Willkommen im 21. Jahrhundert – Wie der Zirkus Sarrasani mit „Circuswelten“ einer ‚altmodischen‘ Unterhaltungsform neues Leben einhaucht

Traurig: Zirkusdirektor und Magier André Sarrasani mit der vor kurzem verstorbenen weißen Tigerin Masari.

Heute wohnt das Zirkusvolk im Hotel. Ja, das mit der Romantik sei etwas vorbei, sagt die Pressesprecherin des Circus Sarrasani etwas wehmütig. Kristine Bareuther ist beim traditionsreichsten deutschen Zirkusunternehmen für die Präsentation des Familienunternehmens in den Medien zuständig. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die Veränderungen in der Showgestaltung für die Öffnetlichkeit nachvollziehbar zu machen.

Denn es hat sich in der Tat viel verändert in der Welt des Zirkus. Aufwändige Tiernummern mit zahlreichen exotischen Tieren als Hauptdarstellern gehören vermutlich für immer der Vergangenheit an. Zu stark ist inzwischen die kritische Beobachtung der Öffentlichkeit hinsichtlich der artgerechten Haltung der Zirkustiere geworden. Bald sollen sie durch den gesetzgeber ganz verboten werden. Jeder wird sich noch an spektakuläre Tierdressuren in seiner Jugend erinnern: Löwen, Panther und Tiger, Pferde und Elefanten, sogar Eisbären und Nilpferde waren es, die in den 70er und 80er Jahren in den sägespanbedeckten Manegen der Republik zu bestaunen waren.

Die Zeichen der Zeit erkennen

In der aktuellen Show "Circussterne" ist das Angebot an exotischen Vierbeinern auch bei Sarrasani sehr übersichtlich geworden. Eine (sehr gelungene) Seehund-Dressur und ein ganz kurzer Auftritt eines Tigers (die mit der Hand aufgezogene weiße Tigerdame Masari verstarb kurz vor Beginn der diesjährigen Tournee, ein schwerer Verlust; sie wird ersetzt durch die beiden Tiger Tara und Khan) während einer der zahlreichen Zaubernummern von Chef André Sarrasani, das war’s dann mit der beteiligten Tierwelt.

"Die Haltung der Tiere ist schon seit Jahren immer weiter in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt," sagt Frau Bareuter. Es ist eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung und die Nachfrage gestaltet sich noch übersichtlich. "Das ist am zweiten Spieltag in einer Großstadt ganz normal. Wenn wir in kleineren Orten spielen, dann ist der Zeitvorlauf größer, für viele ist dort der Zirkus noch ein Großereignis. Hier in Berlin haben wir große Konkurrenz, was das kulturelle Angebot betrifft. Aber wir haben sehr gut plakatiert und die Mundpropaganda kommt ja auch noch dazu. Wir sind optimistisch" sagt die junge Frau lächelnd.

Im Zelt selber kommt kaum noch die Atmosphäre vergangener Zeiten auf. Die ganze Stimmung erinnert eher an ein Varietètheater als an klassischen Zirkus. Das macht Sinn, denn das was danach in zweieinhalb Stunden geboten wird, ist modernes, sehr gelungenes und unterhaltsames Showtheater mit viel Tanz von sehenswerten Damen, lauter Musik, großartiger Artistik, sehr witzigen Jonglage-und Pantomimen Nummern anstelle der klassischen Clowns (vor denen ich als Kind immer eher Angst hatte als sie lustig zu finden), gekonnter Zaubernummern und eben einer kleinen Tierdressur als Remeniszenz an die Vergangenheit.

Ein optisches Highlight ist sicherlich das Sarrasani-Ballett: Vom alten Ägypten mit Cleopatra und Mumien über die Darstellung einer heißen James-Bond-Choreografie bis zur roboterhaften Science-Fiction schlägt die Gruppe junger Frauen einen sehenswerten tänzerischen Bogen durch die verschiedenen Zeitalter. Ein Gast meinte, dass sei nix für Kinder. Stimmt, aber Papa freut sich um so mehr.

Man könnte sagen, dass es früher die Kinder waren, die die Eltern durch konsequentes Quengeln zum Zirkusbesuch animiert haben. Papi und Mami sind dann zwar mitgegangen, aber in erster Linie um sich über die Freude ihrer Kleinen zu freuen. Heute, wo selbst Lesungen schon Event-Charakter verströmen, hat Vati bei Sarrasani selber jede Menge zu tun, um die visuellen Eindrücke alle aufzunehmen. Ja, die Show ist sexy, sie hat Schwung und Schmiss, die zweieinhalb Stunden vergehen wie im Flug.

Mittendrin statt nur dabei

Auch deshalb, weil ich das Glück/Pech habe, sehr nahe an der Manege zu sitzen, quasi in der ersten Reihe. Der Pantomime Mr.Chap aus Polen ist ein Meister seines Fachs, und braucht für seine Nummern viele Mitstreiter aus dem Publikum. Ehe ich mich versehen habe, zieht er mich über die Absperrung in die Manege und werde in Sekunden Bestandteil einer Nummer in der ein Liebesfilm pantomimisch gedreht werden soll. Herz macht Klopf, Kopf knallrot, Knie weich. 

Faszinierend war dieses Erlebnis aber deshalb, weil nach einer Minute Aufregung und Scham vergessen waren, weil Mr.Chap es meisterhaft versteht, seinen spontanen Mitstreitern die Angst vor dem Auftritt zu nehmen. Das Publikum applaudierte herzlich, wohl weil es froh war, nicht für den Sketch ausgewählt worden zu sein.

Auch ein Knaller war der Comedy Jongleur Cotton Mc Aloon, der artistisch und verbal auf unterschiedlichsten Ebenen gleichzeitig sein Publikum fantastisch unterhielt. Während er mit den Händen komplizierteste Wurf-Kombis in der Zirkus-Luft erschuf , machte er gleichzeitig seine eher für Erwachsene geeigneten Sprachverrenkungen auf nicht weniger als vier Sprachen. Lange nicht mehr so gelacht.

Von den ausnahmslos herausragenden Akrobaten unter den Artisten hier einen hervorzuheben würde den Rahmen sprengen. Nur soviel: Auch die altbekannten Artistik-Nummern von früher erhalten bei Sarrasani eine Frischzellenkur. Sie erscheinen als verkleidete Zombies, die mit wahnsinniger Geschwindigkeit via Trampolin über die Bühne irrlichtern, mit untergeschnallten Roller-Blades auf steilen Rampen oder als muskelbepackte Halbgötter an den Strapaten ( das ist der Teil der Show, bei dem vor allem Mutti auf ihre Kosten kommt, wenn die starken Männer an von der Zirkuskuppel hängenden Bändern arbeiten). Sie alle sind große Klasse.

Zwischen Tradition und Moderne

Last but not least gilt es natürlich noch den Meister selbst zu erwähnen, der es geschafft hat, auch in der fünften Generation den Spagat zwischen Familientradition und Sprung in die Moderne zu meistern. André Sarrasanis von internationalen Zauberkoryphäen inspirierte Zaubertricks können sich sehen lassen, bzw. eben nicht. Auch wenn man weiß, das diese Tricks nur Illusion sind, man kommt wie immer nicht dahinter wie er’s macht. Immer wieder erstaunlich.

Illusion zu erzeugen ist nach wie vor der Hauptanspruch Sarrasanis, denn der Welt des grauen Alltags für einige Stunden zu entfliehen, ist auch im Hier und Jetzt ein grundlegendes Bedürfnis des Publikums. Das ist André Sarrasani und seinem Ensemble auch dieses Mal unter veränderten Bedingungen eindrucksvoll gelungen. Noch zu sehen bis zum 9. Mai, direkt am Hauptbahnhof in Berlin.

Sarrasani Circussterne‚ vom 15. April bis zum 9. Mai 2010 am Hauptbahnhof in Berlin, genauer Adresse: Heidestraße/Ecke Minna-Cauer-Straße

Showtermine:

Mittwoch-Samstag 15:30 Uhr und 19:30 Uhr, sonntags und feiertags 14:00 Uhr und 18:00 Uhr, Montag und Dienstag spielfrei

Eintrittskarten

17€-42€

– Ermäßigungen für Kinder, Schüler, Studenten etc.

– an allen bekannten Vorverkaufsstellen

– unter der Ticket-Hotline 0700-727 727 264 (0,14€/Min.)

– im Internet unter: www.sarrasani.de

Spezialangebot:

„Family and Friends“: vier Karten aus der zweitbesten Kategorie kosten nur 99€ statt 144€.

Vorheriger ArtikelAls Geisel unter brutalen Piraten
Nächster ArtikelDas Maritim-Hotel Reichshof in Hamburg wird 100 Jahre alt