Die Orchideen sind wie die Sternwoods. Teuer, schön, von gleichzeitig anziehendem und ekelerregenden Fäulnisduft. In seinem Gewächshaus voller Orchideen beauftragt der todkranke General Sternwood (Charles Waldron) Privatdetektiv Phillip Marlowe (Humphrey Bogart), sich um Spielschulden der Familie zu kümmern. Böses Blut fließt in den Adern der Sternwoods, böses Blut resultiert aus den Machenschaften von Sternwoods Töchtern. Der jüngeren ist Marlowe bereist begegnet. Carmen, die Martha Vickers so einnehmend als lasziv-bösartige Kindfrau spielt, dass ihre Szenen geschnitten wurden, um die der Hauptdarstellerin Lauren Bacall nicht zu überschatten. Bacall ist das Gegenstück zur verspielten Carmen, die kaltblütige ältere Vivian. Die erotischen Wortduell zwischen dem privaten und filmischen Gespann, deren Dynamik Howard Hawks in „To have and Have not“ erprobt hatte, macht „The Big Sleep“ zu einer suggestiven Tour de force„You ´ve got a touch of class but I don ´t know how far You can go.“, erwidert Marlowe Vivian. Bis an die Grenzen der Zensur ging „The Big Sleep“, jedoch nicht darüber hinaus. „A lot depends on who ´s in the saddle.“, mit den Worten Vivians. Hawks war nicht so wagemutig wie Romanautor Chandler. Robert Aldrich, Joseph H. Lewis und Fritz Lang hätten den Roman weniger abgemildert. Der Familienchauffeur Owen Taylor rast über eine Klippe, der Buchhändler Arthur Geiger liegt tot zu den Füßen einer in ein chinesisches Kleid gehüllten Carmen. Das exotische Gewand spielt auf die „exotischen“ Fotos an, welche Geiger von ihr machte. Dass Carmens geistige Abwesenheit drogeninitiiert ist, Geigers homosexuelle Beziehung zu seinem „Schatten“, Carmens Triebhaftigkeit, welche sie im Roman nackt in Marlowes Bett auf ihn warten lässt, der pornografische Inhalt der von Geiger verkauften Bücher, verbirgt sich in Andeutungen, Metaphern und der Fantasie des Zuschauers. Im Kontrast zu heutigen Thrillern äußert sich die Gewalt in „The Big Sleep“ verbal statt physisch. Den ersten Schuss hört man nur. Der nächste Schusswechsel ist der finale. Die Leichen türmen sich im Handlungsdunkeln, welches nie vollkommen durchleuchtet wird.
So einfach ist „The simple Art of Murder“, wie sie Raymond Chandler in einem anderen Buchtitel nannte, nicht. Fünf Menschen betten Drehbuchautor William Faulkner und Regisseur Howard Hawks zur ewigen Ruhe. Eine lange Szene, in welcher Bogart einem Kriminalbeamten wichtige Zusammenhänge des Falls erklärt, wurde geschnitten, dafür begegnete Marlowe einer Schönen nach der anderen. Dorothy Malone als anziehende Buchhändlerin, Peggy Knudsen als Verbrechergattin Mona Mars und eine im Abspann ungenannte Sonia Darren als Kleinkriminelle. Sogar unter der Taxifahrerkappe steckt eine hübsche Brünette.
Doch Bogart sieht nur Bacall und der Zuschauer Bacall und Bogart. „Was ich habe, ist Charakter in meinem Gesicht. Es hat mich eine Masse langer Nächte und Drinks gekostet, das hinzukriegen.“ Bogarts eigene Worte klingen wie aus einem Noir. Der unverwechselbare Charakter ist es, welcher Hawks verworrenen „The Big Sleep“ von anderen Noirs unterscheidet. „The Big Sleep“ handelt nicht von der Lösung eines Mordfalls, sondern der Ermittlerarbeit und den Verstrickungen, welche die Gewalt ausbrüten. Moralische, familiäre und soziale Degenration wuchern in der Oberschicht wie die Orchideen in dem Treibhaus der Sternwoods. Um einen Kleinganoven (Elisha Cook, Jr.), der sich für seine Geliebte opfert, tut es Marlowe schließlich mehr leid als um die diversen anderen Toten.
Wer Owen Taylor umgebracht hat, konnten am Ende weder Regisseur Hawks noch Drehbuchautor Faulkner beantworten. Nicht einmal Raymond Chandler konnte sich erinnern, denn im Buch fehlt der Mörder. Auf der Leinwand vermisst man ich nicht. Bogart. Bacall. The Big Sleep. Mehr ist nicht nötig.
Titel: The Big Sleep – Tote schlafen fest
Kinostart: 9. Juli 2009
Regie: Howard Hawks
Drehbuch: William Faulkner
Darsteller: Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Martha Vickers, Charles Waldron, Elisha Cook, Jr.
Verleih: Neue Visionen