Eine Lesung, wie man sie selten erlebt! Joachim Gauck liest nicht nur, er unterhält. Er teilt mit, erklärt und – er ist tatsächlich witzig. Er ironisiert seine Zeit in der DDR, aber erzählt auch von Tränen und von schlechten Zeiten. Seine Erinnerung an die Stalin-Zeit, dem „Vater aller Völker“ ist lebendig und ein Zeitzeugnis. Wie er als Kind in der Schule Stalin für einen „Gottvater“ halten musste und dann, wenn er mittags nach Hause kam, seine Mutter mit verweinten Augen, weil sein eigener Vater Jahre lang verschleppt war, ohne dass die Familie wusste, ob er überhaupt noch lebt. Selbst das erzählt Gauck mit einer gewissen Ironie, die tatsächlich unterhaltend ist. Bereits eingangs rät er in den voll besetzten Theaterraum, dass diejenigen, denen es eventuell zu lange dauert oder auch zu langweilig wird, doch schon einmal raus gehen sollen, denn schließlich sei das Publikum „das Volk“.
Eigentlich wollte ich gar nicht so lange bleiben. Ich hoffte auf eine kurze Pressekonferenz vor der Lesung, wie die meisten meiner Kollegen von allen möglichen „Leitmedien“ ebenfalls. Doch es kam anders! Gauck traf erst kurz vor Beginn der Lesung überhaupt im Theater ein. Wir waren also gezwungen, uns auf unsere Plätze zu begeben und er begann mit seiner „Show“! Perfekt, stilvoll und intelligent und ich beschloss, mich auf meinem Platz nieder zu lassen und Gauck zu hören. Nicht dem vielleicht künftigen Bundespräsidenten zuzuhören, sondern dem Autor, der aus seinem Buch liest. Er liest ja nicht das ganze Buch, sondern einige Sequenzen, zu denen er dann frei sprechend Erklärungen abgibt. Und er hat recht! Man merkt es nicht, wie schnell eine Stunde vorbei gehen kann in der man nicht nur unterhalten wird, sondern Erkenntnisse, tiefe Erkenntnisse sammelt. Außerdem schaut man da auf einen Mann, der anstelle von Christian Wulff Bundespräsident hätte werden sollen und da fragt man sich, warum man sich diese peinlichen 1,5 Jahre nicht erspart hat und nicht gleich Joachim Gauck wählte. Aber, nun ja! Jedenfalls erhält er am Ende Standing Ovations, ein jubelndes Publikum, das ganz bewusst Respekt vermittelt.
Nach der Lesung müssen wir noch abwarten, bis er alle Bücher signiert hat. Er tut das mit großer Freude und hat für jeden ein persönliches Wort, eine kleine Unterhaltung parat. Es gibt auch offensichtlich Begegnungen aus seiner Heimat und er selbst bekommt wieder Bücher geschenkt und eine Flasche Sekt. Als wir später eine kurze Unterhaltung führen, mache ich ihn darauf aufmerksam, dass er eventuell künftig mit solchen Geschenken vorsichtig sein müsse, lacht er und sagt, es sei nur schade, dass man ihm keinen Porsche geschenkt habe, jetzt könne er ihn schließlich noch annehmen.
Auch wenn er damit kokettiert, dass man ihn seit dem Rücktritt noch nicht gefragt habe und man sicher in den kommenden Tagen jemanden passenden finden würde, kann ich mir persönlich keinen besseren Kandidaten für das höchste Amt Deutschlands dieser Tage vorstellen. Die Blamage mit Christian Wulff würde gedämpft, wenn einer wie Joachim Gauck danach kommen würde. Davon bin nicht nur ich fest überzeugt. Während der Wartezeit im ausverkauften Koblenzer denkmalgeschützten Stadttheater hörte ich mich bei Besuchern um. Sie alle waren gekommen, um den Autor aber gleichzeitig auch, um den künftigen Bundespräsidenten zu sehen. So jedenfalls sagten sie. Und weil sie „das Volk sind“ sollte man auf sie hören, auch wenn wir noch immer den Präsidenten nicht direkt wählen dürfen, sagen wir: Gauck for President!
Als ich ihm sagte, dass er im Netz bei den Umfragen ganz vorne liege, wusste er das schon: von seinen Enkeln, die ständig im Netz unterwegs seien. „Natürlich freut mich das, das ist ja wohl auch ganz normal“. Seine These ist jedoch, abwarten und nichts ausschließen! Die Koblenzer Bürger zeigten jedenfalls, wer ihr Kandidat ist”¦