Berlin, BRD (Weltexpress). „Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus.“ Unter diesem Titel versucht Michael Braun eine Antwort auf die Frage, wie sich der Erfolg von Giorgia Meloni bei den Wahlen 2022, bei denen sie das Schreckgespenst des Faschismus zurückholte, erklären lässt. Ihre Partei „Fratelli d’Italia“ (FdI) ist die erste westeuropäische Partei, die in direkter Erblinie zum Faschismus steht und nun regiert. Der Autor analysiert dazu die vergangenen 30 Jahre italienischer Politik und ihren Einfluss auf den heute überall in Europa – ob in den Niederlanden mit Geert Wilders, in Frankreich mit Marine Le Pen und möglicherweise bald auch in Deutschland mit der AfD – nach der Regierung greifenden extremen Rechten. Später zeigt er Fotos von ihr mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder mit US-Präsident Joe Biden. Die demokratischen Parteien hätten Giorgia Meloni wohlwollend empfangen und einige Medien tönten schon, die Postfaschistin sei gar nicht „so schlimm“ wie gedacht. Der Italien-Korrespondent der taz und Programmdirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom, der seit 20 Jahren in Italien lebt, will in seinem Buch mit dieser These aufräumen. Er zeigt auf, dass Italiens problematisches Verhältnis zum Faschismus tiefgreifender ist als viele denken.
Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hatte die Democrazia Christiana (DC) fast durchregiert, die Kommunisten die Opposition dominiert. Doch als 1992 ein fast flächendeckendes System an Schmiergeld-Zahlungen durch Politiker und Unternehmer bekannt wurde, brach das traditionelle Parteiensystem zusammen, und es kam die Stunde Silvio Berlusconis. Braun erklärt, wie Berlusconi lange vor Meloni die radikal rechten Kräfte wieder hoffähig machte und zu Parteien wachsen ließ, die rechts der Mitte unabdingbar wurden – weil sie dort ein Vakuum füllten. Ausführlich geht er auf die unsäglichen Skandale des Polit-Entertainers ein. Beispielsweise darauf, dass der Presidente höchstpersönlich bei der Mailänder Polizei anrief, um die Freilassung der minderjährigen Prostituierten Ruby zu fordern, mit der er eine Affäre hatte. Er gab sie als die Nichte des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak aus. Oder wie er Abgeordnete im Senat einfach kaufte, um an eine Mehrheit zu bekommen und ein Gesetz nach dem anderen verabschiedete, das ihn vor strafrechtlicher Verfolgung bewahrte.
Brauns Analyse endet bei Giorgia Meloni, die sich bis heute nie eindeutig von Mussolini distanziert hat und plant, Italien zu einem Präsidialsystem umzugestalten. „Tiefe Wurzeln gefrieren nicht“, zitiert er Anhänger der „Fratelli d’Italia“ über ihr Verhältnis zum Faschismus.
Das große „Manko“ dieser zutreffenden Analyse besteht unerklärlicher Weise darin, dass Braun völlig ignoriert, dass vor ihm bereits namhafte Autoren den Weg Melonis oder ihrer faschistischen Vorgänger bzw. Verbündeten an die Macht darlegten. Dazu gehören, um nur einige zu nennen, neben zahlreichen italienischen Quellen wie Gofredo Locatelli/Daniele Martini „Duce adio. La Biographia di Gianfranco Fini“ (Mailand 1994), Sergio Flamigni „Trame atlantiche. Storia della Logia massonica segreta P2” (Mailand 1996), Mario Losano “Sonne in der Tasche. Italienische Politik” (München 1995), auch sein Kollege, der Südtiroler Journalist Lorenz Gallmetzer, von 1981 bis 2011 für den Österreichischen Rundfunk (ORF) u. a. als Auslandskorrespondent in Paris und Washington tätig, mit “Von Mussolini zu Salvini. Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus“ (Wien 2019). Vor allem aber unterschlägt Braun die aufsehenerregende Publikation von Giovanni Ruggeri/Mario Guarini: „Berlusconi Showmaster der Macht“ ( Berlin 1994), in der diese handfest belegten, dass Berlusconi zusammen mit putschbereiten Militärs. Geheimdienst-Offizieren, Bankiers und Geschäftsleuten in der P2 saß, die Mitglieds-Nummer 1816 hatte und diese ihn an die Macht hievte. Berlusconi versuchte, seine Mitgliedschaft in der Putschistenloge zu leugnen, dann als eine harmlose Episode herabzuspielen. Ruggeri/Guarino belegten jedoch, dass er „fest in das korrupte Netz der P2 verwoben war, sogar zu denen gehörte, die es knüpften“. Berlusconi wollte die Veröffentlichung des Buches mit allen Mitteln verhindern. Zunächst bot er den Autoren für den Verzicht einen Blankoscheck, in den sie die Höhe des Betrages selbst eintragen sollten. Als diese das Ansinnen zurückwiesen, verklagte er sie. Er verlor in drei Instanzen. Auch der Versuch, seine P2-Mitgliedschaft zu leugnen bzw. zu verharmlosen missglückte. Er wurde wegen falscher Zeugenaussage rechtskräftig verurteilt.
Vor diesen Fakten nimmt es kein Wunder, dass Braun kein Literarturverzeichnis bringt und auch auf Anmerkungen verzichtet.
Bibliographische Angaben:
Michael Braun, Von Berlusconi zu Meloni. Italiens Weg in den Postfaschismus, 200 Seiten, Bindung: Broschur, Verlag: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn, 1. Auflage Oktober 2024, ISBN: 978-3-8012-7058-2, Preis: 20 EUR (Deutschland)
Dank an Gerhard Feldbauer, der als Publizist, Historiker, Diplomat und Auslandkorrespondent in Rom von 1973 – 79 sich tiefgehend auch vor allem mit der Geschichte Italiens bis zum heutigen Tage wissenschaftlich fundiert auseinandergesetzt hat. Und seine Quellen hier in dem Beitrag bezeugen das unmißverständlich. In falscher Bescheidenheit erwähnt Gerhard Feldbauer in seinem – hier übrigens 100sten Beitrag – dabei gar nicht seine eigenen Publikationen. Mir fällt beim Vergleich allgemein zu bürgerlichen Dokumentationen auf, daß sie oberflächlich, auf bloße Ereignisse, meist in marktschreierischer Sensation fußend, abgehandelt sind und so den Horizont für weitergehend geschichtliches Nachdenken über die kapitalistischen Verhältnisse im besonderen unterbinden. Schon der Titel von Braun unterbricht die Kontinuität der Entwicklung, um nicht zu sagen auch verharmlost, in gewisser Weise mit dem Begriff „Postfaschismus“. Feldbauer widerlegt dagegen beispielsweise in seinem 2020 bei PapyRossa erschienen Taschenbuch „Mussolini und kein Ende – Die Saat ist fruchtbar noch“ diese symptomatische Sicht. So heißt es auf der Cover-Rückseite eingangs: „Gerhard Feldbauer geht der Frage nach, wie es möglich wurde, dass der Faschismus in Italien nach 1945 erneut sein Haupt erheben und im April 1994 … Silvio Berlusconi … eine ’schwarze‘, d.h. faschistisch geprägte Regierung bilden konnte. Auch WIKIPEDIA kommt nicht umhin, die fundierte Arbeit des Historikers – wenngleich typisch, ebenso die Infragestellung nicht ausschließend – anhand von Rezensenten zu belegen. So heißt es: „Seine Studie Marsch auf Rom von 2002, die sich – so der Untertitel – mit Faschismus und Antifaschismus in Italien – Von Mussolini bis Berlusconi und Fini befasst, rezensierte Conradin Wolf in der NZZ. Feldbauer vertrete darin die These, die USA hätten die „Entfaschisierung“ Italiens verhindert. Das Buch sei dennoch eine geeignete Einführung in die Geschichte des Faschismus Italiens. Feldbauer habe die Zusammenhänge zwischen und die historische Kontinuität von altem und neuem italienischen Faschismus analysiert und gebe „einen sehr gut verständlichen Überblick über zentrale Aspekte der Geschichte Italiens der letzten 80 Jahre“, befand Silke Becker im Portal für Politikwissenschaft.“