Im Frühjahr kreierten Peer Meter, der bereits 1990 in Zusammenarbeit mit Christian Gorny einen unvollendeten Comcis über Haarmann verfasste, und Barbara Yelin die Graphic Novel „Gift“ über die Bremer Serienmörderin Gesche Margarethe Gottfried. Im Letzten Jahr erschien Jon J. Muths lange vergriffene Comic-Adaption von Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ in hochqualitativer Neuauflage. Langs Film wiederum ist inspiriert von den Fällen dreier der schrecklichsten Serientäter der deutschen Kriminalgeschichte: Haarmann, Peter Kürten und Carl Großmann. Kongenial betitelte Lang seinen Film mit einem Buchstaben, statt mit einem Namen. „M“ – Mörder. Fängt er mich? Fängt er dich? Jeden kann es treffen. 1879 wurde Haarmann in Hannover geboren, fünfzig Jahre später befand sich Kürtens Mordserie auf ihrem Höhepunkt. Zwanzig Jahre vor Kürten wurde in Berlin-Neuruppin Carl Großmann geboren, vielleicht der schlimmste deutsche Serienmörder. Im Jahr 1922, als er hingerichtet wurde, war beging Haarmann in Hannover die Mehrzahl seiner Morde. Beide begannen ihre Serienmorde 1918. Vor hundert Jahren wurde Peter Kürten gefasst und 1931 hingerichtet. Im selben Jahr erschien Langs Kriminalthriller „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Hundert Jahre zuvor wurde in Bremen Gesche Margarethe Gottfried enthauptet. Die Daten scheinen einander auf rätselhafte Weise verbunden. Zahlen über Zahlen. Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein.
Gespenstisch sind nicht die Parallelen, sondern dass es so viele Mörder, so viele Morde gibt, dass Parallelen entstehen müssen. Auch die drei Werke sind reich an diesen Parallelen. Keine Farbe, Schwarz-weiß von Yelins Hand, strenge blassgraue Linien bei Kreitz, schwarz-graue Schlieren in Muths Zeichnungen, als dürfte es nichts Grelles geben in einer in Blut getränkten Welt. Erschreckend sind nicht allein die Taten, sondern das Umfeld, in dem sie geschehen. Eine entmenschlichte Atmosphäre aus Gleichgültigkeit, Nicht-Wissen-Wollen und Selbstsucht, in der es niemandem um „einen weniger“ schade ist. Die Habseligkeiten seiner Opfer verschacherte Haarmann an Hehler oder köderte mit ihnen neue Opfer. Das Fleisch verkaufte er an billige Lokale oder verschenkte es an Nachbar. Geschleckt ist nicht gestohlen. Und wenn es Fleisch der Opfer ist. Fressen und gefressen werden. Der Verdacht des Kannibalismus trug ihm den Spitznamen „Der Metzger“ und „Schlächter“ ein. Großmann arbeitete tatsächlich in einer Fleischerei. Aus den Ermordeten zubereitetes Dosen- und Hackfleisch soll er verkauft haben. Am Schlesischen Bahnhof stand sein Wurststand. Homo homini lupus. Wer weiß, wie viele „Werwölfe von Hannover“ es gab?
„Puppenjungen“, nannte Haarmann in Protokollgesprächen seine Opfer. Um solche sei es nicht schade. Kindermörder Hans Beckert trägt in „M“ und Jon J. Muths Comic-Adaption ein schwammiges Kindergesicht. Wie im gemeinsamen Spiel fängt er den Ball der kleinen Elsie, die später sein Opfer wird. Mit einem anderen Mädchen betrachtet er die Auslagen eines Spielzeugladens. Während sie die Miniaturlandschaft ansieht, starrt der Mörder ihre Reflektion im Schaufenster an. Im verschwommenen Spiegelbild wird das Mädchen Teil der Puppenwelt. Aus Kinderspielzeug werden Spielzeugkinder.
In dem Sack, aus dem der Kinderfänger die Gaben holt, trägt er die Kleinen davon. Ein dämonischer Tausch, den der reale Kinderfänger in grausiger Weise fortführt. Eine süße Gabe für ein kleines Leben. Ihren drei Kindern vergiftete Gesche Margarethe Gottfried durch mit Arsenkügelchen vermischtes Butterschmalz, dass sie auf Kuchen strich. „Mäusebutter“ nannte sie es.
„Three blind mice. Three blind mice.
See how they run. See how they run.
They all ran after the farmer’s wife,
Who cut off their tails with a carving knife“
Die düstere Thematik beschäftigt in der dunklen Jahreszeit nicht nur die Comic-Szene. Vor drei Jahren brachte in Hannover der Weihnachtskalendermacher Klaus Lange einen Adventskalender heraus, der einen schnauzbärtigen Mann mit Hackebeil zeigte. Im Folgejahr wurde die Figur auf dem Türchen in Handschellen abgeführt. Sein Beilchen steckte in dem Sack, den einer der Beamten trug. Letztes Jahr durfte Haarmann das Beil auf Langes Kalendertürchen wieder schwingen, allerdings nur als Eisskulptur. Auch 2010 kommt er wieder mit dem Hackebeil. Eine Teufelsfigur jagt ihn in die Hölle hinab. Wenn das (Höllen)Türchen geöffnet werden darf, ist vielleicht schon der letzte Teil von Peer Meters kunstvoller Serienmörder-Trilogie erschienen. In „Vasmers Bruder“, gezeichnet von David von Bassewitz, soll Karl Denke auferstehen. Auch er ein unbescholtener Bürger, der Landstreicher und Wanderer zu sich lud – zum Essen, zum gefressen werden. „Warte, warte nur ein Weilchen…"
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Isabel Kreitz & Peer Meter: Haarmann, Carlsen Verlag, 2010, 192 Seiten, 19,90 €
Peer Meter & Barbara Yelin: Gift, Reprodukt Verlag, 2010, 200 Seiten, 20,00 €
Jon J. Muth: M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Cross Cult Verlag, 2009, 192 Seiten, 25, 00 €