Estland und seine Frauen
Das nordische Estland mit Tallinn als Hauptstadt beherbergt knapp 1 ½ Millionen Einwohnern, mindestens genauso viele Fichten und Birken, wenige Bären, deutlich mehr Elche und nennt rund 1500 Inseln sein Eigen. Hiiumaa ist eine davon, Männermangel inklusive. Früher sahen die Frauen ihre Männer monatelang nicht, da diese auf See dem harten Geschäft der Fischerei nachgingen. Heute suchen sich die männlichen Einwohner der Region ihren Broterwerb auf dem Festland oder im nahegelegen Finnland. So kam es, dass die Insel-Frauen bis heute in unzähligen Bereichen des Lebens die Hauptakteurinnen sind. Auf Hiiumaa spiegelt sich der Mangel an männlichen Geschöpfen sogar in zahlreichen „weiblichen“ Ortsnamen wieder. Emmaste, eine Stadt im Süden der Inseln, trägt beispielsweise das Wort „Mutter“ in ihrem Namen. Eine dieser geschäftstüchtigen Frauen ist Anu-Maie Jíµgi, die ihr Alter nach mehrfachen Nachfragen schmunzelnd mit „Sagen wir 65 Jahren“ angibt. Ihre köstlichen Marmeladen Typ „Sanddorn“ oder „Karotte“ stehen auf den Frühstückstischen in ganz Estland. Den Sanddorn sammelt die früher in der Disziplin „Orientierungslauf“ erfolgreiche Estin immer noch eigenhändig an den Stränden von Hiiumaa.
Ebenso einmalig auf Hiiumaa ist der Leuchtturm auf der Kíµpu-Halbinsel, die gerne von Schauspielern und Künstlern als Residenz gewählt wird. Der Leuchtturm zu Kíµpu glänzt eher gedämpft und zurückhaltend, eben typisch estnisch, mit der Auszeichnung, der älteste noch in Betrieb befindliche Leuchtturm an der Ostseeküste zu sein. Steile Treppen aufsteigend und mit teils eingezogenem Kopf gelangt man auf die Aussichtsplattform des in seiner Form untypischen Seezeichens. Der Ausblick über die teils bewaldete, flache Landschaft hin zur Ostsee beruhigt und verwöhnt die Sinne.
Seehunde und andere Gäste
Die größte Insel Estlands heißt Saaremaa und vereinigt Kultur und Natur auf beeindruckende Weise. Im Kurort Kuressaare zeugt, die von einem Wassergraben umgebene, bestens restaurierte Bischofsburg von einer geschäftigen Vergangenheit. In den Sommermonaten finden dort Mittelalter-Märkte und zahlreiche Freiluftkonzerte statt. Beim Dorf Angla stellen sich auf einer Anhöhe fünf Mühlen gegen den Wind. Sie gehören zu den wenigen Überbleibsel aus der Zeit, als Saaremaa noch 800 dieser technischen Bauwerke aufweisen konnte. Natur pur bietet der Nationalpark Vilsandi auf der gleichnamigen Insel, auf der sich auch eine kleine, aber feine Herberge für Gäste befindet und unbedingt zu empfehlen ist. Der Bauernhof „Kusti Talu“ der Familie Kullapere bietet neben Unterkunft auch köstliche Spezialitäten der Region an. Hier sollte man sich stärken bevor man die kleine Insel erkunden. Und es gibt einiges zu sehen. Seehunde, unzählige Vogelarten und eine reiche Flora sind nur einige der Gründe, warum dies ein wunderbares Fleckchen Erde ist.
Tallinn ist Kulturhauptstadt 2011
Möchte man zurück nach Tallin, führt der Weg über die kleine Insel Muhu mit der sehenswerten orthodoxen Kirche zu Hellamaa und dem erstklassig restaurierten Gut Pädaste, das heute Gäste aus aller Welt luxuriös und in traumhafter Landschaft beherbergt und verwöhnt. Auch Tallinn verwöhnt seine Besucher. Kleine verwinkelte Gassen, geschichtsträchtiges Kopfsteinpflaster und zahlreiche historische Gebäude zeugen vom Wohlstand und Einfluss der Hansestadt während des Mittelalters. Nicht umsonst erklärte die UNESCO 1997 die überschaubare und bestens zu Fuß zu erkundende Altstadt von Tallinn zum Weltkulturerbe. Sirje, unsere deutsch sprechende Stadtführerin, erzählt uns Geschichten über die Menschen der Stadt, begleitet uns zu den Sehenswürdigkeiten Tallinns und man merkt ihr sofort die Liebe und den Respekt zu den hier lebenden Menschen an. Die Bewohner Tallins blicken jedoch auf eine teils steinige und entbehrungsreiche Historie zurück. So verlor die unabhängige Republik Estland 1940 ihre Selbständigkeit, als die Sowjets das Land besetzten und annektierten. Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion und aufgrund der sogenannten „singenden Revolution“ in den baltischen Staaten, erlangten die Esten 1991 wieder ihre Freiheit und demokratische Verhältnisse zurück. Heute ist die mittelalterliche Hansestadt, mit ihrem lebensfrohen Menschenschlag, der manch Unbill des Lebens durch wohl akzentuierten Humor zu meistern weiß, eines der charmantesten Reiseziele im Norden Europas. Im Winter durchstreift man die verschneite Altstadt auf schneegedämpften Sohlen und genießt den Weihnachtsmarkt auf dem Rathausplatz. Von Zeit zu Zeit ziehen die zahlreichen Cafés und Kneipen den fröstelnden Spaziergänger in ihr warmes Inneres, um Leib und Seele bei einem frisch gebrühten Kaffee oder einer heißen Schokolade wieder in Einklang zu bringen. Im Sommer ist ein Spaziergang durch die traumhafte Altstadt von Tallinn ebenfalls ein schönes und atmosphärisches Unterfangen.
Wer einmal eine andere Art der Stadterkundung ausprobieren möchte, sollte einen schwungvollen Ausflug mit dem sogenannten Conference-Bike in Erwägung ziehen. Mit sieben im Kreis sitzenden Personen auf nur einem Fahrrad geht es über Kopfsteinpflaster bergauf und bergab zu den Sehenswürdigkeiten Tallinns – die Mitfahrer immer im Blick. Bailey, unser Tourguide, übernimmt das Lenken und der Rest der Truppe tritt kräftig in die Pedale. Manche sitzen rücklings, andere seitlich zur Fahrtrichtung. Ein erlebnisreiches Spektakel in schnellen Kurven, bergab und bei rasanten Richtungswechseln. Die Tour beginnt in der Unterstadt auf dem Rathausplatz, mit dem repräsentativen mittelalterlichen Stadthaus, welches als einziges, vollständig erhaltenes Rathaus Nordeuropas im gotischen Stil gilt. Vom achteckigen Turm aus genießt man ein atemberaubendes Panorama über Tallinn und seine typischen Bürgerhäuser. Bei der Fahrt mit dem ausgefallenen Vehikel, durch die meist autofreien Gassen, verfolgen uns die neugierigen Blicke der zu Fuß gehenden Passanten. Leicht erschöpft, aber voller großartiger Eindrücke, erreichen wir die mächtige Stadtmauer am Ende der Uus-Straße. Wir durchqueren eines der erhaltenen historischen Stadttore – das Suur Rannavärav – und erblicken die Dicke Margarethe, in der heute das Estnische Schifffahrtsmuseum untergebracht ist, neben dem Langen Hermann und Kiek in de Kök, einer der schönsten Schutztürme Tallinns. Nun führt der Weg von der Unterstadt zur Oberstadt. Hier drängt sich dem Besucher besonders die große und reichverzierte Alexander-Nevski Kathedrale ins Blickfeld. Das imposante orthodoxe Gotteshaus entstand Ende des 19. Jahrhunderts auf Geheiß des Zaren Nikolaj II. und beeindruckt durch seinen mit Mosaiken und Ikonen reich verzierten Innenraum. Ein weiteres Schmuckstück sakraler Baukunst befindet sich nur eine Gebetlänge entfernt vom orthodoxen Gegenstück. Die Domkirche St. Marien stammt aus der Zeit des Mittelalters und ist Heimstätte für Menschen lutherischen Glaubens.
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Informationen über Estland und Tallinn:
Estonian Tourist Board/Enterprise Estonia, Lasnamäe 2, 11412 Tallinn, Estland, Tel +372 6 279 770, Fax +372 6 279 701, E-mail: tourism@eas.ee, www.visitestonia.com
Tallinn Tourist Information, Niguliste 2 / Kullassepa 4, Tallinn, Tel +372 6457 777, Email: turismiinfo@tallinnlv.ee, www.tourism.tallinn.ee/ger
Anreise: z.B. mit Estonian Air von verschiedenen deutschen Flughäfen nach Tallinn. www.estonian-air.ee
Einreise: Deutsche, Österreicher und Schweizer benötigen einen gültigen Reisepass bzw. einen Personalausweis.
Beste Reisezeit: Ganzjähriges Reiseziel, das Klima in Estland ist durch warme Sommer und milde Winter gekennzeichnet.
Hotel in Tallin: Hotel Telegraaf, Vene Straße 9, Tallinn / Altstadt, Tel.:+372 6000600, Fax +372 6000601, www.telegraafhotel.com
Hotels auf Estlands Inseln
Auf Saaremaa: Georg Ots Spa Hotell, Tori 2, 93810 Kuressaare, Tel.: +372 4550 000, Fax:+372 4550 001, www.gospa.ee
Auf Muhu: Pädaste Gutshof, Muhu Island, 94716 Estonia, Tel.: +372 4548800, Fax: +372 4548811, www.padaste.ee