Berlin, Deutschland (Weltexpress). Das Konzert Theater Bern war zum diesjährigen Theatertreffen eingeladen mit Ersan Mondtags Inszenierung „Die Vernichtung“. Auch zu den Autorentheatertagen im DT reiste das Theater an. In den Kammerspielen war die Uraufführung „Mondkreisläufer“ von Jürg Halter zu erleben. Der 1980 in Bern geborene Autor ist Schriftsteller, Musiker und Performancekünstler. Nach der Vorstellung am Sonntag gab er mit Freddy Studer eine „Poetry Performance“, und vor der Vorstellung am nächsten Tag stellte er sich im „Autor_innensalon“ den Fragen von Hannes Oppermann und improvisierte ein Gedicht über die gefangenen Kronleuchter im Saal des DT.
Auch „Mondkreisläufer. Eine Heimsuchung in vier bis unendlich vielen Akten“ ist ein Gedicht, poetisch, mit wechselnden Rhythmen, in klangvoller Sprache. Er habe noch nicht herausgefunden, welche Geschichte im Stück erzählt werde, sagte Jürg Halter. Im Programmheft äußert er zu seinem „Gedankenexperiment“, es zeige „das ewige Leben als Groteske“ und „der Mondkreisläufer“ sei „ein unsterblicher Mensch, ein Unerlöster, ein Verdammter“.
Das hört sich nach Verzweiflung und schwerer Kost an, kommt jedoch in Cihan Inans Inszenierung mit spielerischer Leichtigkeit daher. Auf einem weißen Podest, auf dem eine Säule aufragt, agieren zwei Frauen und zwei Männer barfuß in weißen Gymnastikanzügen. Die Menschen wirken unkörperlich, fast durchsichtig wie Geistererscheinungen.
Wenn sie zu Beginn dem Publikum erklären, die Türen könnten nicht mehr geöffnet werden und draußen sei das Nichts, dann klingt das eher verführerisch als bedrohlich. Die AkteurInnen locken die ZuschauerInnen aus der Zeit heraus in eine nicht messbare Ewigkeit, aus der Individualität in eine gestaltlose Gemeinschaft.
Trotz ihrer tänzerischen Bewegungen sind die namenlosen Mondkreisläufer keine seligen Geister. Sie sind Unglückliche. Aber vielleicht haben sie gar keine Gefühle, denn ihre Verzweiflungsausbrüche wirken abstrakt und wecken keine Anteilnahme. Immer wieder strecken sie die Arme zum Publikum aus, als wollten sie Nähe herstellen, die sie miteinander nicht realisieren können.
Sie reden über Gott und die Welt, über Philosophie und Psychoanalyse, klopfen Ideale wie Freiheit ab, um sie als nicht erstrebenswert zu entlarven, entwickeln paradiesische Lebensentwürfe, die sich im Nichts verlieren, spenden Trost, der sich als leeres Versprechen erweist. Sie suchen nach ihren Namen, nach den ausgelöschten Erinnerungen an ihr Dasein, rufen nach ihrer Mutter und sehnen sich in ihren Schoß zurück. Die Texte sind hintersinnig, geistreich, absurd, manchmal aber auch ganz banal.
Am Ende greift ein Mondkreisläufer den Satz wieder auf, mit dem das Stück begonnen hat: „Gedanken sind eine tolle Sache“. Die vier abstrakten Wesen verwandeln sich wieder in Menschen und überlassen die ZuschauerInnen ihren eigenen Gedankenkreisläufen, die vielleicht durch Jürg Halters Querschläge ein bisschen aus dem Takt geraten sind.
Für die wirkungsvolle Realisation von Stücken, die nicht von Action und technischen Effekten, sondern von der Sprache leben, sind ausdrucksstarke SchauspielerInnen nötig, die auch ihr Handwerk perfekt beherrschen. In „Mondkreisläufer“ belebten mit Milva Stark, Irina Wrona, Nico Delpy und Gabriel Schneider solche hervorragenden DarstellerInnen die Bühne.
Miroslava Svolikova ist wohl als Shooting Star zu bezeichnen, eben das, was die Personen in ihrem Stück mit dem langen Titel „Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt“ gerne sein möchten.
Die 1986 in Wien geborene Autorin, die im „Autor-innensalon“ bewies, dass sie aus Bierdeckeln die Zukunft lesen kann, hat Philosophie studiert und ist bildende Künstlerin. Sie hat zwei Stücke geschrieben, beide wurden mit Preisen ausgezeichnet, beide wurden als Gastspiele vom Burgtheater und vom Schauspielhaus Wien zu den Autorentheatertagen im DT eingeladen, und dort bekam Miroslava Svolikova für ihre Stücke „die hockenden“ und „Diese Mauer fasst sich selbst zusammen…“ den Hermann-Sudermann-Preis für herausragende Leistungen im Bereich der deutschsprachigen Dramatik.
„Diese Mauer…“ ist eine Farce, in der nichts geschieht aber doch eine Menge los ist. Eine Frau und zwei Männer haben eine Ausschreibung gewonnen und sind zur Ausführung einer bedeutenden Aufgabe ausgewählt worden. Jede der drei Personen ist überzeugt, die einzige Gewinnerin zu sein, obwohl sie Siebe mitbringen sollten, was darauf hinweist, dass noch ausgesiebt werden soll.
Es geht um die Union oder vielleicht um die Onion. Ein Zwiebelrezept wird mehrfach verlesen. Um keine Chance zu verpassen, folgen die vermeintlichen GewinnerInnen bereitwillig dem Hologramm, das sie durch ein verlassenes Museum führt. Eine Putzfrau taucht auf, die anscheinend alle Fäden in der Hand hat und behauptet, die Regisseurin zu sein. Sie kennt auch das Geheimnis der herumliegenden Zettel, denen die GewinnerInnen irrtümlich Bedeutung beimessen.
Der Stern beklagt mit Kinderstimme seine Einsamkeit. Er ist aus der Union herausgefallen, sehnt sich nach Gemeinschaft und Nähe, fügt aber allen, die ihn umarmen, mit seinen Zacken schmerzhafte Verletzungen zu. Die Mauer ist ein spezielles Exponat des Museums, ein sprechender, ausschweifend referierender Stein, dem sich ein zweiter hinzu gesellt.
Das Stück lebt von seiner musikalischen Sprache, absurden Einfällen und seinen Wortspielen und Verfremdungen. Die GewinnerInnen werden zwecks Registrierung nicht gespeichert sondern eingespeichelt, wobei Schaumwolken auf sie herunterplatschen, nachdem sie über die elementare Überlebenskraft des Speichels aufgeklärt wurden.
Die hohen Erwartungen der Auserwählten erfüllen sich nicht. Am Ende sprechen sie nicht mehr von ihrer gewonnenen Ausschreibung, sondern erklären, sie hätten „eine Ausschreitung begonnen“. Sie sind das Prekariat, das vom mühelosen Aufstieg träumt, sich hoffnungsvoll an der Nase herumführen lässt und schließlich rebelliert gegen ein Europa, das seine Sterne verloren hat und zu einem abstrusen Museum geworden ist.
Franz Xaver Mayr hat die Uraufführung am Schauspielhaus Wien schwungvoll in Szene gesetzt. Katharina Famleitner, Simon Bauer und Steffen Link gestalten die Auserwählten fein nuanciert und pointensicher. Dolores Winkler ist eine handfeste, dominante Putz-Regisseurin und, im Sternenkostüm, ein verlassenes Kind, das sich plappernd in der Sprache verirrt, und Sebastian Schindegger ist ein ebenso hohles wie mysteriöses Hologramm.