Die Höhen und Tiefen dieser sich überkreuzenden Paargeschichte ereignen sich “Mitte Ende August”, daher der ungelenke Titel. Zu dieser spätsommerlichen Jahreszeit leben ein Baron und eine Baronin in einem entlegenen Schloss, wo sie sich der Gestaltung des Parks widmen. Die Liebe ist ein zartes Pflänzchen und will sorgsam gehegt werden. Schon kleine Witterungsumschwünge können sie welken lassen, ließe sich Goethes Rahmenhandlung interpretieren. Aus dem Adeligenpaar macht Schnipper zwei frischgebackene Eigenheimsbesitzer. Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) verbringen den Sommer mit der Instandsetzung ihres Hauses, irgendwo in der Provinz, so abgeschieden, dass nicht einmal die Handys Empfang haben. Hier tut sich der Abgrund zwischen Goethes Vorlage und Schnippers Neuinterpretation auf.
Statt Hecken anzulegen geht es beim Innenraumumbau mit dem Vorschlaghammer durch die Wand. Was nicht paßt, wird passend gemacht, dachte sich auch der Regisseur und zimmert sich “Die Wahlverwandtschaft” als moderne Beziehungskiste neu zusammen. Zu dem Pärchen kommt Thomas Bruder Friedrich (André Hennicke). Damit liefert der Film bereits gleich zwei Gegensatzpaare. Zum einen Hanna und Thomas, die Bodenständige und den Kindischen, die Nachdenkliche und den Spontanen. Zum anderen die unterschiedlichen Brüder, Thomas und der verschlossene, organisierte Architekt Friedrich. Belastet durch die Trennung von Partnerin und Kindern, will Friedrich Abstand bei Hanna und seinem Bruder gewinnen. Drei sind einer zuviel? In der Zeit um “Mitte Ende August” sind es noch eine zu wenig. Aus Berlin gesellt sich Hannas erwachsenen Patentochter Augustine (Anna Brüggemann) dazu. Bis dahin hat man soviel Beiläufiges gesehen, dass man kaum mehr als eine ausgelatschte Schmonzette erwartete.
Doch “Mitte Ende August” löst ganz unerwartet den für einen Neuadaption komliziertesten Umstand der Romanvorlage auf interessante Weise auf. Der Betrug am Partner, denn wo sich Mann und Frau und Frau und Mann zusammenfinden, steht in fiktionalen Werken fast immer „Fremdgehen“ auf dem Plan, findet in der “Wahlverwandtschaft” nur im Geiste statt. Beiderseitiges an einen anderen Denken hat ein den leiblichen Eltern unähnliches Kind zur Folge, sichtbares Zeugnis des fantasierten Seitensprungs, welches bei einem Bootsunglück umkommt. Diesem Aberglauben, der Nachwuchs ähnele dem, an den die Mutter bei der Zeugung denkt, greift Schnippler zum Glück nicht auf. So viele Kinder mit dem Äußeren Brad Pitts oder Johnny Depps gibt es ja auch nicht. Es gibt zwar ein mit Bedeutung etwas überfrachtetes Boot, doch Sebastian Schippler inszeniert in kleinen, nebensächlichen Momenten, wie Hanna und Friedrich ihre geistige Verwandtschaft entdecken. Unbewusst spürt Thomas die Entfremdung seiner Frau von ihm, wobei er sich gleichzeitig der unbefangenen Augustine nahe fühlt. Ohne große Worte und bedeutungsschwere Blicke gleitet ein Paar auseinander und zwei neue, alternative Paare finden zusammen. Die unausgelebten Zärtlichkeiten mit dem geistigen Partner der “Wahlverwandtschaft” übertragen sich in kleinen Gesten: Hanna lässt das endlich warme Duschwasser über sich laufen, nachdem Friedrich den Boiler repariert hat und Augustine zündet mit Thomas in der Nacht ein Feuerwerk an.
Funken schlägt letztes wenig, Explosionen sieht man nicht. So verpufft “Mitte Ende August” trotz guter Darsteller und interessanter Momente. Ein bisschen wie die Rakete in einem der Kunstmärchen Oscar Wildes. Dessen Werkausgabe wirft Thomas bei einer Autofahrt achtlos aus dem Fenster. Ob Schnippler mit Goethes Klassiker ähnlich verfuhr, bevor er das Drehbuch verfasste? Ein eigenständiges Drama ohne die ungelenken Anklänge an Goethes Roman wäre Schippler wohl besser gelungen. So bleibt man unbefriedigt zurück nach einem Drama, welches nachdenklich und ein wenig müde macht, wie ein langer Sommerabend “Mitte Ende August”.
Titel: Mitte Ende August
Start: 30 Juli
Regie und Drehbuch: Sebastian Schnippler
Darsteller: Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, Andre Hennicke, Gert Voss
Verleih: Senator