Das bezieht sich auch auf die Dramatik der Situation. Im Geschichtenverlauf werden den Borten, jeweils oben und unten – in der Mitte läuft Handlungsverlauf – ihre schmückende und allegorische Funktion übertragen und die Szenen jeweils durch Bäume mit eigenartig verschränkten Ästen von einander abgetrennt. Die Kampfeshandlungen jedoch sind jedes Mal so raumfüllend, daß sie nach unten ausgreifen, oft aber auch in Parallelszenen den Kampf vervielfachen und interpretieren. Und wer auf die Idee kam, auf dem Schiff lachende Pferde sich auf die Überfahrt und den Kampf freuen zu lassen, verdient einen Orden. Denn bleibt man bei diesem Bild stehen und beobachtet Vorbeischreitende, sieht man, daß die einen gar nicht richtig hingucken und hauptsächlich ihrem Knopf am Ohr zuhören, die anderen aber, die eigentätig schauen, lachen vor Vergnügen angesichts dieser lächelnden Pferde.
Besonders interessant sind die Szenen, deren Bedeutung man heute gar nicht mehr der Geschichte des Kriegszuges zuordnen kann. Das ist auch der Grund für die Annahme, daß der Teppich, der aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist, in diesen Szenen unmittelbar nach der Schlacht angefertigt wurde, wo noch jeder Betrachter die Szene, ihre Ursache oder symbolische Bedeutung erkannte, die später – weil für die Historie und die Schlacht nicht wichtig – verloren ging. Warum zum Beispiel, die eine der Frauen in dem fast frauenlosen Teppich – es gibt sonst nur noch die Eduard betrauernde Witwe Edith und – unter einer mit Säulen gestützten Pforte mit geschnitzten Tierköpfen steht und ein Mann eine Hand nach ihrer Wange ausstreckt, ist unbekannt und führt bis heute zu völlig gegensätzlichen Lesarten. Sie bekomme eine Ohrfeige von dem Mann, der als Kirchenschreiber durch seine Tonsur zu identifizieren ist, sagt der eine, es sei eine Liebkosung ein anderer. Was wir noch heute erkennen, ist ihre Jugend und ihre knöchellange vornehme Kleidung und auch ihre abwehrende Geste. Sie sei als zukünftige Ehefrau für jemanden vorgesehen oder werde belästigt, aber was wirklich los ist, kann die Darstellung nicht beweisen und so wird dies ein Fragezeichen bleiben müssen. Und dennoch kommt an dieser Stelle eine genaue Bildanalyse auch ohne inhaltliches Wissen weiter. Denn in der unteren Bordüre wird diesmal kein Tier abgebildet, sondern ein nackter Mann, der sein Geschlecht uns entgegenstreckt und die Rechte in dessen Richtung führt, mit der Linken aber weit ausgreift. Absolut obszön ist diese Darstellung und lässt vermuten, daß die obige Szene auf einen stattgefundenen Skandal zurückgeht, wo auf jeden Fall diese Schöne und der Kirchenmann irgendetwas miteinander auszufechten hatten.
Allerdings hat man dadurch auch einmal ein hübsches jungen Ding im Bild, das ansonsten von langgezogenen und sehr dünnen Männern bevölkert ist. Wir sind kunsthistorisch im 11. Jahrhundert auf dem Weg in der Gotik, muß man wissen, und da war das Schönheitsideal lang, dünn und gestreckt, was für Dome genauso galt, wie für Häuser, Menschen und Tiere. Das Mittelalter war nicht nur bunt, sondern die Kleidung außerordentlich phantasievoll, wenngleich für die stände genormt. Wir sehen hier dieselbe Vorliebe für gewirkte, gestrickte, geringelte, gestreifte Beinkleider wie auf italienischen Fresken oder gemalten Holztafeln.
Ein Wort noch zu den Farben. Wie sie wirklich gewesen sind, kann man nicht wissen. Man nimmt an, daß ursprünglich etwas acht Farben für das stickgarn vorhanden waren, von denen man heute noch fünf erkennt:
Noch einmal ein Wort zum Material. Es ist eine interessante und durchaus glaubwürdige Interpretation, daß der Teppich die fast 1000 Jahre gerade deshalb überlebt habe, weil er aus einfachem Material gefertigt wurde, Flachsleinen als Träger und Wollfäden zum Besticken. Wäre er vom Material her wertvoll gewesen, aus Gold gewirkt, mit Perlen bestickt, mit Edelsteinen bestickt und vielleicht mit Pupurfäden veredelt, er wäre sofort eine wichtige Beute gewesen. Aber so blieb der Teppich als materieller Wertgegenstand unbedeutend, war immer nur in Gefahr, wenn man gerade Stoff zum Abdecken brauchte, was mehrfach verhindert wurde.
„Der Teppich von Musée de la Tapisserie de Bayeux: Öffnungszeiten bis August von 9 Uhr bis 19 Uhr, bis 15. November bis 18.30 Uhr; 16. November bis 14.März 2011 von 9.30 bis 12.30 Uhr; von 14 bis 18 Uhr.
Ausstellung der Impressionisten in Honfleur: bis 6. September 2010. Weitere Impressionistenausstellungen im ganzen Land bis in den Herbst.
Katalog: Honfleur entre tradition et modernité. 1820-1900, íˆdition Societé des mais du musée Eugène Boudin 2010. Für die Katalogtexte, die in verschiedene Themen einführen wie: Der Salon der Impressionisten, Baudelaire und Boudin in Honfleur, Bilder der französischen Seefahrt, muß man schon Französisch können, aber die anderen Katalogteile nützen auch den nur Deutschsprechenden. Denn neben der Abbildung der Werke – ganzseitig und umfassen und dafür kauft man ja Kataloge – gibt es im hinteren Teil noch wichtige Hilfestellungen. Sucht man zum Beispiel einen Maler, wird in der Liste der ausgestellten Werke eine Namenliste präsentiert, wo man erst einmal über das fehlende ABC staunt, dann aber schnell versteht, wie sinnvoll das ist: es werden nämlich die Künstler der Reihenfolge ihrer Geburt nach gelistet, was einem eine gute Nachhilfe gibt. Innerhalb des Namens sind dann vorbildlich erst die Katalognummern angegeben, dann aber zusätzlich die Seite im Buch. Schon beim Blättern sieht man sofort, wer als Ausnahme in Honfleur war, und wer dort ständig zu Hause war und malte.
Info: Wir konnten die Ausstellungen des Impressionisten-Festivals mit sehr freundlicher Unterstützung der Französischen Bahnen SNCF durchführen. Zugfahren macht das Informieren leichter. Auf dem Hinweg waren das die Reiseliteratur und auf der Rückfahrt die diversen Kunstkataloge. Die schnelle Fahrt im ICE geht von Frankfurt nach Paris im Katzensprung, vier mal täglich möglich. Vom Gare de l`Est zum Bahnhof Saint Lazare wechseln, wo Sie in knapp zwei Stunden in Pont L`Eveque sind, einer besonders guten Ausgangsstation für die Normandie. Das ist keine reine Zugfahrt, sondern eine Besichtigungsfahrt der Normandie, von der man vor allem das tiefe satte Grün der Weiden und Wälder in Erinnerung behält. Einschließlich des friedlich weidenden Viehs. Entnehmen Sie die Ausstellungen in Bayeux und weitere Besichtungen sowie das darüber hinausführende Programm des gesamten Impressionisten-Festivals den Webseiten.
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