und Moslems, in Israel erzählt. Der Film hat beim ersten Crossroads-Koproduktionsforum in Thessaloniki im Jahre 2005 teilgenommen. Mit dem Silbernen Alexander, datiert mit 25.000 Euro, wurde der rumänische Beitrag "Medal of Honor" ausgezeichnet: ein 75-jähriger Rumäne bekommt versehentlich eine Medaille für Heldentaten im Zweiten Weltkrieg verliehen, an die er sich nicht mehr erinnern kann. Diese Auszeichnung ändert sein Leben, denn auf einmal hat er das Gefühl, kein Nobody mehr zu sein und Dinge bewegen zu können. Doch dann kommt ein Brief, dass er die Medaille nur versehentlich verliehen bekommen hat…
Der Preis für die Beste Regie ging an "Northless". Darin will ein junger Mann die mexikanische Grenze überqueren – in Richtung Amerika. Um vorher noch ein wenig Geld zu verdienen, hilft er in einem kleinen Laden aus, und beginnt die junge Ela, die ebenfalls dort arbeitet, sehr zu mögen. Verstörend ist der erste lange Film des koreanischen Regisseurs Lee Sao. In "Missing Person" lässt er kleine Hunde und Menschen verschwinden. Aus einem von allen gequälten Opfer wird nach und nach ein erbarmungsloser Täter.
240 Filme wurden insgesamt gezeigt, in den Sektionen des Wettbewerbs, den "Greek Films Special Screenings", den "Independence Days", dem "Balkan Survey", dem "Experimental Forum" und den Tributes. Einer der Tributes war dem deutschen Ausnahmeregisseur Werner Herzog gewidmet. Das Festival zeigte das Gesamtwerk (!) Herzogs, 55 Filme – inklusive seiner Kurzfilme. Dies war eine großartige und seltene Gelegenheit, die ausgefallenen Filme eines Besessenen zu bestaunen, den seine Ideen bereits an alle möglichen Enden der Welt getrieben haben. Für "Fitzcarraldo" (1982) hat er ein Schiff über einen Berg gezogen, in "La Soufrière" (1977) filmte er knapp vor dem Ausbruch eines Vulkans, in "Aguirre, der Zorn Gottes" (1972) drehte er im Dschungel des Amazonas und in "Herz aus Glas" (1976) spielte sein Hauptdarsteller unter Hypnose. Herzog scheute sich weder vor Naturgewalten noch vor dem Wahnsinn eines Schauspielers wie Kinski, den er in etlichen seiner Filme, u.a. in "Fitzcarraldo", "Aguirre, der Zorn Gottes" oder "Nosferatu: Phantom der Nacht" die Hauptrolle anvertraute. Mit Herzog hatte auch Kinski endlich seinen Meister gefunden, eine wunderbare und äußerst komplizierte Arbeitsbeziehung und Freundschaft nahm seinen Lauf. Wer mehr darüber wissen will, der sehe sich "Mein liebster Feind – Klaus Kinski" (1999) an.
Auch das "Experimental Forum" hat einige wunderbare Filmperlen ausgegraben, etwa Carmelo Benes "Salomè" aus dem Jahre 1972, locker basierend auf dem gleichnamigen Stück von Oscar Wilde. Der Einfluss der poppigen 70er Jahre ist hier unschwer erkennbar. Das Dekor ist üppig bunt, die Darsteller sind leicht bekleidet, der Schnitt ist experimentell. "Salomè" versucht die sich steigernde erotische und zunehmend gefährlichere Atmosphäre direkt in den Bildern und im Schnitt umzusetzen. Bene bleibt ganz nah an seinen Protagonisten, die in einer permanenten Orgie zu leben scheinen – bis zum Ende, der Katharsis. Ein weiteres Juwel ist der skurrile "Tweets Ladies of Pasadena", den der Hollywoodschauspieler Timothy Carey 1970 als Pilot für eine Fernsehserie vorschlug. Doch mit seinem schwarzen Humor und der Radikalität seiner Ideen gelang es ihm nicht, einen Sendeplatz zu ergattern. Finanziert wurden die "Tweets Ladies", eine strickende Frauengruppe, die am liebsten auf Rollschuhen durch Pasadena fährt, mit dem Geld von John Cassavetes, einem guten Freund von Timothy Carey. Carey spielte u.a. in Filmen von Stanley Kubrick, Cassavetes und Kazan, aber wegen seines sehr eigensinnigen und nicht anpassungsfähigen Charakters gelang es ihm nicht, in Hollywood groß heraus zu kommen.
Auch der "Balkan Survey" hatte Interessantes zu bieten, etwa die rumänisch-deutsche Koproduktion "Kino Caravan" von Titus Muntean, der vor nur zwei Jahren sein Projekt innerhalb des Crossroad-Forums vorgestellt hatte. Er erzählt liebevoll eine Geschichte zu Zeiten Ceausescus, in der politische Aktivisten mit Hilfe eines mobilen Kinos ein kleines Dorf über die großen Ideen der Kommunisten aufklären möchten – doch das ist alles andere als einfach. Auch "Men on the Bridge" zeigt die Unzulänglichkeiten des Alltags, in Istanbul. Geplant als Dokumentarfilm erzählt er das Leben des 17-jährigen Rosenverkäufers Fikret, des Verkehrspolizisten Murat und des Taxifahrers Umut. Diese drei eint die Tatsache, dass sie täglich an der berühmten Bosporusbrücke arbeiten, die zwei Kontinente miteinander verbindet, und jeden Tag hunderte von Metern Stau produziert. Regisseurin Asli Özge folgt dabei einfühlsam dem Leben ihrer drei Helden, die sich selbst spielen dürfen. Die Sektion "Balkan Survey" ehrte den serbischen Regisseur Goran Paskaljevic mit einem Tribut und zeigte vierzehn Filme seines vier Jahrzehnte umspannenden Ouvres. In einer Masterclass erklärte er dem Publikum anhand von mitgebrachten Ausschnitten aus seinen Filmen, wie er u.a. eine Eröffnungssequenz und eine Gruppenszene gestaltet und wie er mit einem autistischen Mädchen drehte.
Die "Independence Days" zeigten u.a. ein Special des "Pink eiga", das sind japanische Filme, die als B-Pictures gedreht wurden, und die sich durch explizite Sexszenen auszeichnen. Elf Filme, produziert zwischen 1965 und 2009 führen ein in die Welt des "Pink eiga", u.a. von Regisseuren wie Koji Wakamatsu und Noboru Tanaka. Als "Someone to Watch" zeigen die "Independence Days" die beiden Filme der deutschen Regisseurin Maren Ade, "Der Wald vor lauter Bäumen" (2003) und ihr letztes Werk, "Alle anderen". Auf der diesjährigen Berlinale wurde Maren Ade mit dem silbernen Bären für die Beste Regie und für die Beste Hauptdarstellerin Birgit Minichmayr ausgezeichnet. "Alle anderen" erzählt die Geschichte eines jungen Paares im Urlaub. Alles könnte ganz wunderbar sein, aber die Beziehung gerät ins Wanken.
"Philippines Raising" schließlich legt den Fokus mit 14 Werken auf das aktuelle Filmschaffen der Philippinen. Es ist erstaunlich, wie viele junge Filmemacher das Entwicklungsland in den letzten Jahren hervorgebracht hat, die sich auf internationalen Festivals präsentieren. Allen voran Brillante Mendoza, der seine beiden letzten Filme "Service" und "Kinatay" sogar im Wettbewerb in Cannes zeigen durfte. Er hat außerdem noch sein neuestes Werk, "Lola" mitgebracht, das die Mühen einer armen und alten Großmutter beschreibt, die ihren Enkel aus dem Gefängnis in Manila freikaufen will. Die 85-jährige Anita Linda spielt darin eindrucksvoll die Hauptrolle mit einem vom Leben gezeichneten Gesicht. Sie ist ebenfalls die Hauptdarstellerin in "Adele" von Regisseur Adolfo Alix, Jr., der gemeinsam mit Raya Martin "Manila" gedreht hat, eine poetische Hommage an seine Hauptstadt. Raya Martin zeichnet ebenfalls verantwortlich für den in Cannes gezeigten "Independencia" und für "A Short Film about the Indio Nacional or The Prolonged Sorrow of Filipinos". Es ist unschwer an diesen wenigen Beispielen zu erkennen, wie vernetzt die Filmemacher auf den Philippinen arbeiten – dies scheint ein sehr erfolgreicher Weg zu sein.
Auch wenn das griechische Filmschaffen bedauerlicherweise ausgerechnet beim 50. Jubiläum aufgrund des Boykotts unterrepräsentiert war, so ist es den Machern des TIFF dennoch gelungen in ihren vielfältigen Sektionen lebendiges und junges Kino zu zeigen, das Kino auch im Jahre 2009 stets legitimiert.