Das Stück verspricht, langweilig zu werden, denn Professor Keinan beginnt sofort ganz ernsthaft mit seinen Ausführungen über den zu erwartenden globalen Konflikt, wobei allerdings technische Pannen bei der Präsentation des Bildmaterials für unterhaltsame Störungen sorgen. Schuld an der wachsenden Konfusion ist Niels Bormann als tölpelhafter Assistent im Jesus-Look, und selbstverständlich ist das Durcheinander inszeniert.
Zu erfahren ist, dass der 3. Weltkrieg in den Jahren 2018 – 2020 ausbrechen soll. Über Ausbruchsort und Ursachen der Katastrophe gibt es unterschiedliche Theorien, wobei Keinan den Standpunkt vertritt, dass kein Religionskrieg zu erwarten sei. Während die, auch im Programmheft nachzulesenden, Ausführungen ansonsten keine klaren Aufschlüsse geben, findet sich die deutliche Aussage: „Wir werden uns noch darüber wundern, wie die Welt ihre kostbare Zeit mit der Abwehr von religiösem Fundamentalismus vergeudet hat, anstatt sich auf die wahre Bedrohung zu konzentrieren.“
Näheres zu dieser „wahren Bedrohung“ wird nicht mitgeteilt, und nachdem Rotem Keinan angekündigt hat, nun über China sprechen zu wollen, bricht er den Vortrag entnervt ab. Das Theater kann er jedoch nicht verlassen, denn die Tür ist verschlossen. Keinan ist eine Bühnenfigur, die bis zum Schluss des Stücks bleiben muss.
Auch Orit Nahmias muss feststellen, dass sie sich keine Freiheiten herausnehmen kann. Was auch immer sie zu improvisieren glaubt, ist längst gespeichert und wird in deutscher Übersetzung auf die Rückwand projiziert. Die Bühnenhandlung und die Schicksale der handelnden Personen sind unveränderlich festgelegt. Prophezeiungen und visionäre Träume verweisen auf die Katastrophe am Ende.
Die israelische Theatermacherin Yael Ronen hat sich mit ihrer sechsköpfigen Company auf die Suche begeben nach Orientierungen in einer sich rasant verändernden Welt. Eine jüdische Frau, ein ehemaliger Christ, ein ungläubiger Moslem, eine radikale Atheistin und ein paar verlorene Agnostiker loten die Ängste, Hoffnungen und Irrtümer aus, die unser Leben bestimmen und von Religionen und Weltanschauungen geschäftstüchtig ausgebeutet werden.
Das Stück, ein Mosaik aus kleinen, z.T. kabarettistischen Szenen, wirkt eher amüsant als bedrohlich. Mitdenken wird nicht durch Provokationen gelähmt, sondern durch Irritationen angestachelt. Was ernst gemeint ist und was nicht, lässt sich nicht sofort erkennen. Es wirkt peinlich, wenn das Ensemble die ZuschauerInnen nachdrücklich dazu auffordert, einander bei den Händen zu fassen. Ein Teil des Berliner Premierenpublikums nahm, distanziert lächelnd, an diesem vermeintlichen Mitspieltheater teil. Beim Fragenkatalog, der die Entscheidung für eine passende Religion erleichtern soll, warten die InterviewerInnen jedoch die eingeforderten Antworten nicht ab, sondern geben sie selbst.
Religionen sind keine maßgeschneiderten Wohlfühleinrichtungen, auch wenn sie sich durch mehr oder weniger plumpe Werbestrategien als Mittel zur Erfüllung menschlicher Sehnsüchte darstellen, ausgenommen die jüdische Religion, die sich eher abweisend und spröde gibt. Sie lässt sich aber, ganz gleich ob angeboren oder angenommen, nicht wieder ablegen.
Für protestantische ChristInnen gibt es nahezu keine Vorschriften, während der Katholik, der in andere Glaubensgemeinschaften hinein geschnuppert hat, sich einem Exorzismus unterwerfen muss und der ungläubig gewordene Moslem von islamistischen Extremisten mit Bombendrohungen terrorisiert wird. Noch gefährlicher ist der berühmte dänische Extremist, über den mehrfach gesprochen wird, bis sich am Schluss herausstellt, dass es sich um Hamlet handelt. Dem fällt tatsächlich der Prophet der Abundame zum Opfer, einer Göttin, die alle Religionen und die ganze Menschheit zu vereinen verspricht.
Der Prophet stirbt, bevor er Abundames entscheidende Botschaft verkünden kann, und so gibt es nicht den Weltfrieden, sondern erbitterten Streit, weil jede und jeder der Hinterbliebenen die neue Lehre genau zu kennen behauptet.
Rechthaberei, Irrtümer, fehlgeleitete Hoffnungen und irrationale Ängste sind gefährliche Wegweiser im Dschungel der ständig wachsenden medialen Informationsflut, in der Einzelne sehr leicht in den totalen Realitätsverlust abstürzen können. Der besorgte Vater, der seinen Sohn vor sexuellen Übergriffen bewahren will, offenbart in seinem schwulenfeindlichen Ausbruch vor allem seine eigenen verdrängten Sexualphantasien. Und wenn Maryam Zaree sich aus der Burka herauswindet, um sich dann, kaum noch bekleidet, zur Facebook-Gemeinschaft zu bekennen, erscheint der so gewonnene Freiheitsgewinn zumindest fragwürdig.
Das multikulturelle Ensemble agiert mit temporeicher Eleganz und grandiosem Zusammenspiel. Die deutschen, englischen, hebräischen und arabischen Texte sind deutsch und englisch übertitelt. Die SchauspielerInnen treten unter ihren privaten Namen auf und fördern die Verwirrung, indem sie Biographisches mit Fiktionalem verbinden.
Die Uraufführung wurde bei der Premiere mit stürmischem Applaus honoriert.
„The Day Before the Last Day“ von Yael Ronen & the Company hatte am 01.09. Premiere in der Schaubühne, Berlin. Weitere Vorstellungen: 30.09., 01., 02., 03., 17. und 18.10.2011.